EU-Recht : Wichtige Änderungen im internationalen Güterverkehr durch das EU-Mobilitätspaket
Das Interesse seitens der Transportwirtschaft war groß, als die Experten von Cargo Experts, Dr. Christian Spendel, Dr. Dominik Schärmer und Mag. Alexej Miskovez im Rahmen des WKÖ-Branchenforums in Ansfelden bei Linz zum Thema „EU-Mobilitätspaket“ referierten.
In seiner Einleitung bezeichnete Dr. Spendel das Mobilitätspaket als die „Quantenphysik der Verkehrsbranche“: Das Regelwerk ist derart komplex, dass auch die Juristen große Mühe hatten, sämtliche Bestimmungen in all ihren Facetten zu verstehen. Selbst die EU-Kommission ist sich bei der Interpretation ihrer Bestimmungen nicht ganz sicher und hat vorsichtshalber die Haftung für ihre eigenen FAQs ausgeschlossen. Soll heißen: Wer auf der Website der EU-Kommission nach juristisch gesicherten Informationen zum EU-Mobilitätspaket sucht, wird enttäuscht, weil die dortigen Auskünfte nicht rechtsverbindlich sind. Das ist einigermaßen grotesk.
In der Konsequenz führt es nämlich dazu, dass sich der Normunterworfene (in diesem Fall das Transportunternehmen) nicht auf die Rechtsverbindlichkeit der Informationen der normsetzenden Instanz verlassen kann. Natürlich muss der Unternehmer trotzdem sein Verhalten anhand der geltenden Rechtstexte ausrichten. Die Auslegung des Unionsrechts obliegt aber ausschließlich dem Gerichtshof der Europäischen Union. Im Klartext: Ob der Transportunternehmer wirklich alles richtig gemacht hat, klärt sich dann erst vor Gericht.
Die Bestandteile des Mobilitätspakets
Das EU-Mobilitätspaket besteht aus zwei Verordnungen und einer EU-Richtlinie, mit der wesentliche Bestimmungen im Transportsektor europaweit vereinheitlichen werden sollen.
- Verordnung über maximale Arbeitszeiten und Mindestruhezeiten für Fahrer sowie über die Positionsbestimmung mittels Fahrtenschreibern VO (EU) 2020/1054 vom 15. Juli 2020 zur Änderung der VO (EG) Nr. 561/2006
- Verordnung, die den Marktzugang im Güterkraftverkehr und den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers regelt VO (EU) 2020/1055 über den Marktzugang
- Richtlinie zur Überarbeitung der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung von Vorschriften für die Entsendung von Kraftfahrern. RL 2020/1057 (Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor)
Transportunternehmer, die im grenzüberschreitenden Verkehr tätig sind, kommen nicht umhin, sich mit diesen Bestimmungen zu befassen. Denn, so die Experten von Cargo Experts: Diese Rechtstexte haben direkten Einfluss die Art und Weise, wie internationale Verkehre in Zukunft organisiert werden müssen. Dabei gilt es insbesondere die EU-Sozialvorschriften im grenzüberschreitenden Güterverkehr und die Bestimmungen für die Entsendung von Fahrpersonal zu berücksichtigen.
Neuregelungen zur Wochenruhezeit seit 2020
Einige Regelungen aus dem Mobilitätspaket gelten bereits seit dem 20. August 2020. So ist es seitdem europaweit verboten, dass Fahrer die reguläre Wochenruhezeit von 45 Stunden in der Kabine verbringen. Einen Nachweis über eine Hotelrechnung oder ähnliches können die Kotrollorgane allerdings nicht verlangen, der Fahrer muss vielmehr auf „frischer Tat“ ertappt werden, während er die Ruhezeit im Fahrzeug verbringt. Das dürfte aller Voraussicht nach zu vermehrten Kontrollen auf Rastplätzen führen.
Aus dem Verbot, die Wochenruhezeit in der Kabine zu verbringen, ergeben sich für den Unternehmer nicht nur organisatorische Fragen hinsichtlich Tourenplanung und Unterkunft für die Lenker. Es geht auch um versicherungstechnische Probleme, betonen die Referenten von Cargo Experts. Ist ein etwaiger Schaden gedeckt, wenn der Lkw mit wertvoller Fracht beladen und am Wochenende unbewacht ist? Spediteure und Frächter sind gut beraten, die Bestimmungen ihrer CMR-Versicherung genau zu prüfen. Gegebenenfalls müssen sie mit der Versicherung in Kontakt treten, um Lösungen für das Problem zu erörtern. Ansonsten kann es passieren, dass bei einem Ladungsdiebstahl keine Deckung für den Schaden besteht.
Weiterhin im Lkw verbracht werden darf nur die verkürzte Wochenruhezeit. Diese kann höchstens zweimal hintereinander eingelegt werden und die Verkürzung ist entsprechend auszugleichen. Wochenruhezeiten dürfen im begleiteten Kombiverkehr, also etwa auf der Fähre oder dem Zug, bis zu zweimal für insgesamt eine Stunde unterbrochen werden. Dies gilt sowohl für die reguläre als auch die verkürzte Wochenruhezeit.
Außerdem müssen Fahrer spätestens alle vier Wochen an den Unternehmenssitz oder ihren Wohnsitz zurückkehren können. Eine Verpflichtung für den Fahrer, dies auch tatsächlich zu tun, besteht nicht – die Gelegenheit muss aber gewährt werden. Sollte der Lenker diese Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen wollen, dann ist es ratsam, wenn sich der Unternehmer dies schriftlich bestätigen lässt.
Außergewöhnliche Umstände bei Lenk- und Ruhezeiten
Am letzten Arbeitstag der Woche kann die Wochenlenkzeit abweichend von den Lenkzeitbestimmungen um maximal zwei Stunden überzogen werden, um zum Wohn- oder Unternehmensstandort zurückzukehren. Die tägliche Lenkzeit darf höchstens um eine Stunde überzogen werden, bei 30minütiger Fahrtunterbrechung. Dies gilt jedoch nur, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen und dadurch die Verkehrssicherheit nicht gefährdet wird. Eindringlich warnt Dr. Spendel davor, den Sachverhalt „außergewöhnlicher Umstand“ auf die leichte Schulter zu nehmen und flexibel zu interpretieren. Ein einfacher Stau wegen Überlastung und dergleichen zählten nicht dazu, sondern es gehe vielmehr um völlig unvorhersehbare Ereignisse, wie beispielsweise eine spontane Straßensperrung aufgrund eines unvermittelt auftretenden Unwetters. Wird eine Straße hingegen schon vorangekündigt gesperrt, dann ist dies vorhersehbar und folglich auch kein außergewöhnlicher Umstand. In jedem Fall, so der Experte, muss jeder Sachverhalt, der zu einer Lenkzeitüberschreitung führt, entsprechend dokumentiert werden. Dazu muss ein Ausdruck aus dem Tachografen erfolgen, auf dem handschriftlich der Vermerk „außergewöhnliche Umstand“ mit näheren Angaben dokumentiert wird. Es gilt das Fahrpersonal entsprechend zu unterweisen, um Strafen zu vermeiden bzw. dagegen einen Einspruch einzulegen.Apropos Tachograf und Dokumentation: Erlaubt ist seit 2020 auch die Erfassung von Fahrtunterbrechungen, Ruhezeiten, Jahresurlaub oder krankheitsbedingten Fehlzeiten am Digital-Tachografen unter dem Bett-Symbol. Zudem sind Fahrtunterbrechungen bei Mehrfahrerbesatzungen auch während der Lenkzeit des zweiten Fahrers möglich.
Die Referenten von Cargo Experts betonen bei ihrem Vortrag die Relevanz der EU-Sozialvorschriften auch in Hinblick auf die Einstufung des jeweiligen Verkehrsunternehmens im Risikoeinstufungssystem, auf das nun Kontrollorgane in allen EU-Mitgliedsstaaten Zugriff erlangen.
Dokumentation des Grenzübertritts seit Februar 2022
Seit Februar 2022 muss die Dokumentation des Grenzübertritts am digitalen Fahrtenschreiber erfolgen. Dazu ist es nötig, unmittelbar am Grenzübergang bzw. an der ersten Haltemöglichkeit stehen zu bleiben und am Tachografen das richtige Land einzustellen. Hintergrund sind die neuen Entsenderegelungen im Mobilitätspaket und die sogenannten „Gastlandbestimmungen“ für die Entlohnung des Fahrpersonals. Diese besagen, dass der Lohn des Fahrers im Fall der Entsendung zumindest dem Mindestlohn des Gastlands entsprechen muss. Dies ist auf Verlangen nachzuweisen und für die Entsendung muss vorab eine digitale Meldung erfolgen. Diese EU-Bestimmung vereinheitlicht die bisher unterschiedlichen, nationalen Regelungen dieser Angelegenheit – etwa das deutsche Mindestlohngesetzt. Wie das im Detail geregelt ist, erfahren lesen Sie in diesem Artikel über die Bestimmungen zur Entsendung von Kraftfahrern!
Rückkehrverpflichtung im internationalen Verkehr seit 21. Februar 2022
Seit langem ein Streitpunkt im internationalen Güterverkehr ist die sogenannte Kabotage, also die Erbringung von Transportleistungen durch ausländische Frächter. Hierbei geht es vor allem um Wettbewerbsgleichheit: Unternehmungen mit einem Firmensitz mit niedrigen Löhnen und Steuern, typischerweise in Osteuropa, könnten ohne entsprechende Regulierung die Preise am Transportmarkt der Hochlohnländer systematisch unterbieten. Das würde nicht zuletzt auch den Lohndruck auf das Fahrpersonal in Westeuropa erhöhen und womöglich, wenn sich Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Folge ständig verschlechtern, auch den Fahrermangel weiter verschärfen. Um dem entgegen zu wirken, unterliegt die Kabotage bestimmten Beschränkungen.
Neu seit 21. Februar 2022 ist eine Rückkehrverpflichtung für Lkw im internationalen Verkehr. Höchstens acht Wochen nach Verlassen des Staates, in dem die Niederlassung angesiedelt ist, muss das Fahrzeug zu einer Betriebsstätte in diesem Land zurückkehren. Anschließend muss eine viertägige Pause eingelegt werden, in der im gleichen Gastland keine weiteren Kabotage-Transporte erlaubt sind („Cooling off”-Phase).
Ausblick: bevorstehende Änderungen im EU-Güterverkehr
- Das gilt ab 21.Mai 2022:
Im grenzüberschreitenden, gewerblichen Straßengüterverkehr besteht ab 21. Mai 2022 eine Konzessionspflicht für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht über 2,5 Tonnen. Damit will die EU-Kommission diesen weitgehend unregulierten Wildwuchs im internationalen Güterverkehr stärker regulieren. - Das gilt ab dem Sommer 2023:
In allen neuen Nutzfahrzeugen, also Lkw und Bus, muss der neue intelligente Fahrtenschreiber der 2. Generation (Version 2), verbaut werden - Das gilt ab dem 31. Dezember 2024
Die Mitführungspflicht von Belegen erhöht sich bei aufzeichnungspflichtigen Fahrten: Es müssen ab diesem Zeitpunkt die letzten 56 Tage nachweisbar sein, bisher waren es „nur“ 28 Tage - Das gilt ab 1. Jänner 2025
Ab Jahresbeginn 2025 müssen alle Fahrzeuge im internationalen Verkehr, die mit einem analogen oder digitalen Tachografen der ersten Generation ausgerüstet waren, auf den neuen, intelligenten Fahrtenschreiber der zweiten Generation, Version 2, umgerüstet sein - Das gilt ab dem Sommer 2025
Alle schweren Nutzfahrzeuge im grenzüberschreitenden Verkehr müssen auf den intelligenten Fahrtenschreiber der zweiten Generation (Version 2) umgerüstet worden sein - Das gilt ab 1. Juli 2026
Die EU-Verordnung über Lenk- und Ruhezeiten gilt ab diesem Zeitpunkt auch für die grenzüberschreitende Güterbeförderung oder Kabotagebeförderung mit Fahrzeugen und Fahrzeugkombinationen über 2,5 Tonnen höchst zulässigem Gesamtgewicht. Ebenfalls verpflichtend ist für diese Lkw im internationalen Verkehr ein Fahrtenschreiber. Die Geräte müssen dabei den gleichen Standards entsprechen, wie bei schweren Nutzfahrzeugen (2. Generation, Version 2).