Klimaneutralität : Zwischen Dekarbonisierung und Modal Split

Univ. Prof. Dr. Sebastian Kummer vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien

Univ. Prof. Dr. Sebastian Kummer vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien

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Klimaneutralität? Wenn überhaupt, dann kann diese erst 2050 erreicht werden. Es ist eine wenig optimistische Prognose, die auf einer Pressekonferenz von Univ. Prof. Sebastian Kummer verkündet wurde. Im Rahmen dessen ging der Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) näher auf die aktuelle Situation des heimischen Güterverkehrs ein und präsentierte eine aktualisierte Studie.

Entgegen politischer Vorhersagen und Pläne habe die Gesamtgüterverkehrsleistung sowie der Straßenanteil im Modal Split zugenommen. Sollen die Klimaziele für 2030 und 2040 nicht gänzlich außer Reichweite geraten, müsse Österreich unmittelbar für eine Reduktion der Emissionen im Straßengüterverkehr sorgen. Blickt man auf die Website des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, ist vom Ziel, bis spätestens 2040 klimaneutral zu sein, die Rede.

Wunschdenken statt Realität?

„Anhand der Fakten wird erneut deutlich, dass die Prognosen, auf deren Grundlage Klimaschutzministerium und Regierung planen und entscheiden, eher deren Wunschdenken als der Realität entsprechen", betonte Kummer und ergänzte: Während der Modal Split der Straße zwischen 2019 und 2023 zunahm, sank sein Anteil im Schienengüterverkehr und in der Binnenschifffahrt.

Für die Schiene wird sich dieser Trend laut Kummer fortsetzen, unter anderem aufgrund einer veränderten Marktnachfrage, die etwa nach höherer Flexibilität verlangt. Auch technologische Nachteile der Schiene durch europaweit unterschiedliche Stromstandards, Spurweiten und Zugsicherungssysteme, der generelle Zustand der europäischen Schieneninfrastruktur oder Kapazitätsengpässe durch den Vorrang des Personenverkehrs und zunehmenden Personalmangel seien mögliche Gründe.

Was ist der Modal Split?

Die Kenngröße Modal Split (oder Modalsplit, manchmal auch Modal Share) bezeichnet die Verkehrsmittelwahl und das individuelle Mobilitätsverhalten. In Verkehrsstatistiken wird der Begriff genutzt, um zu beschreiben, wie sich die Verkehrsnachfrage von Personen auf unterschiedliche Verkehrsmittel verteilt. Anders gesagt bezeichnet der Modal Split die Aufteilung des Transportaufkommens und der Transportleistung auf die zur Verfügung stehenden Transport- und Verkehrsmittel.

Wie sich der Modal Split genau zusammensetzt, ist vom verfügbaren Verkehrsangebot und von ökonomischen Entscheidungen abhängig. Mit dem Modal Split kann die Verteilung des Verkehrsaufkommens oder die Verkehrsleistung nach den einzelnen Verkehrsmitteln in Prozent angegeben werden. Er gibt Aufschluss darüber, welche Verkehrsmittel welchen Anteil an den täglichen Wegen oder zurückgelegten Kilometern haben. Personenverkehr und Güterverkehr werden bei der Bestimmung des Modal Shares getrennt voneinander analysiert. Modal Split und Modal Shift sind keine Synonyme - Modal Shift steht für die Verkehrsverlagerung.

Straße weiterhin dominierend

Kummer aktualisierte mit seinem Team eine Studie aus den Jahren 2020 und 2021 und berechnete drei Szenarien, die das Wachstum von Straße und Schiene bis 2030 und 2040 abschätzen. Folgende drei Ausgangspunkte liegen der Studie zugrunde:

  • ein Halten des Modal Split im Jahr 2019
  • ein anteiliges Wachstum der Schiene von jährlich 2,2 Prozent
  • ein Modal-Split-Anteil der Schiene von 40 Prozent im Jahr 2040

Alle Szenarien haben die Annahme gemein, dass der österreichische Güterverkehr bis 2040 um 38 Prozent wachsen wird, sofern Europa nicht in eine tiefe Rezession fällt. Ergebnis aller drei Szenarioanalysen: die Straße bleibt weiterhin der dominierende Verkehrsträger.

Bei einem Wachstum des Schienengüterverkehrs von 2,2 Prozent, von dem auch die ÖBB ausgehen, und einem konstanten Modal Split werde der Straßengüterverkehr bis 2040 um mehr als 24 Milliarden Tonnenkilometer gegenüber 7 Milliarden Tonnenkilometern der Schiene wachsen. Damit ein Schienenanteil von 40 Prozent erreicht werden kann, müsste der Schienengüterverkehr bis zum Jahr 2040 um 100 Prozent wachsen – ergo sich verdoppeln. „Selbst unter der unrealistischen Annahme, dass bis 2040 ein Schienenanteil von 40 Prozent erreicht wird, würde der Straßentransport um 17 Prozent wachsen", schlussfolgerte Kummer.

"Der Straßengüterverkehr muss mit allen Mitteln dekarbonisiert werden."
Univ. Prof. Sebastian Kummer, Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der WU Wien

Größte Hebel zur CO2-Einsparung

Die Ziele Österreichs und der Europäischen Union, die CO2-Emissionen im Straßengüterverkehr bis 2040 bzw. 2050 auf netto null zu reduzieren, würden vor diesem Hintergrund immer weniger erreichbar erscheinen. Auch, wenn alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen werden würden: Ein Erreichen des Netto-Null-Emissions-Ziels ist in Dekaden betrachtet herausfordernd bis unwahrscheinlich, so Kummer.

Die aktualisierte Studie zeigt, dass Klimaneutralität bei Ausschöpfung aller verfügbaren Potenziale bestenfalls 2050 gelingen kann:

  • Bis 2030 liegen die größten CO2-Einsparungspotenziale in der Batterieelektrik im Nahverkehr (18 Prozent) und im Einsatz von hydriertem Pflanzenöl (HVO) auf der Langstrecke (10 Prozent). Wasserstoff spielt eine noch eher untergeordnete Rolle (5 Prozent), LNG (liquefied natural gas) setzt sich weiterhin nicht durch. Das Zwischenziel für Einsparungen würde um 15 Prozentpunkte verfehlt werden.
  • Bis 2040 werden die Einsparpotenziale der Batterieelektrik stark ansteigen, Wasserstoff wird mit den ebenfalls steigenden Einsparpotenzialen von HVO gleichziehen. Geringere Einspareffekte werden Maßnahmen wie die Zulassung höherer LKW-Kapazitäten, Anpassungen von Fahrverboten und die Forcierung von Leichtbau und Aerodynamik bringen, diese sind aber unverzichtbar. Auch 2040 würden bei Realisierung aller Potenziale noch 7 bis 14 Prozentpunkte auf die Erreichung des österreichischen Netto-Null-Emissions-Zieles fehlen.
  • Bis 2050 könnte bei der erfolgreichen Ausschöpfung aller Potenziale ein klimaneutraler Straßengüterverkehr gelingen. Dies würde zu 41 Prozent durch batterieelektrische Technologien, zu 25 Prozent durch den Einsatz von Wasserstoff, zu 22 Prozent durch HVO sowie zu 15 bis 25 Prozent durch den Einsatz von E-Fuels getragen werden. Die größten Hebel zur CO2-Einsparung wären somit batterieelektrische und wasserstoffbasierte Technologien.

Für Kummer steht fest: „Wer die vorliegenden Fakten und Szenarien auch nur annähernd ernst nimmt, dem ist klar: Ich muss jetzt handeln. Ich muss trotz begrenzter Möglichkeiten alles aus der Schiene herausholen. Vor allem aber muss ich den Straßengüterverkehr als größten CO2-Hebel mit allen Mitteln dekarbonisieren“.

Was versteht man unter Dekarbonisieren?

Dekarbonisierung (oder Entkarbonisierung) kann vom lateinischen Wort für Kohlenstoff "carbon" sowie der Vorsilbe "de" abgeleitet werden. Im Sinne der Dekarbonisierung ist es demnach wichtig, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und Kohlenstoff bzw. die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas oder Öl zu vermeiden. Stattdessen soll auf kohlenstofffreie, kohlenstoffarme und erneuerbare Energiequellen umgestiegen werden.

Straßengüterverkehr nachhaltiger machen

Um die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs zu realisieren, sind laut Kummer zahlreiche Maßnahmen notwendig. Zum Beispiel folgende:

  • Forschung und Investitionen in alternative Antriebe
  • effizientere Fahrzeuge
  • Infrastruktur und Digitalisierung
  • Aufbau einer flächendeckenden europäischen Lade- und Tankinfrastruktur für LKWs
  • Abbau bürokratischer Hürden
  • mehr Marktorientierung und Verlässlichkeit der Unternehmen im europäischen Schienengüterverkehr

Damit CO2 möglichst schnell und umfassend eingespart werden kann, brauche es zudem einen technologieoffenen, integrierten Ansatz über alle Verkehrsträger und Antriebstechnologien hinweg. Aus Kummers Sicht ist Österreich besonders gefordert, realistische Modal-Split-Ziele zu formulieren und zu verfolgen. "Die EU muss mit der Entwicklung und Abstimmung eines nachhaltigen Gesamtenergiekonzeptes für Industrie, Straße, Schiene, Wasserstraße und Luftfahrt die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene schaffen“.