Analyse : Die Porsche-Connection: Was steckt hinter dem Verkauf des MAN-Werks Steyr an Siegfried Wolf?

Siegfried Wolf GAZ
© APA/Hans Punz

Unlängst wurde bekannt, dass sich der Verkaufsprozess des MAN-Werks in Steyr bereits in der Zielgeraden befindet. Andere Interessenten beklagen nun, dass sie von MAN gar nicht erst zu Verhandlungen eingeladen wurden. Damit standen diesen auch keine fundierten Daten zur Verfügung, welche für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung und die Ausarbeitung eines elaborierten Konzepts über eine zukünftige Nutzung des Standorts erforderlich wären.

„Wir haben versucht, im September vergangenen Jahres mit dem MAN-Vorstand in Kontakt zu treten und unser Interesse am Werk Steyr zu manifestieren. Doch damals hieß es, es werde nicht verkauft, sondern geschlossen“, wird der Sanierer und Berater Christoph Strobl in den Oberösterreichischen Nachrichten zitiert. Auch der tschechische Nutzfahrzeughersteller Tatra hat wiederholt sein Interesse am Standort Steyr bekundet, zu weiterführenden Gesprächen über einen Verkauf mit MAN ist es aber nicht gekommen. Gleichzeitig gab es Gerüchte, dass MAN womöglich gar nicht an einen Lkw- oder Automobilproduzenten verkaufen würde. Dagegen spricht nun aber die Einigung mit Siegfried Wolf. Denn der 63-jährige sitzt unter anderem im Aufsichtsrat der russischen GAZ-Gruppe, eines bedeutenden Nutzfahrzeugherstellers von Russian Machines. Medienberichten zufolge ist geplant, in Steyr unter anderem Fahrerhäuser für GAZ zu produzieren. Außerdem sollen am Standort leichte Nutzfahrzeuge produziert werden. Dazu ist auch die Wiederbelebung der Marke „Steyr“ angedacht, deren Markenrechte derzeit allerdings bei Wolfs ehemaligem Arbeitgeber, Magna, liegen. Der Chef von Magna Europa, Günther Apfalter, zeigte sich zu Verhandlungen über die Markenrechte bereit.

Die Porsche-Connection von Siegfried Wolf

Siegfried Wolf ist eine bedeutende Persönlichkeit mit einem weit verzweigten Netzwerk in der Automobilindustrie und darüber hinaus. Nach 15 Jahren bei Magna, fünf Jahre davon als CEO, wechselte der gebürtige Steirer zu Russian Machines mit Sitz in Moskau. Acht Jahre lang, von 2010 bis 2018, diente er im Wirtschaftsimperium von Oleg Deripaska als Verwaltungsratsvorsitzender. Bei dessen Nutzfahrzeughersteller GAZ war Wolf neun Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender. Er ist nach wie vor Mitglied des Aufsichtsrats von GAZ und soll selbst zehn Prozent der Unternehmensanteile halten. Ebenso sitzt Wolf im Aufsichtsrat der Continental AG, der Schaeffler AG und der Miba in Laakrichen. Für die größte russische Bank fungiert Wolf seit 2012 als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Sberbank Europa AG. Außerdem ist Siegfried Wolf seit 2019 auch im Aufsichtsrat der Porsche Automobil Holding SE vertreten. Und hier wird es interessant, denn die Porsche SE ist der Mehrheitseigentümer von Volkswagen. Dessen Tochterunternehmen Traton ist wiederum Mehrheitseigentümer von MAN. Siegfried Wolf ist also sowohl in Eigentümer-Gremien des Käufers als auch des Verkäufers vertreten – das ist jedenfalls eine spannende Konstruktion. Im Aufsichtsrat von Traton befindet sich übrigens auch der Chef des MAN-Gesamtbetriebsrats, „Saki“ Athanasios Stimoniaris – jenes Betriebsrats, der noch im Jänner gegen das Management vor das Arbeitsgericht München zog, um die einseitige Aufkündigung der Standort- und Beschäftigungssicherungsverträge juristisch zu bekämpfen. Kurz darauf wurde medial jedoch eine Einigung zwischen Betriebsrat und Management verkündet, ohne dass es für das Werk Steyr eine Lösung gab. Seitdem kam es in der Causa zu keinem weiteren Termin am Arbeitsgericht München und es wurde von den Streitparteien auch kein solcher mehr beantragt. Das Verfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Beziehungen zwischen Volkswagen und GAZ

Auch Volkswagen und die GAZ-Gruppe unterhalten seit 2011 wirtschaftliche Beziehungen, GAZ fungiert als Auftragsfertiger für Pkw-Modelle von VW und Skoda in Russland. Im Juni 2017 wurde im Beisein des russischen Wirtschaftsministers ein neuerlicher Vertrag zwischen VW und GAZ über die Fertigung von Volkswagen- und Skoda-Modellen im russischen Nizhny Novgorod unterzeichnet. Gleichzeitig liefert Volkswagen seine 2.0-Liter-Motoren für leichte Nutzfahrzeuge an GAZ, der Vertrag läuft bis 2025. Der damalige Verwaltungsratsvorsitzende des GAZ-Eigentümers Russian Machines, Siegfried Wolf, sagte dazu: „Die Ausdehnung der Kooperation mit der Volkswagen-Gruppe wird die weitere Modernisierung der Produktionskapazitäten des Gorky Automobilwerks sicherstellen und neuen Schwung in die Entwicklung unserer Modelpalette und ein Wachstum der Exporte bringen.“

GAZ ist also ein lokaler Produzent von Volkswagenfahrzeugen in Russland und eine Eintrittstür für den Konzern in den russischen Markt. Hunderte Millionen Euro sollen von Volkswagen bereits in das Joint-Venture geflossen sein. Das deutsche Handelsblatt berichtete auch von einer Übernahme von GAZ-Anteilen durch VW. Zudem war eine Montageproduktion des VW-Crafter und sogar von MAN Lkw angedacht worden, wobei der geplante Produktionsumfang von 10.000 bzw. 14.000 Stück laut Handelsblatt die Nachfrage am russischen Markt überstiegen hätte. Eine mögliche Lösung wurde auch gleich skizziert: der Export von VW und MAN-Fahrzeugen von Russland aus.

Russland-Sanktionen behindern VW und GAZ

Aufgrund seiner engen Beziehungen zum russischen Präsidenten Vladimir Putin war GAZ-Eigentümer Oleg Deripaska ins Visir von US-Sanktionen geraten. Diese begannen die Handlungsfähigkeit von GAZ zunehmend zu lähmen und bildeten ein ernstes Hindernis für die Kooperation mit Volkswagen. „Russischer VW-Partner GAZ kämpft um die Existenz“, titelte das Handelsblatt am 17. April 2019. Deripaska konnte sich sogar vorstellen, seine Anteile an GAZ abzugeben, damit das Unternehmen nicht weiter unter den US-Sanktionen leide. Eine erfolgversprechende Idee, wie das Beispiel des Aluminiumherstellers Rusal zeigt. Nachdem Deripaska dort seine Anteile abgegeben hatte, wurde das Unternehmen von der Sanktionsliste gestrichen. Es folgte der Aufbau einer Fabrik in den USA, um sich vor neuerlichen Sanktionen zu schützen. Eine Veräußerung seiner Anteile soll der Oligarch auch für GAZ angeboten haben und im Gegenzug dafür eine umstrittene Aussetzung der Sanktionen gegen das Unternehmen erwirkt haben – zuletzt verlängert bis Jänner 2022.

Ob und welche Auswirkungen der Ankauf des Lkw-Werks Steyr im Herzen Europas auf die US-Sanktionen hätte, ist unklar. Auf europäischer Ebene würden Sanktionen gegen GAZ bei einer erfolgreichen Übernahme des österreichischen Standorts jedenfalls schwierig. Und sollte Deripaska gleichzeitig auch seine Anteile an GAZ abgeben, dann ließen sich gewisse Ähnlichkeiten mit dem Rusal-Deal finden: Es käme wohl auch zu einer Aufhebung der Sanktionen seitens der USA. Es bleibt in diesem Zusammenhang aber noch die Frage, wer Deripaskas GAZ-Anteile übernehmen würde. Als möglicher Käufer tauchte im Jahr 2018 bereits ein bekannter Name auf: Siegfried Wolf. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Wolf die Übernahme von GAZ im Alleingang stemmen kann. Dafür bräuchte er wohl einen finanzkräftigen Partner. Und so schließt sich möglicherweise der Kreis zu Volkswagen.