Interview : Fritz Müller: „Die größte Herausforderung ist die Mitarbeiterthematik“
TRAKTUELL: Herr Müller, Sie sind als Spediteur und Transportunternehmer hauptsächlich im Bereich Frische- und Kühlwaren engagiert. Nützen Sie abgesehen vom Lkw auch andere Transportmittel?
MÜLLER: Wir machen eigentlich alles mit Lkw, weil die Produkte, die wir transportieren, zu fast 100 % unmöglich mit einem anderen Verkehrsmittel zu transportieren sind. Das geht einfach nicht.
TRAKTUELL: Warum ist das nicht möglich?
MÜLLER: Es sind einerseits viele Transporte innerhalb Österreichs mit Frischeprodukten, wo der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle spielt. Etwa bei Obst und Gemüse, wo praktisch alles im Nachtsprung gemacht wird oder bei Filialbelieferungen und anderen Geschäften, etwa Pharma. Andererseits muss die Kontrolle der Ladung und Temperatur ununterbrochen durch unseren Fahrer oder unsere Telematiksysteme erfolgen. Würden solche Sattelauflieger auf einem Zug stehen, könnten sie nicht ausgeklinkt werden. Man kann das also auch seitens des Quality Managements nicht mit unbegleiteten Verkehren abwickeln.
TRAKTUELL: Gehören Kühlspediteure also einfach nicht zur richtigen Zielgruppe, wenn es darum geht, Verkehre auf die Schiene zu verlagern?
MÜLLER: Es gibt wesentlich mehr Zielgruppen, wo man einfach keinen kombinierten Verkehr machen kann. Aber ich glaube, es sollte gar nicht unbedingt das Ziel sein, alles auf den kombinierten Verkehr zu setzen. Das Ziel sollte eher sein, dass auch früher oder später der Lkw möglichst CO2-frei fährt. Und das wird irgendwann passieren.
Das Ziel sollte eher sein, dass auch früher oder später der Lkw möglichst CO2-frei fährt. Und das wird irgendwann passieren"
TRAKTUELL: Es gibt eine neue FFG-Förderung zur Beschaffung emissionsfreier Nutzfahrzeuge. Ist das für Sie ein Thema?
MÜLLER: Wir arbeiten in einem Projekt mit unserem jetzigen Lkw-Lieferanten DAF zusammen und haben auch bereits eine Woche lang eine elektrische Sattelzugmaschine getestet. Man kann dieses Fahrzeug leider noch gar nicht kaufen. Aber wenn es die Möglichkeit gibt, werden wir das auf jeden Fall tun. Weil man jede andere Technologie schon aus dem Grund benutzen soll, damit man daraus lernt. Wir haben das mit LNG (verflüssigtes Erdgas) auch gemacht und vor eineinhalb Jahren zwei entsprechende Lkw angeschafft, um den Umgang mit dieser Technologie zu erlernen. Dafür waren einige Umstellungen notwendig, aber man sollte jegliche andere Möglichkeit, die hoffentlich weniger CO2-Ausstoß hat, probieren.
TRAKTUELL: Wie waren Ihre Erfahrungen mit den LNG-Lkw? Und gleich vorweg die Frage: Fahren diese noch?
MÜLLER: Die LNG-Lkw fahren nicht mehr. Das Kilo LNG kostet mittlerweile 6 Euro und der Verbrauch ist ungefähr gleich hoch wie bei einem Diesel-Lkw. Abgesehen davon haben wir am Anfang schon ein paar Wochen gebraucht, bis wir richtig professionell damit gearbeitet haben. Zu Beginn haben wir alle 200 Kilometer getankt vor lauter Angst, dass uns das Gas ausgehen könnte. Aber mit der Zeit lernt man den Umgang mit der Technologie. Dafür ist es aber nötig, dass sich Mitarbeiter mit anderen Dingen befassen, als einfach nur Diesel in einen Tank einzufüllen wie in den letzten 100 Jahren. Darum denke ich, dass es trotz aller noch bestehenden Nachteile des Elektro-Lkw, eventuell auch des Wasserstoff-Lkw, gut ist, wenn man mit diesen Technologien umzugehen lernt. Denn irgendwann wird sich eine neue Technologie durchsetzen, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, welche. Aber Öl und Diesel werden sicher ersetzt werden, auch wenn es speziell im Schwerverkehr noch eine Zeit lang dauern könnte.
Irgendwann wird sich eine neue Technologie durchsetzen, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, welche. Aber Öl und Diesel werden sicher ersetzt werden"
TRAKTUELL: Als Logistiker haben sie auch Lagerflächen und überdachte Hallen. Könnte man hier nicht Sonnenenergie ernten?
MÜLLER: Wir haben vor einem Jahr ein komplett neues Logistikzentrum mit 5.600 Quadratmetern Lagerfläche eröffnet. Dort haben wir 4.000 Quadratmeter Photovoltaik aufgebaut. Es war für uns ganz logisch, dass zu tun. Speziell für einen Straßentransporteur, der – auch wenn er die modernsten Lkw hat – immer im Licht dasteht, sich um die Umwelt wenig zu kümmern, war es wichtig dieses Zeichen zu setzen. Für Straßentransporteure ist die Umwelt genauso wichtig, wie für jeden anderen Menschen.
TRAKTUELL: Wir haben im Frühjahr 2022 schon einmal miteinander gesprochen, da ging es um den explodierenden Dieselpreis und Versorgungsengpässe. Damals wurden Sie zitiert mit den Worten „Wir betteln förmlich um Diesel“. Hat sich diese Situation inzwischen entspannt?
MÜLLER: Ja, Diesel gibt es jetzt schon, aber viele Lieferanten gibt es derzeit auch nicht, es wurden wesentlich weniger. Offenbar ist viel Diesel aus Russland gekommen und im Winter wird sehr viel Diesel bzw. Heizöl verbraucht fürs Heizen. Und das war ein Grund, warum der Diesel so teuer ist und wohl auch, warum er immer noch knapp ist – auch wenn vielleicht nicht mehr ganz so knapp wie vor ein paar Monaten. Aber wenn man den Rohölpreis mit dem Dieselpreis vergleicht, dann sieht man, dass der Diesel viel zu teuer ist. Vielleicht verdienen da die Produzenten des Treibstoffs, also die Raffinerien, so viel – das kann ich nicht sagen und es ist auch egal: Der Preis ist der Preis, wir leben in einem freien Markt und dann müssen wir das einfach so hinnehmen. Konsumentenschützer warnen zwar, dass die Raffinerien zu viel Marge haben. Aber wie gesagt, wir sind in einem freien Markt.
Für Straßentransporteure ist die Umwelt genauso wichtig, wie für jeden anderen Menschen"
TRAKTUELL: Wir sind in einem freien Markt und Sie sind Unternehmer. Sie haben im Frühjahr Hilfsgüter in die Ukraine geliefert. Und sie haben gleichzeitig auch kommerzielle Lieferungen nach Russland gefahren. Das war schon ein ziemlicher Spagat. Wie geht es Ihnen mit diesen Sendungen in der praktischen Abwicklung und setzen Sie diese Ukraine-Hilfstransporte weiter fort?
MÜLLER: Seitens der Ukraine-Hilfe haben wir jetzt schon lange keine Anfragen mehr gehabt. Nach Russland oder auch nach Kasachstan sind wir lange gefahren. Da gab es immer wieder neue Auflagen. Es war für uns nicht das Hauptgeschäft, sondern wir haben das eher als Verpflichtung gegenüber jenen Firmen gesehen, die wir als Kunden dort haben – man reißt sich nicht wirklich darum. Die Problematik, die am längsten Zeit brauchte, war die Ausfuhrabfertigung in der Europäischen Union: Unser Zoll in Europa, also nicht nur in Österreich, wirft ein scharfes Auge drauf, was da exportiert wird. Die aktuelle Lage ist so, dass es weiterhin befreite Güter gibt, aber es gibt zwischen Russland, Belarus und der EU keinen Austausch an Transportbewilligungen, um überhaupt in diese Länder fahren zu dürfen. Was man sich dabei gedacht hat, kann mir bis heute weder das Verkehrsministerium noch die Kammervertretung erklären.
Die aktuelle Lage ist so, dass es weiterhin befreite Güter gibt, aber es gibt zwischen Russland, Belarus und der EU keinen Austausch an Transportbewilligungen, um überhaupt in diese Länder fahren zu dürfen"
TRAKTUELL: Wenn man jetzt ans tägliche Geschäft denkt: Wo sehen Sie mittelfristig die größten Herausforderungen in Ihrem Business?
MÜLLER: Ich glaube, die größte Herausforderung, die wir alle haben, ist einfach die Mitarbeiterthematik.
TRAKTUELL: Woran liegt es, dass man so wenige Logistikmitarbeiter findet? Es fehlen ja vor allem Lkw-Fahrer.
MÜLLER: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, prinzipiell gibt es zu wenig arbeitende Menschen in Europa. Es ist ja in jedem Bereich so, dass Fachkräfte fehlen, auch wenn es vielleicht bei den Lkw-Fahrern besonders eklatant ist. Vielleicht empfindet man es aber nur so, weil es einen selber betrifft. Aber ich denke, wir haben einfach zu wenig Arbeitskräfte in Europa und bräuchten eine entsprechende Immigrationspolitik, die auch darauf hinzielt: Was brauchen wir und wer ist bereit bei uns zu arbeiten? Wer will bei uns sein? Wer will sich auch in unserer Gesellschaft wohlfühlen? Welche Möglichkeiten gibt es, dass man mit der Familie nach Österreich kommt? Und welche Garantien gibt es seitens Österreich, dass diese Leute dann wirklich bei uns arbeiten und nicht einfach nur ins Sozialsystem eintauchen wollen? Ich glaube, das wäre diese Win-Win-Situation, so wie es vielleicht vor 60, 70 Jahren für viele Leute war, die nach Amerika ausgewandert sind und dort wirklich arbeiten wollten. Keiner wäre auf die Idee kommen, nach Amerika auszuwandern, um von einem Sozialsystem zu profitieren.
Man ist immer an der Grenze mit den Fahrern. Das ist einfach unangenehm"
TRAKTUELL: Also Immigration als eine Lösungsmöglichkeit für den Fahrermangel – Wäre es auch möglich, diese Problematik von innen heraus zu lösen? Denn immer dann, wenn ein Arbeitsplatz sehr unattraktiv ist, heißt die Lösung Zuwanderung. Das hört man zum Beispiel auch in den Pflegeberufen. Gibt es andere Möglichkeiten, wie man vielleicht dafür sorgen könnte, dass man den Arbeitskräftemangel aus Österreich heraus mit Nachwuchskräften bewältigt?
MÜLLER: Das haben wir auch versucht. Wir haben begonnen, im Sommer fünf Lkw-Fahrer auszubilden für den Führerschein. Wir haben diese angestellt bei uns, obwohl sie eigentlich nicht einsetzbar waren, weil sie keinen Führerschein hatten. Wir haben ihnen in dieser Zeit – bezahlte Arbeitszeit, das muss man sich einmal vorstellen – die Gelegenheit gegeben, den Führerschein zu machen. Wir haben auch versucht, ihnen die Kultur unseres Unternehmens näher zu bringen. Aber die Gefahr ist natürlich da, dass ein Mitarbeiter, wenn er dann den Führerschein hat, das Unternehmen wieder wechselt, weil ihm die Arbeitszeit woanders angenehmer ist und er dann vielleicht nie an Wochenenden fahren muss. Auch wenn er uns die Kosten für den Führerschein zurückzahlen muss, hat das auch nicht den Sinn erfüllt, für den wir das eigentlich gemacht haben. Wir wollen ja nicht die Führerscheinkosten, sondern wir hätten gerne einen Fahrer gehabt. Aber kurzum: Es gibt keine Möglichkeit, die wir nicht probieren. Wir haben eine eigene HR-Abteilung, die sich um das alles kümmert. Aber es ist ein Jammer, wenn man immer in der Knappheit ist. Das ist immer schlecht. Das ist ungefähr so, wie wenn man als Privatperson ständig zu wenig Geld auf dem Konto hat und nicht einmal im Plus ist. Man ist immer an der Grenze mit den Fahrern. Das ist einfach unangenehm.
Für das Gehalt, für das man rein theoretisch in irgendeinem osteuropäischen Land einen Fahrer anstellen könnte, wird man wahrscheinlich keinen Fahrer finden"
TRAKTUELL: Mussten Sie auch schon einmal Fahrzeuge stehen lassen, weil Sie keine Fahrer hatten?
MÜLLER: Ich bin auch schon selber gefahren, im letzten Sommer zweimal. In Urlaubszeiten passiert das heute viel öfter als früher, dass man Lkw stehen lässt. Das ist zwar nicht angenehm zu sagen, aber es ist leider die Wahrheit. Wir machen sicher viel für die Fahrer, aber im Endeffekt müssen sie halt doch fahren. Wir haben sogar ein eigenes Fahrer-Hotel. Wir machen uns wirklich viele Gedanken, aber letztendlich müssen wir dann doch arbeiten.
TRAKTUELL: Da möchte ich kurz einhaken, beim Fahrer Hotel. Seit einigen Jahren sieht ja eine EU-Regelung vor, dass man die Wochen-Ruhezeit nicht mehr in der Kabine verbringen darf. Hintergrund war, dass tatsächlich viele Fahrer wochenlang mehr oder weniger mit ihren Fahrzeugen durch Europa vagabundiert sind, möchte ich fast sagen, wochenlang nicht nach Hause kamen und teilweise in verwahrlostem Zustand waren. Zusammenfassend kann man das als prekäre Arbeitssituation bezeichnen. Wie sehr tragen solche Zustände dazu bei, dass der Fahrerberuf unattraktiv wird? Und wie lösen Sie das in Ihrem Unternehmen mit den Fahrerübernachtungen?
MÜLLER: Aufgrund unserer Standorte kommt es nicht vor, dass Fahrer so lange weg sind. Außerdem können die Fahrer, die im internationalen Bereich arbeiten, sich bei uns aussuchen, in welchem Arbeitszeitmodell sie fahren wollen, also ob sie jetzt drei Wochen, zwei Wochen oder vier Wochen fahren wollen – je nachdem, wie weit entfernt sie wohnen. Das Problem besteht eher bei Unternehmen, die am Rand von Europa liegen. Unternehmen, die mitten in Europa sitzen, können das sicher einfacher steuern. Anders ist das, wenn man in Bulgarien oder Litauen ansässig ist und in Westeuropa fährt. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass dieses Gesetz primär für diese Unternehmen gemacht wurde, damit auch deren Fahrer nach Hause kommen. Uns betrifft es weniger, aber dennoch haben wir unser altes Büro – das sind ungefähr tausend Quadratmeter – umgebaut zu dreiunddreißig Zimmern mit 40 Betten, die serviciert werden wie in einem Hotel. Wir haben von der Infrastruktur her die Möglichkeit gehabt, das zu machen und haben die Gelegenheit genutzt.
Ich bin auch schon selber gefahren, im letzten Sommer zweimal. In Urlaubszeiten passiert das heute viel öfter als früher, dass man Lkw stehen lässt"
TRAKTUELL: Eine neue gesetzliche Regelung, die jetzt stufenweise ausgerollt wird, ist die sogenannte europäische Entsenderichtlinie. Ein Experte für Logistik-Recht hat diese einmal als die „Quantenphysik der Verkehrswirtschaft“ bezeichnet. Wie geht es Ihnen in der praktischen Umsetzung mit dieser Entsenderichtlinie? Und glauben Sie, dass das Instrument dazu geeignet ist, solche sozialen Problematiken im internationalen Verkehr zu lösen?
MÜLLER: Man wird sich schon etwas überlegt haben, bei dieser Entsenderichtlinie. Wir sind da alle in einem Lernprozess, es betrifft uns aber nicht so stark, wie jene Unternehmen aus den Randländern Europas. Es ist immer unsere Philosophie, sich an möglichst alles zu halten, sprich: wo werden Fahrer gemeldet und wo muss was gemacht werden. Von der Bezahlung her, was ja ein ganz wichtiger Punkt ist, entscheidet das der Markt. Für das Gehalt, für das man rein theoretisch in irgendeinem osteuropäischen Land einen Fahrer anstellen könnte, wird man wahrscheinlich keinen Fahrer finden.
TRAKTUELL: Also administrativ kommen Sie damit zurecht? Das Thema hat sich für mich durchaus komplex angehört.
MÜLLER: Es ist sehr komplex. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass wir das richtig machen. Wir arbeiten daran, in unserem Transport-Management-System möglichst viele Prozesse zu verknüpfen, damit es einfacher wird. Der Aufwand lässt sich sicher mittels der technischen Möglichkeiten in der IT reduzieren. Aber wichtig ist, dass man einmal den Spirit des Ganzen einholt, um was es da überhaupt geht. Das ist Part of the Game.
TRAKTUELL: Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.