Brennerkorridor : Salvini will vor EuGH, Gewessler: "Tiroler offenbar egal"
Italien macht offenbar seine Drohung wahr und wendet sich wegen des Konflikts mit Österreich aufgrund der Tiroler Anti-Transitmaßnahmen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Vor dem Parlament in Rom kündigte Vizepremier und Verkehrsminister Matteo Salvini den Gang zum EuGH an. Scharf die Reaktion von Verkehrsministerin Leonore Gewessler: "Die Situation der Menschen in der gesamten Region Tirol ist ihm offenbar egal."
"Solange seine Frächterlobby Gewinn macht", ergänzte die österreichische Klimaschutzministerin. Salvini hatte zuvor in einer Fragestunde des Parlaments deutliche Worte gefunden: "An diesem Punkt angelangt, vertrauen wir der Gerechtigkeit des EU-Gerichtshofs. Unsere Regierung wird dieser Schande ein Ende setzen." Gleichzeitig kritisierte er EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen scharf, weil sie noch kein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet habe. "Nach vier Jahren Untätigkeit der Europäischen Kommission hat diese Regierung beschlossen, das im EU-Vertrag vorgesehene Verfahren zu aktivieren, um einen anderen Staat wegen Verletzung des EU-Rechts vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Dies ist eine starke, aber notwendige Initiative. Mein Ministerium und die Regierung bereiten das Dossier vor."
Transiteinschränkungen seien "Akt der Gewalt"
Bevor ein Mitgliedstaat wegen einer angeblichen Verletzung der Verpflichtungen aus den Verträgen gegen einen anderen Staat Klage erhebt, muss die EU-Kommission damit befasst werden. Die EU-Kommission erlässt eine mit Gründen versehene Stellungnahme und gibt den beteiligten Staaten zuvor Gelegenheit zu schriftlicher und mündlicher Äußerung in einem kontradiktorischen Verfahren. Gibt die Kommission binnen drei Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem ein entsprechender Antrag gestellt wurde, keine Stellungnahme ab, so kann ungeachtet des Fehlens der Stellungnahme vor dem Gerichtshof geklagt werden.
"Wir haben es mit einem Akt der Gewalt und der politischen Arroganz seitens der Regierung eines EU-Mitgliedstaates zu tun, dem wir ein Ende setzen müssen. Die Beschränkungen wurden von Österreich aus Gründen des Umweltschutzes eingeführt, aber hier geht es nicht um Umwelt", polterte Salvini einmal mehr. Hier gehe es einfach um unlauteren österreichischen Wettbewerb gegen Unternehmer und Frächter aus Italien, Deutschland und dem gesamten europäischen Kontinent.
Gewessler zeigte sich indes trotz Salvinis Ankündigung "gelassen." "Die Tiroler Notmaßnahmen gibt es aus einem guten Grund. Sie schützen die Tirolerinnen und Tiroler. Für mich ist klar: Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir die Bevölkerung ernst nehmen", unterstrich die Ministerin.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle machte in einer Reaktion auf Salvini klar, dass sein Bundesland an den Transit-Maßnahmen festhalten werde. "Und ich weiß, dass die Bundesregierung und die Menschen in unserem Land hinter Tirol stehen", erklärte Mattle. Salvini fordere immer mehr Lkw, die er über den Brenner schicken will. "Und er wird dabei in seiner Sprache immer extremer", so der Landeshauptmann. Italien sollte sich "als europäischer Partner und im Sinne der Menschen entlang des Brennerkorridors auf die Reduktion des Verkehrs und die Verkehrswende als Teil des Klimaschutzes konzentrieren." "Für Tirol wiegen der Schutz der Gesundheit, der Umwelt und der Infrastruktur schwerer als die fossile Verkehrspolitik in Italien", ließ Mattle deutliche Kritik durchklingen.
ANITA und Conftrasporto hinter Salvini
Die italienischen Frächterverbände ANITA und Conftrasporto begrüßten hingegen wenig überraschend Salvinis Worte. "Nun hoffen wir, dass der Europäische Gerichtshof endlich Klarheit in der heiklen Transitfrage schafft. Wir danken Minister Salvini ausdrücklich für seine Arbeit und dafür, dass er alle notwendigen Anstrengungen unternommen hat, um ein so wichtiges Thema für die Unternehmen des Sektors zu behandeln", hieß es in einer Presseaussendung des ANITA-Verbands.
Erneut kritisierte Salvini zudem die Pläne der österreichischen Bundesregierung, wegen der Flüchtlingssituation außerordentliche Kontrollen an den Grenzen zum Schengen-Partner Italien einzuführen. Salvini will daher im Oktober zum Brenner reisen. "Das wird eine Gelegenheit sein, um die Lage zu prüfen, nachdem Wien angekündigt hat, die Grenzkontrollen verschärfen zu wollen. Italien darf von anderen EU-Ländern nicht benachteiligt werden: Ohne eine Rückkehr zu einer loyalen Zusammenarbeit will Salvini eine Verschärfung der Grenzkontrollen für österreichische Fahrzeuge vorschlagen", hieß es in einer Mitteilung des Verkehrsministeriums in Rom.
Bundeskanzler Karl Nehammer hat aufgrund der Situation in Lampedusa außerordentliche Kontrollen an den Grenzen zum Schengen-Partner Italien erwogen bzw. in Aussicht gestellt. Tirols Landespolizeidirektor Helmut Tomac kündigte unter anderem verstärkte Kontrollen im Hinterland an. Stichproben-Kontrollen auf der Autobahn sowie Kontrollen in den Zügen führe man ohnehin durch. Man stelle aber fest, dass die aktuelle Route nicht über den Brenner führe. Die Aufgriffe von irregulär eingereisten Menschen in Tirol seien zwar "marginal" gestiegen, "aber nicht bemerkenswert", so Tomac.
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In Sachen Transit hatte EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen zuletzt versucht, in dem Dauerkonflikt "ein letztes Vermittlungsgespräch" anzubieten. Das zugrunde liegende Problem könne nur "gemeinsam" mit den drei beteiligten Ländern Österreich, Deutschland und Italien gelöst werden, sagte die Kommissionspräsidentin.
Auf regionaler Ebene hatte es dagegen an der Transit-Front eine Einigung gegeben. Die Landeschefs von Bayern, Tirol und Südtirol - Markus Söder, Mattle und Arno Kompatscher - hatten im April in Kufstein öffentlichkeitswirksam ein "Slot-System" präsentiert. Für ein solches digitales, grenzüberschreitendes Verkehrsmanagement müsste aber ein Staatsvertrag zwischen Österreich, Deutschland und Italien abgeschlossen werden. Ein solcher ist noch in weiter Ferne. Denn Salvini zeigte sich bisher strikt ablehnend - er will erst darüber reden, wenn die transiteinschränkenden Maßnahmen und Fahrverbote aufgehoben werden.
(APA/red.)