Automobilindustrie : Technologiewandel in der Fahrzeugindustrie mischt die Karten neu
In den letzten Jahrzehnten haben wir im Bereich der Automobilindustrie eine Entwicklung gesehen, an deren Ende sich einige wenige, multinationale Konzerne den globalen Markt teilen. Die größten Automobilhersteller der Welt haben ihren Hauptsitz in Westeuropa, Japan, Südkorea oder den USA. Sie vertreiben ihre Produkte weltweit mit unterschiedlichen Marken. Im Lkw-Bereich ist diese Entwicklung fast noch deutlicher zu verfolgen, hier sind es im Wesentlichen fünf Konzerne, die sich den globalen Markt aufteilen. Technologisches Herzstück des Automobils, insbesondere des Lkw, ist noch der Verbrennungsmotor. Die großen OEMs und ein Geflecht an Zulieferindustrie haben den Otto- und Dieselmotor perfektioniert und jahrzehntelang ihre gesamte Entwicklung und Produktion darauf ausgerichtet.
Doch dem Verbrennungsmotor geht es langsam aber sicher an den Kragen. Im Zuge der Bestrebungen des Klimaschutzes sollen ab 2035 nur noch Nullemissionsfahrzeuge eine neue Zulassung bekommen, im Lkw-Bereich ist das Aus für den Diesel mit 2040 angepeilt. Nullemissionsfahrzeuge bedeutet, dass die Fahrzeuge im Betrieb keine direkten Emissionen ausstoßen bzw. insgesamt über die gesamte Kette von der Energieerzeugung bis zum Rad keine Nettoemissionen verursachen. Das wäre also auch möglich, wenn man etwa synthetische Kraftstoffe, sogenannte eFuels, verwendet: Diese emittieren zwar CO2 im Betrieb, doch der Kohlenstoff ist zuvor aus der Luft entnommen und mit (grünem) Strom zu Treibstoff synthetisiert worden – summa summarum belaufen sich die Emissionen damit auf null.
eFuels lassen sich in herkömmlichen Verbrennungsmotoren anwenden. AVL errichtet gerade eine Versuchsanlage in Graz, die im Jahr 100.000 Liter produzieren soll. Zum Vergleich: Der Gesamtverbrauch an Diesel und Benzin beträgt in Österreich rund 10 Milliarden Liter pro Jahr. Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer geht davon aus, dass eFuels ein Nischenprodukt bleiben werden, etwa für Oldtimer. Die Abkehr vom Verbrennungsmotor für das große Volumen an Fahrzeugen scheint hingegen besiegelt. Im Pkw-Bereich dürfte der batterieelektrische Antrieb zum neuen Standard werden. Mit fortschreitender Batterietechnologie sind an die 1.000 Kilometer Reichweite in Zukunft realistisch. Im Nutzfahrzeugbereich ist das Rennen noch nicht entschieden. Im regionalen Transport gilt die breite Anwendung von E-Fahrzeugen als realistisches Ziel. Der VW-Konzern setzt mit seinen Marken MAN und Scania sogar im schweren Fernverkehr auf batterieelektrische Lösungen, entsprechende Prototypen gibt es bereits. Die Branchengiganten Volvo Trucks und Daimler Truck sehen auf der Langstrecke hingegen eine Chance für die Wasserstoff-Brennstoffzelle. Mit dem gemeinsamen Joint Venture „Cellcentric“ ist man gerade dabei, ein standardisiertes Brennstoffzellenmodul zu entwickeln und die Serienproduktion aufzubauen.
Brennstoffzelle, Batterie und Verbrennungsmotor
Die Brennstoffzelle wandelt Wasserstoff in Strom um, der in einer Pufferbatterie zwischengespeichert wird. Der Antriebsstrang selbst ist also elektrisch. Der Vorteil gegenüber einer rein batterieelektrischen Lösung liegt in einer höheren Reichweite, einer kleineren Batterie und einem rascheren Betankungsvorgang. Der Nachteil ist die Komplexität der Kombination von Batterie, Brennstoffzelle und Wasserstofftank. Das ist auch der Grund, warum die Anwendung im großen Stil voraussichtlich auf Schwerfahrzeuge mit hohen Reichweitenanforderungen beschränkt bleiben dürfte. (Hier finden Sie einen ausführlichen Technologievergleich zwischen Brennstoffzelle, Batterie und Verbrennungsmotor).
Eine weniger komplexe Lösung wäre der Wasserstoffverbrennungsmotor, den zum Beispiel der US-Konzern Paccar mit der Lkw-Marke DAF in einem Versuchsfahrzeug einsetzt. Dieser ist vergleichsweise kostengünstig auf Basis bereits verfügbarer Technologie zu konstruieren, allerdings ist die Energieeffizienz im Betrieb bei weitem geringer.
Die gesamte Umstellung von Mobilität und Transport auf emissionsfreie Antriebe bleibt allerdings unter dem Vorbehalt, dass auch die entsprechende Infrastruktur verfügbar ist. Dazu braucht es ausreichend Wasserstofftankstellen und elektrische Hochleistungsladeinfrastruktur entlang der europäischen Transportrouten. Der Leistungsbedarf an einem großen Lkw-Rastplatz kann dabei schnell in Richtung 100 Megawatt gehen – gigantische Energiemengen, die das Netz vor große Herausforderungen stellt. Von einer auch nur ansatzweise tragfähigen Infrastruktur für den Einsatz von Wasserstoff oder Elektromobilität im großen Stil ist man, insbesondere im Straßengüterverkehr, zum heutigen Zeitpunkt meilenweit entfernt.
Neue Technologie bietet Chance für Markteinstieg
Wandel bedeutet immer auch Chance. Für alteingesessene Unternehmen ist er natürlich auch eine Bedrohung: Wer heute noch am Zenit der Macht und Wirtschaftsleistung steht, kann morgen schon in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wenn man sich nicht rechtzeitig vorbereitet. Beispiele dafür gibt es in der jüngeren Geschichte zu Hauf: So ist etwa der Filmhersteller Kodak mit dem Siegeszug der Digitalphotographie zugrunde gegangen. Nokia, einst ein Gigant bei Mobiltelefonen, hat wiederum die Entwicklung der Smartphones verschlafen. Auch einige der alteingesessenen Automobilhersteller waren anfangs äußerst zögerlich, wenn es um den Umstieg auf die Elektromobilität ging. Hohe Entwicklungskosten in neue Technologie, bei gleichzeitig ungebrochen hoher Nachfrage nach den bestehenden Produkten, ließ ein aktives Forcieren der Elektromobilität nicht allzu verlockend erscheinen. Hinzu kommt, dass die Automobilmärkte aufgrund der technischen Komplexität der Produkte und der Eintrittshürden, die zur Erlangung einer Modell-Zulassung genommen werden müssen, relativ abgeschottet waren. Für ein schwach kapitalisiertes Startup ohne entsprechende Erfahrung war die Homologation eines Gesamtfahrzeugs in Europa oder den USA schlicht aussichtslos. Eine komfortable Situation für die großen Player, die ihre Cash-Cow, den Verbrennungsmotor, weiter gemolken haben. Vorangetrieben wurde die Technologieumstellung gleichzeitig von völlig neuen Akteuren, von denen es inzwischen auch einige auf die internationale Bühne des Automobilmarkts geschafft haben. Kleine Startups und große Unternehmen aus den Bereichen Software und Elektronik stoßen unterschiedlich tief in die Produktions- und Vermarktungsketten der Automobilindustrie vor. Nicht alle werden erfolgreich sein. Einige werden sich als Zulieferer auf unterschiedlichsten Levels etablieren und nur ganz wenige werden es schaffen, mit einem eigenen Gesamtfahrzeugkonzept selbst zum OEM aufzusteigen.
Wandel, Kapital und Vision
Elon Musk polarisiert als Person zweifellos, man kann ihn mögen oder auch nicht. Eines ist aber klar: er hat aufgezeigt, dass man mit einem neuen Produkt und einer neuen Marke die Eintrittshürde auf dem globalen Automobilmarkt überwinden kann, selbst wenn man aus einer ganz anderen Branche kommt – oder gerade deshalb. Musk selbst hatte zunächst mit dem Internet-Bezahldienst „Paypal“ durchschlagenden Erfolg und vermochte zudem als visionäre Persönlichkeit zu begeistern: Ein Phänomen, das auch bei anderen Magnaten der Tech-Branche, wie etwa Apple-Gründer Steve Jobs, zu beobachten ist. In einer säkularisierten, kapitalistischen Gesellschaft, in der Geld der wichtigste Maßstab scheint, treten plötzlich neue, beinahe mystisch-religiös anmutende Figuren in Erscheinung, denen eine technologieaffine Mittelschicht andächtig lauscht und über deren Fehler sie geflissentlich hinwegsieht. Diese Feststellung ist mehr als nur eine soziologische Beobachtung: Während Investitionsentscheidungen in stabilen Zeiten meist auf Basis von Wirtschaftlichkeitsrechnungen und soliden Unternehmensdaten getroffen werden, so gibt es in Zeiten des Wandels immer mehr Wetten auf die Zukunft. Gleichzeitig gibt es einen globalen Kapitalmarkt, der sich von der realen Wirtschaft entkoppelt hat und stark verzögert reagiert oder sogar agiert – soweit, dass inzwischen das Primat der realen Wirtschaft über die fiktiven Geldgeschäfte ins Wanken geraten ist. Im Gegenteil: eine Finanzkrise führt nicht selten zur Wirtschaftskrise – nicht umgekehrt.
In dieser Situation können charismatische Unternehmertypen ungeahnte Kapitalressourcen für sich mobilisieren. Dabei zählt weder die gegenwärtige Kapitalausstattung noch die aktuelle Performance des Unternehmens, sondern nur die Bewertung der zukünftigen Entwicklungschancen durch Aktionäre und Investoren. Und so ist Tesla bereits über eine Billion Euro wert, obwohl das Unternehmen jährlich gerade einmal eine halbe Million Autos baut und bisher kaum jemals einen Gewinn eingefahren hat. Auf der anderen Seite stehen Konzerne wie Volkswagen, ein traditionsreiches Unternehmen mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Automobilproduktion und -distribution, das im Jahr an die 10 Millionen Autos produziert und vermarktet und über eine solide Finanzgebarung verfügt. Gleichzeitig hat das Unternehmen aber nur ein Achtel des Börsenwerts von Tesla.
Während nun Volkswagen das laufende Geschäft betreiben und daraus die nötigen Forschungs- und Entwicklungskosten für neue Technologien verdienen muss, bedienen sich gehypte Startups wie Tesla oder Nikola ganz einfach am Kapitalmarkt. Hinzu kommt, dass der technologische Startvorteil, den die Traditionsunternehmen beim Verbrennungsmotor hatten, wegfällt. Die Einzelkomponenten des elektrischen Antriebsstrangs sind, abgesehen von der Batterie, relativ trivial. Es geht vielmehr um Elektronik, Software, Steuerungstechnik und Systemintegration. Und so ist es kein Wunder, dass zunehmend Tech-Konzerne aus dem IT- und Softwarebereich in den Automotive-Sektor vordringen: Elon Musk und Tesla sind ein Musterbeispiel. Die Figur des charismatischen Unternehmers, dem der Nimbus eines Gurus anhaftet, ist dabei nicht zu unterschätzen: Durch den Habitus des visionären Machers lassen sich ungeahnte Kapitalressourcen heben und viele Hebel in Bewegung setzen. Bei Tesla scheint dieses Konzept funktioniert zu haben.
China als neue Wirtschaftsmacht im Automobilsektor
Nach einem jahrelangen, rasanten Wirtschaftswachstum ist China inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde. Zahlreiche Autobauer aus Europa, den USA und Japan haben die neuen Absatzchancen genutzt, um sich am chinesischen Markt zu etablieren und ein Stück des wachsenden Kuchens im Automobilabsatz zu ergattern. Inzwischen verläuft die Entwicklung jedoch auch in umgekehrter Richtung und so kaufen sich chinesische Unternehmen bei westlichen Traditionsherstellern ein. Prominentes Beispiel ist die Übernahme von Volvo Cars durch den Geely-Konzern. In einem nächsten Schritt dringen aber auch chinesische Eigenmarken auf die bislang weitgehend abgeschotteten, westlichen Märkte vor. Ein Beispiel ist der chinesische Konzern für E-Fahrzeuge, BYD, der nicht nur Pkw, sondern etwa auch Lkw, Gabelstapler und Omnibusse baut. Das chinesische Unternehmen soll inzwischen der weltgrößte Hersteller von E-Fahrzeugen sein. In Großbritannien laufen bereits hunderte Busse von BYD mit E-Antrieb, teilweise auch in London im traditionsreichen roten Doppeldecker-Design. Auch mit Pkw steigt BYD nun in Europa ins Geschäft ein. Es wird nicht die letzte Marke aus dem Reich der Mitte sein.