Johann Ecker : „Steyr-Fahrzeuge von Grund auf selbst entwickeln“

Johann Ecker im Portrait am Messestand in Hannover bei der IAA Transportation 2022

Johann Ecker, CEO Steyr Automotive

- © Ludwig Fliesser

Was hat sie zu Steyr Automotive geführt?

Johann Ecker: Die spannende Aufgabe. Wenn man sich überlegt, wie oft es die Möglichkeit gibt, eine eigene Marke wieder auf die Straße zu bringen. Das ist die besondere Herausforderung und das Spannende daran. Das ist das eine.

Das andere ist die klare Ausrichtung in Richtung Nachhaltigkeit durch den Eigentümerwechsel (von MAN zu Siegfried Wolf) mit zukünftigen Antriebskonzepten. Und auch die Fabrik selbst werden wir nachhaltig ausrichten. Vor einigen Monaten hat man bekannt gegeben, Österreichs größte Dach-Photovoltaikanlage auf den Gebäuden der Steyr Automotive zu installieren. Und jetzt sind wir schon in der Umsetzung, der Kick-off hat bereits stattgefunden. Voraussichtlich Mitte nächsten Jahres wird diese Photovoltaikanlage vollständig auf ganzer Fläche in Betrieb sein. Das wird uns ermöglichen, je nach Auslastung zwischen 25 und 30 Prozent des eigenen Strombedarfs zu decken.

Sie haben die Geschäftsleitung von Steyr Automotive am 1. Juni 2022 übernommen. Die Firma war damals in einer schwierigen Lage. Aufgrund fehlender Kabelbäume wurde die Auftragsfertigung für MAN zeitweise ausgesetzt. Und dann haben sie auch die Kooperation mit der russischen GAZ aufgeben müssen und das Unternehmen vollkommen neu ausrichten. Einziger Lichtblick war die kürzlich erfolgte Ausweitung des Fertigungsauftrags für Volta Trucks. Warum tut man sich als Manager so etwas an?

Zu den Versorgungsproblemen: Die gibt es global und das Problem hat derzeit jeder. Das sind nicht nur Kabelbäume, sondern auch viele andere Teile. Vor einem Jahr hat man über fehlende Halbleiter gesprochen und Lieferengpässe in Zusammenhang mit Corona, weil Seehäfen geschlossen waren und deshalb die Teileversorgung nach Europa nicht funktioniert hat, als man in Shanghai beispielsweise den Shutdown hatte. Wenn man irgendwo in dieser Branche tätig ist, dann sind das Themen, mit denen man konfrontiert ist und dann muss man dafür Lösungen finden.

Natürlich hat der Krieg, der im Frühjahr ausgebrochen ist, einen Strategie-Schwenk verursacht für Steyr Automotive. Ursprünglich war der Plan, dass man auf Basis der GAZ-Fahrzeuge westeuropäische Fahrzeuge macht, diese elektrifiziert, homologiert und in Westeuropa verkauft. Dieser Plan musste, salopp gesagt, begraben werden. Die Fahrzeuge waren bereits fertig, die ersten wurden schon produziert. Dann ist der Krieg ausgebrochen und man hat – das ist der Vorteil bei flachen Hierarchien – sehr schnell entschieden: Das müssen wir stoppen und wir müssen uns neu ausrichten. Jetzt planen wir die Strategie neu: Und die sieht vor, dass wir die Fahrzeuge von Grund auf selbst entwickeln und uns nicht mehr auf die Kooperation mit GAZ verlassen können. Das war eine klare Entscheidung und jetzt fährt das Schiff auf Basis dieser neuen Strategie.

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Natürlich hat der Krieg, der im Frühjahr ausgebrochen ist, einen Strategie-Schwenk verursacht für Steyr Automotive“

Hat Steyr Automotive das Kapital und Entwicklungspotenzial, um Fahrzeuge aus eigener Kraft vollständig neu zu entwickeln oder ist man hierbei wieder auf neue Partner angewiesen?

Es gab immer schon eine Entwicklungsabteilung in Steyr, die unter der früheren MAN-Eigentümerschaft von der Entwicklungsabteilung von München aus angesteuert war. Also Know-how ist vorhanden. Dass wir nicht alle Kompetenzen in der Entwicklungsabteilung haben liegt auf der Hand, weil eben vieles damals in München geschehen ist. Aber da kann man sich auch ergänzen. Es gibt genügend Engineering-Dienstleister, die Lücken auffüllen können, wo wir noch nicht die Kompetenz in der Form aufgebaut haben. Wir sind bestrebt, die Gesamtkompetenz aufzubauen, aber das geht nicht von heute auf morgen. Und vor diesem Hintergrund kooperiert man mit anderen Engineering-Häusern.

Aber Ziel ist es schon, zum Beispiel den Antriebsstrang selbst zu entwickeln?

Es geht um die Integration aller Komponenten und Systeme, sodass am Ende des Tages ein Fahrzeug entsteht. Darauf liegt unser Fokus. Dass wir ein Getriebe oder einen E-Motor nicht selbst entwickeln, ist klar. Dafür gibt es Lieferanten. Unser Fokus ist die Konzeptentwicklung. Dann das ganze Thema Integration von Komponenten und Systemen in ein Fahrzeug, das Validieren der Komponenten, dass das ganze Zusammenspiel funktioniert. Am Ende steht die Homologation, damit man die Zulassung erhält, um ein Fahrzeug verkaufen zu können und auf die Straße bringen zu dürfen.

  • Johann Ecker CEO Steyr Automotive
    Johann Ecker, CEO von Steyr Automotive, im Gespräch:
    • „Ursprünglich war der Plan, dass man auf Basis der GAZ-Fahrzeuge westeuropäische Fahrzeuge macht. Dieser Plan musste, salopp gesagt, begraben werden."
    • „Unsere neue Strategie sieht vor, dass wir die Fahrzeuge von Grund auf selbst entwickeln."
    • „Unser klarer Fokus sind nachhaltige, alternative Antriebssysteme."
    • „Von den Geschäftsbereichen her wird es drei Standbeine geben: Contract-Manufacturing, die eigenen Fahrzeuge sowie Entwicklung und Forschung für externe Kunden.“

Wenn ich das richtig herausgehört habe, sind Sie ganz klar in Richtung Elektro und möglicherweise auch Wasserstoff und nicht in Richtung Dieselfahrzeug unterwegs?

Unser klarer Fokus sind nachhaltige, alternative Antriebssysteme. Das bedeutet natürlich batterieelektrisch, ganz klar. Dann gibt es noch das Thema Brennstoffzelle. Das hängt immer von den Anwendungsfällen ab. In Verbindung mit einem Bus mag eine Brennstoffzelle sinnvoll sein, aber nicht unbedingt bei einem Lieferwagen. Da ist man eher batterieelektrisch unterwegs. Wasserstoff haben wir genauso auf dem Plan und eFuels darf man auch nicht ausschließen. Diesbezüglich haben wir jetzt zwar kein konkretes Projekt, aber das haben wir genauso in der Betrachtung. Alternative Antriebsstränge sind ganz klar das, worauf unser Fokus in der eigenen Entwicklung liegt.

Bei der Auftragsfertigung sind wir aber natürlich flexibel: Wenn ein OEM kommt und zusätzliche Kapazität braucht, um beispielsweise Lkw oder Busse zu bauen, dann ist das unabhängig von deren Antriebskonzept.

Hätten Sie grundsätzlich noch Potenzial, um Aufträge in der Lohnfertigung anzunehmen?

Ja, natürlich. Wir bewerben uns auch aktiv dafür, damit wir Auslastung in die Fabrik bekommen. Das Entwickeln von eigenen Fahrzeugen und bis man diese in Serie hat, braucht eine bestimmte Zeit. Parallel dazu bemühen wir uns eben auch um Auftragsfertigung.

Versorgungsproblemen gibt es global und die hat derzeit jeder. Das sind Themen, mit denen man konfrontiert ist und dann muss man dafür Lösungen finden“

Was ist der Zeithorizont bis zur Serienfertigung eigener Fahrzeuge?

Wir zielen grob in die zweite Hälfte 2024. Das hängt natürlich von einigen Faktoren ab. Ob es also wirklich Ende 24 oder Anfang 25 wird, ist schwer abzusehen. Momentan passiert ja insgesamt sehr viel im Markt, aber das wäre der Zeitplan. Schneller geht es auf keinen Fall.

Wären das primär Busse und Lieferwagen?

Einerseits geht es um Lieferwagen auf einer elektrifizierten Plattform, als Single- und Double-Cab. Parallel dazu sind wir am Thema Busse dran. Der Fokus liegt momentan eher auf kürzeren Bussen mit neun Metern Länge, weil wir denken, dass für bestimmte Anwendungsfälle hier der Bedarf steigen wird.

Ein spannendes Konzept, das Steyr Automotive im Frühjahr verkündet hat, war die Vertriebspartnerschaft mit Raiffeisen Lagerhaus. Bleibt diese für künftige Steyr-Produkte im Spiel und wird Raiffeisen dann womöglich auch den Service für diese Fahrzeuge übernehmen?

Das bleibt im Spiel. Die haben ein super dichtes Netzwerk österreichweit und sind auch in Süddeutschland über Partner engagiert. Daher ist dieses Konzept nach wie vor aufrecht und das wäre der Partner für unsere Fahrzeuge, wenn es um das Thema After-Market geht, etwa mit einer 24-Stunden-Ersatzteilversorgung. Das ist unverändert zu dem, was im Frühjahr kommuniziert wurde.

Österreich ist bekanntlich ein Hochlohnstandort. Jetzt ist das für die Automobilindustrie gar nicht so relevant, weil andere Kostenfaktoren eine größere Rolle spielen. Dennoch hat es im Zuge der Übernahme des Werks durch Steyr Automotive die Sorge gegeben, dass die einstige Personalstärke am Standort nicht gehalten werden kann. Wie viel Prozent der ehemaligen MAN-Mannschaft sind denn aktuell noch in Steyr beschäftigt? Wie sehen Sie die Personalentwicklung in den kommenden zwölf Monaten?

Die gesamte Belegschaft, einschließlich der Leasing-Arbeitskräfte, ist nach wie vor auf einem Niveau von circa 2.000 Mitarbeitern. Es wird natürlich, wenn der Fertigungsvertrag mit MAN ausläuft, eine Delle geben. Aber dafür hat man seinerzeit einen Sozialplan gemacht, den auch einige Leute in Anspruch nehmen. Das wird helfen, diese Delle zu managen. Parallel arbeiten wir dran, dass wir neue Aufträge bekommen. Wenn Die Auftragsfertigung für Volta Trucks hochläuft, wird einiges an Personal, das bisher für MAN gefertigt hat, dort benötigt. Wir fertigen ja nicht nur den Volta Lkw, sondern auch den Aufbau. Das ist ein weiterer Baustein im Sinne der Beschäftigungssicherung. Und wie gesagt: Wir arbeiten hart daran, dass wir weitere Aufträge bekommen, um hier für noch mehr Auslastung zu sorgen. Aber dass wir mit dem Auslaufen der Fertigung für MAN und dem erst erfolgenden Hochlauf der Fertigung für Volta Trucks die Personalstärke nicht eins zu eins übertragen können, ist klar.

Siegfried Wolf war als Manager bei Magna und auch bei GAZ sehr erfolgreich. Ist er bei Steyr Automotive auch operativ präsent?

Er ist der Aufsichtsratsvorsitzende und damit berichte ich an ihn. Es gibt die gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtsratssitzungen. Das ist die Rolle, die er wahrnimmt. Operativ sind wir vom Management verantwortlich.

Dass wir mit dem Auslaufen der Fertigung für MAN und dem erst erfolgenden Hochlauf der Fertigung für Volta Trucks die Personalstärke nicht eins zu eins übertragen können, ist klar"
„Wir arbeiten hart daran, dass wir weitere Aufträge bekommen, um hier für noch mehr Auslastung zu sorgen“

In Steyr werden bereits seit 100 Jahren Lkw gefertigt. Es kann natürlich niemand sagen, ob das auch in hundert Jahren noch so sein wird, aber was ist Ihre Vision für den Standort in zehn Jahren?

Dass man eigene Fahrzeuge unter eigener Marke wieder auf der Straße hat. Das ist schon eine tolle Vision, weil die Lkw-Marke Steyr vor gut 30 Jahren mit der Übernahme durch MAN verschwunden ist. Diese jetzt wiederzubeleben und unter der Marke Steyr Fahrzeuge auf die Straße zu bringen – das ist die große Vision. Und damit natürlich auch Auslastung zu generieren, um dem Werk wieder zu Wachstum zu verhelfen.

Von den Geschäftsbereichen her wird es weiterhin drei Standbeine geben: Einmal die Auftragsfertigung, also Contract-Manufacturing. Wenn irgendein Nutzfahrzeughersteller zusätzliche Kapazität braucht, dann kann man diese zur Verfügung stellen. Die eigenen Fahrzeuge sind das zweite Standbein. Das dritte Geschäftsfeld ist Entwicklung und Forschung, wo wir in der Endausbaustufe Engineering-Dienstleistung für externe Kunden anbieten.

Fertigungswerke gibt es viele. Gibt es irgendein herausragendes Merkmal, wo man sagen kann: Das ist der Grund, warum Steyr ein idealer Standort ist, um Automobile oder Nutzfahrzeuge zu produzieren?

Ich würde sagen, die Passion der Leute. Knowhow, das über Generationen gewachsen ist. Das merkt man, das spürt man, das fühlt man. Wir haben sehr gut ausgebildete Fachkräfte und dieses über Generationen entstandene Knowhow in dieser Gegend macht die Leute sehr stolz. Die wollen weiterhin ein Komplettfahrzeug bauen und das merkt man. Daher kommt auch die Unterstützung: Die wollen die Marke Steyr wieder auf die Straße bringen. Und das ist eine wahnsinnige Motivation und das, was den Standort so stark macht.

Herr Ecker, vielen Dank für das Gespräch.