Verkehr : Klimaneutraler Alpentransit als europäische Herausforderung

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Die Transit-Routen durch die Alpen sind der Flaschenhals auf der Nord-Süd-Achse im innereuropäischen Verkehr

- © Andy Ilmberger - stock.adobe.com

Der transeuropäische Warenaustausch zwischen Nord und Süd wächst. Das führt zu einem steigenden Frachtaufkommen über die Alpen, wo die geographischen Gegebenheiten die möglichen Transportrouten auf wenige Korridore einengen. Österreich und die Schweiz sind die hauptsächlich davon betroffenen Länder. 1980 betrug das Frachtaufkommen im alpenquerenden Güterverkehr in der Schweiz und in Österreich jeweils deutlich unter 20 Millionen Tonnen. Heute liegt dieses in der Schweiz bei knapp 40 Millionen Tonnen, in Österreich sogar deutlich über 50 Millionen Tonnen pro Jahr. Während der Transit durch die Schweiz zu rund zwei Dritteln auf der Schiene erfolgt, liegt der Schienengüterverkehrsanteil über die österreichischen Alpen nur bei einem Fünftel. Letzteres entspricht in etwa dem gesamteuropäischen Modal Split, wonach über 75 Prozent der Fracht auf den Verkehrsträger Straße und rund 18 Prozent auf die Schiene entfallen.

Umwelt- und Klimaschutz als Herausforderung

Die Alpenregion ist vom Klimawandel überproportional betroffen, der Temperaturanstieg ist doppelt so hoch wie im globalen Mittel. Zudem haben sich die europäischen Staaten zu einer Ökologisierung der Wirtschaft mit Netto-Null-Emissionen bis 2050 verpflichtet. Das betrifft insbesondere auch den Straßenverkehrssektor, der für 26 Prozent aller CO2-Emissionen in der EU verantwortlich ist (Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland)

Eine Reduktion der Emissionen durch eine Verringerung des Transportaufkommens erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. So wird etwa in der Schweiz ein Anstieg des Güterverkehrs bis 2050 um 31 Prozent prognostiziert. Die Lösung wäre eine Verlagerung auf die Schiene sowie eine Ökologisierung des Straßengüterverkehrs. Alternativ angetriebene Lastwagen, sei es batterieelektrisch oder mit Wasserstoff, könnten nicht nur lokal emissionsfrei sein, sondern in Verbindung mit nachhaltig erzeugtem Strom auch in der Gesamtbetrachtung einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die großen Lkw-Hersteller bereiten bereits die Serienproduktion von fernverkehrstauglichen Elektro- und Wasserstoff-Trucks vor. Gerade erst hat etwa Daimler Truck in einem Versuch bewiesen, dass sich die Alpen mit einem Brennstoffzellen-Lkw überqueren lassen. Das Transitaufkommen beläuft sich allerdings allein in Österreich auf über vier Millionen Lkw pro Jahr. Um diese Verkehre künftig mit Elektro- und Wasserstoff-Fahrzeugen abzuwickeln, bräuchte es massive Investitionen in die Lade- und Tankstelleninfrastruktur und gewaltige Mengen an emissionsfrei produziertem Strom. Gleichzeitig ist zu hören, dass der Verkehrsträger Schiene nicht über die nötigen Kapazitäten verfügt, um die vollständige Verlagerung des gesamten Alpentransits zu ermöglichen. Kurzum: Die Dekarbonisierung des alpenquerenden Güterverkehrs ist eine Mammutaufgabe.

Der alpenquerende Güterverkehr hat sich in der Schweiz seit 1980 mehr als verdoppelt, in Österreich sogar mehr als verdreifacht. Gewachsen ist in Österreich vor allem der Straßenverkehrsanteil

- © Bundesamt für Raumentwicklung ARE/ Bundesamt für Verkehr BAV (Schweiz)

Dialogveranstaltung von GSV und Avenir Mobilité

Der schweizerische Verband Avenir Mobilité und die Österreichische Gesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen (GSV) widmeten sich am 14. November 2022 bei einer gemeinsamen Veranstaltung in Bern der Zukunft des alpenquerenden Güterverkehrs. Die Leitfrage dabei war, wie es aktuell um die Verlagerung auf die Schiene steht und welche Zielsetzungen und Maßnahmen, Entwicklungsprognosen, Probleme und Herausforderungen es in diesem Zusammenhang gibt.

Seit Jahren arbeiten die Schweiz und die EU auf die Verlagerung des Transits von der Straße auf die Schiene hin. Damit will man Treibhausgasemissionen reduzieren und das Verkehrsaufkommen auf den Straßen samt Begleiterscheinungen wie Lärm und Schadstoffbelastung verringern. Die Schweiz ist dabei führend und wickelt bereits über zwei Drittel des alpinen Transits auf der Schiene ab. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet der 2016 eröffnete Gotthardtunnel, mit 57 Kilometern der längest Eisenbahntunnel der Welt.

(v.l.) Em. Prof. Dr. Matthias Finger, Präsident Präsident Avenir Mobilité, und Dipl.-Ing. Markus Racz, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen (GSV)
(v.l.) Em. Prof. Dr. Matthias Finger, Präsident Avenir Mobilité, und Dipl.-Ing. Markus Racz, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen (GSV) - © Ludwig Fliesser

Bei der Dialogveranstaltung in der Schweizer Bundeshauptstadt wurden unterschiedliche Sichtweisen von Planern, Korridormanagern, politischen Akteuren und Transportunternehmern dargelegt. Weitgehende Einigkeit herrschte dahingehend, dass der alpenquerende Güterverkehr keine national isolierte Betrachtung zulässt, sondern nur im Zusammenhang mit den Warenströmen zwischen den Regionen im gesamten europäischen Wirtschaftsraum verstanden werden kann. Lösungsansätze, um den Alpentransit umweltfreundlicher zu gestalten und eine Verlagerung auf die Schiene zu forcieren, müssen daher die gesamteuropäische Perspektive mit einbeziehen. Die Zukunft des transalpinen Transits ist demnach eine Herausforderung für ganz Europa.

Großes Interesse am alpenquerenden Güterverkehr in Bern: der Vortragssaal des Hotel Schweizerhof ist gut gefüllt (am Podium: Fritz Müller)

- © Ludwig Fliesser

Mangelnde Zuverlässigkeit verursacht Probleme

In den sensiblen Lieferketten mit Just-in-Time und Just-in-Sequence ist die Zuverlässigkeit bei Transportdienstleistungen wesentlich. Genau in diesem Punkt hat die Bahn aber offenbar ein Problem. Vorrang auf der Schiene hat stets der Personenverkehr. Kapazitätsengpässe, Baustellen und Störungen führen in der Folge zu Verspätungen, teils von acht Stunden und mehr. Das erschwert die Planbarkeit der Transporte massiv. Ein weiteres Problem ist die nationale Fragmentierung des Schienenverkehrsnetzes und der dazugehörigen Regularien. Während man einen Lkw mit einem Fahrer quer durch Europa schicken kann, müssen Lokführer nicht selten an der Grenze ausgetauscht werden – unter anderem deshalb, weil es keine einheitliche Betriebssprache gibt. Ein weiteres Problem ist die Schieneninfrastruktur. Sorgenkind in diesem Punkt ist Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland. Eine jahrelange Austeritätspolitik hat dort zu massiven Investitionsstaus bei der Schieneninfrastruktur geführt, was das Gesamtsystem des Verkehrsträgers Schiene nachhaltig schwächt. Ein Schweizer Diskutant fragte in Bern etwas provokant, ob es vielleicht helfen würde, wenn man Deutschland mit Geld aus der Schweiz finanziell beim Ausbau des Schienennetzes unterstützen würde, obwohl man im Nachbarland eigentlich keinen Mangel an Geld vermute.

„Wir könnten die Idee bringen, dass wir die Maut, die in Österreich zwar schon sehr hoch ist, aber mit der Schweiz noch gar nicht mithalten kann, erhöhen und man den Leuten das Geld gibt.“
Fritz Müller

Auch in Österreich sei die Situation eine völlig andere, als in der Schweiz, meint etwa der Transportunternehmer Fritz Müller. Er ist Geschäftsführer der Müller Transporte GmbH mit Sitz in Wiener Neudorf und betreibt 370 Lkw im Eigenfuhrpark. Die Verlagerungsdiskussion sieht er als Zukunftsvision für die nächsten Jahrzehnte, mit einer Fertigstellung des Brenner-Basis-Tunnels durch Tirol rechnet er nicht vor 2033. Das Thema Nord-Süd-Transit sei in Österreich aber in hohem Maße politisch, anstatt eines Miteinanders der Verkehrsträger gäbe es einen Kampf zwischen Straße und Schiene. „Weil man den Verkehr nicht verlagern kann, macht man einfach Behinderungen“, kritisiert Müller. Exemplarisch nennt der Unternehmer Nachtfahrverbote und Blockabfertigungen. Müller mahnt, dass man intelligente Lösungen für die Zeit bis zur Fertigstellung des Brenner-Tunnels finden muss, weil die Kapazitäten für eine Verlagerung auf die Schiene schlicht noch nicht vorhanden sind. Man sollte die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen und vor allem auch die Menschen in Tirol ins Boot holen, indem man sie finanziell am Gewinn aus dem Verkehr beteiligt. „Wir könnten die Idee bringen, dass wir die Maut, die in Österreich zwar schon sehr hoch ist, aber mit der Schweiz noch gar nicht mithalten kann, erhöhen und man den Leuten das Geld gibt – für Maßnahmen gegen Lärm und für die Gesundheit.“ Die Menschen sollten das Gefühl haben, das man bis zur ersehnten Fertigstellung des Eisenbahntunnels alles tue, um ihnen das Leben zu versüßen. Im Gegenzug sollte man dafür die verkehrsbehindernden Maßnahmen in Tirol lockern, sprich: Nachtfahrverbote und Blockabfertigung abschaffen. Wenn die Bahntrasse fertig ist, könne man den Verkehr dann auf die Schiene bringen. „Ich glaube, dass prinzipiell niemand etwas dagegen hat, den Verkehr (auf die Bahn) zu verlegen. Wir brauchen einfach die Infrastruktur dafür und da sind wir noch weit weg!“ Die Frage sei aber auch, ob man nicht schon früher CO2-frei mit dem Lkw fahren könne und ob man die Schienenkorridore dann noch brauche, meint der Transsportunternehmer.

Transportkunde im Fokus

Abgesehen von der nötigen Verbesserung der Infrastruktur und einer regulatorischen Vereinfachung im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr, darf man auf den Transportkunden, Spediteure, Frächter und Verlader, nicht vergessen. Letztendlich entscheidet in einer Marktwirtschaft der Kunde über die Wahl des Verkehrsträgers. Damit der Transport auf der Schiene attraktiv wird, muss dieser serviceorientiert, im Kostenvergleich wettbewerbsfähig und vor allem Zuverlässig abgewickelt werden. Dies ist entscheidend dafür, ob Kunden ihre Fracht auf der Schiene über die Alpen (oder unten durch) transportieren oder eben doch lieber mit dem Lkw fahren.

Dabei geht es auch um die Gegenwart, nicht nur um die Zukunft. Das Verlagerungsthema geistert bereits seit Jahrzehnten auf politischen Strategiepapieren auf unterschiedlichen Ebenen herum. Stets gab und gibt es markige Zielvorgaben zur Steigerung des Schienenverkehrsanteils, während in der Realität der Straßengüterverkehrsanteil weiter zunimmt, vor allem in Österreich. So sieht etwa das EU-Ziel „Fit for 55“ eine Reduktion der Emissionen um 55 Prozent bis 2030 auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 vor, so lautet der europäische „Green Deal“. Diese Zahlen haben allerdings wenig Substanz, wenn nicht im Hier und Jetzt mit der Umsetzung und den nötigen Weichenstellungen für eine emissionsfreie Zukunft des alpenquerenden Verkehrs begonnen wird. Wie einer der Teilnehmer bei der Dialogveranstaltung in Bern deshalb treffend formulierte: „It is time to move!“

Die Österreichische Delegation des GSV bei der Dialogveranstaltung in Bern mit dem Präsidenten von Avenir Mobilité, Em. Prof. Dr. Matthias Finger (links)

- © Ludwig Fliesser