Nutzfahrzeuge : Traktoren: Vom knatternden Dreizylinder zum Hightech-Gerät
Vom plumpen Arbeitsgerät bis hin zum Hightech-Monster: Traktoren sind nicht nur Hilfsmittel, sondern können eine echte Herzensangelegenheit sein. Spätestens auf der Landstraße vermitteln die Landmaschinen auch gehetzten Stadtbewohnern das Gefühl von „Entschleunigung“, wenn sich hinter ihren wuchtigen Reifen langsam die Fahrzeuge zu einer Kolonne stauen.
Herrlich unverblümt wird vom Traktorfahrer vermittelt: Hier bin ich der König und nicht der Großstadt-Börsianer im polierten Sportcoupé, der vom beschwerlichen bäuerlichen Landleben eigentlich keinen Schimmer hat. Doch bis die ersten Traktoren überhaupt ihren Dienst verrichteten, vergingen auf dem Land mehr als vier Jahrtausende mühevoller Handarbeit.
Die USA gilt als Wiege des Traktors
Erste Traktoren mit Verbrennungsmotor wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt. Bereits um 1885 arbeiteten in den USA verschiedene Firmen an der Entwicklung eines Arbeitsgerätes für die Landwirtschaft, das mit Flüssigbrennstoff Benzin oder Diesel betrieben werden sollte.
Als eigentlicher Erfinder des Traktors wird oftmals der Amerikaner John Charter angeführt, der bereits 1889 an seinem ersten Modell geschraubt haben soll. Das Jahr 1902 gilt wiederum als „Geburtsjahr“ der Traktorenindustrie, denn im US-Bundesstaat Iowa wurde eine Firma gegründet, die sich rein auf die Herstellung von Traktoren spezialisiert hat. Schon 1909 wurden in den USA jährlich bereits 2.000 Traktoren gefertigt.
Die Produktionszahlen nahmen in den kommenden Jahren stetig zu. Als erster Traktor im heutigen Sinne gilt der in Serie gebaute „Fordson“ des US-Autobauers Henry Ford aus dem Jahr 1917. Davor gab es nur extrem sperrige Dampfmaschinen. Für die Landwirtschaft waren sie ungeeignet. Der interkontinentale Technologietransfer brachte die US-amerikanische Traktorentechnologie sogar bis nach Russland, worauf dort erst eigene Modelle entstanden.
Während die Mechanisierung in den USA rasch voranschritt, musste die Landwirtschaft in Europa vergleichsweise lange ausschließlich mit Hilfe von Nutztieren wie Pferde, Ochsen und Eseln auskommen. Als Gründe werden aus historischer Sicht nicht nur der Rohstoffreichtum der USA, sondern auch die größeren landwirtschaftlichen Anbauflächen angeführt.
Zum Vergleich: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren nicht nur 60 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung Bauern, der Großteil bewirtschaftete Parzellenbetriebe, die nicht größer als zwei Hektar waren. Auch in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts bestand noch kein vergleichbarer Bedarf an Zugmaschinen für die Landwirtschaft in Europa. Vereinzelt kam es auf den großen Flächengütern Ostdeutschlands zum Einsatz von Traktoren, diese waren aber alle aus den USA importiert.
Die Mechanisierung der Landwirtschaft kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Fahrt. Ab 1947 wurden die ersten Traktoren von Steyr in Oberösterreich hergestellt. In Italien baute Sportwagenhersteller Lamborghini ab 1948 zunächst alliierte Militärfahrzeuge zu landwirtschaftlichen Maschinen um.
Der Dieselmotor setzt sich durch
Nur weniger als ein Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland verwendeten im Jahr 1925 einen Traktor. Diese Zahlen erfuhren auch in den nächsten Jahren keine Steigerungen. Eine nennenswerte Zunahme an Traktoren setzte erst mit der Verwendung von Dieselmotoren ein.
In den frühen Jahren der Traktorenherstellung wurden ganz unterschiedliche Motorenkonzepte vorgestellt. Einige davon setzten auf Benzinmotoren, andere auf Glühkopfmotoren, andere versuchten es mit Petroleum als Kraftstoff, andere mit Diesel. Der kraftvolle und robuste Dieselmotor setzte sich gegen die Konkurrenz durch.
1921 baute Benz und Cie. erstmals einen Motor von Rudolf Diesel in einen Traktor ein. Der Tüftler Diesel verkaufte seine Erfindung in Form von Motorlizenzen auch in die USA und andere Teile der Welt. In Deutschland stiegen bald weitere Hersteller in die Traktorenproduktion ein - darunter die Firma Lanz mit dem „Bulldog“ oder die Firma Hanomag mit dem „RD 28“. Neben den genannten Herstellern waren auch die Deutz-Werke führend im Traktorenbau.
Eine weitere wichtige Rolle spielte auch die Einführung des Luftreifens. In den 1930er Jahren wurden pneumatische Reifen von den Continental-Werken in Hannover hergestellt. Was heute selbstverständlich ist, war damals eine absolute Neuheit: Zuvor mussten umständlich Eisen- durch Elastikreifen ausgetauscht werden, wenn man vom Feld auf die Straße fahren wollte. Ende der 1930er-Jahre wurde in Deutschland schließlich die sogenannte Zapfwelle normiert, wodurch der Traktor zur bäuerlichen Universalmaschine wurde.
Traktorenboom ab den 50er Jahren
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in Deutschland schon etwa 70.000 Traktoren. Ein Großteil davon war defekt und passende Ersatzteile wurden noch nicht hergestellt. Viele Landwirte waren in dieser Zeit gezwungen, zu improvisieren, um ihre Traktoren überhaupt einsetzen zu können.
Ab den 1950ern begann für die Landmaschinenindustrie eine Zeit des Booms einzusetzen. Firmen wie Kramer, Porsche, Stihl, Lanz oder Allgaier stellten im deutschen Baden-Württemberg Traktoren her. Die Mechanisierung von landwirtschaftlichen Betrieben mit Traktoren kann auch als Reaktion gesehen werden, da viele landwirtschaftliche Arbeitskräfte in andere Wirtschaftsbereiche abwanderten.
Pferde- und sonstige Gespanne verschwanden zusehends. Die Traktoren übernahmen die Zugarbeit, sparten Arbeitskräfte und Kosten ein, und können somit als ein signifikanter Indikator der Technisierung der Landwirtschaft bezeichnet werden. Dieser Prozess spielte sich im Wesentlichen zwischen 1950 und 1970 ab.
Zahlreiche Zusammenschlüsse
In den 1950er Jahren gab es so viele verschiedene Marken und so viele Zulassungen wie nie mehr danach. Spitzenreiter der Bundesrepublik Deutschland war das Jahr 1955 mit fast 100.000 Einheiten. In dieser Zeit versuchten sich sogar hochkarätige Automobilhersteller wie Porsche wieder an dem Arbeitsgerät. Noch während der Kriegswirren verdiente sich der heutige Luxuswagenhersteller in Kärnten mit der Fertigung von Landmaschinen Geld dazu, das dafür eingesetzt wurde, den ersten Sportwagen in Serie zu schicken.
Die Blüte der Traktorenherstellung war jedoch bereits im Lauf der 1960er Jahre vorüber. Die Zahl der zugelassenen Traktoren sank bis 1970 auf rund die Hälfte der Zahlen aus den 1950er Jahren. Nur noch wenige Betriebe konnten und wollten die hohen Entwicklungskosten für die technisch immer anspruchsvolleren Landmaschinen tragen.
Viele deutsche Anbieter, darunter auch Porsche und MAN, zogen sich aus dem Traktorengeschäft zurück. Andere fusionierten oder konzentrierten sich auf Marktnischen, wie etwa die Firma Schlüter auf Großtraktoren. Zudem drängten immer mehr ausländische Anbieter auf den deutschen Markt.
Seit den 1990er Jahren sind die Märkte gesättigt, nur in Entwicklungsländern sind noch erwähnenswerte Zuwächse zu verzeichnen. Überleben konnten viele Werke nur, indem sie sich unter dem Dach eines Konzerns zusammenschlossen. Daher sind nur wenige global kooperierende Konzerne übriggeblieben - wie etwa die US-Firma John Deere, die auch ein Werk in Mannheim betreibt.
Der Diesel wird weiter optimiert
Mittlerweile verwenden Fachkundige gerne den Ausdruck „Off-Highway-Maschinen“, wenn sie von Geräten für die Landwirtschaft reden. Auf der diesjährigen Leitmesse Agritechnica in Hannover wurden aktuelle Trends präsentiert: So weisen moderne Arbeitsmaschinen im Off-Highway-Bereich immer mehr Funktionen auf, die den Bediener informieren und unterstützen sollen.
Die zunehmende Anzahl immer komplexer werdender Apparate und Funktionen birgt aber auch die Gefahr, den Fahrer abzulenken oder zu überfordern, statt ihn zu unterstützen und zu entlasten. Daher braucht es entsprechende Bedienkonzepte, an denen Hersteller tüfteln.
Fahrassistenzsysteme und Komfortfunktionen sind ein Teil davon, es geht aber auch um die Dynamik und Feinabstimmung im Bereich der Lenkung: Für mehr Sicherheit beim Fahren mit hoher Geschwindigkeit oder für Manövriergenauigkeit bei geringer Geschwindigkeit. Zu den jüngsten Innovationen gehören „Steer-by-Wire“-Technologien. Hierbei erfolgt der Lenkbefehl an die Räder elektromechanisch und nicht mehr durch eine mechanische Lenksäule. Das soll die Fehleranfälligkeit senken, werben die Hersteller.
Fest steht, moderne Traktoren haben mit den Zugmaschinen von früher kaum noch etwas gemein. Früher gab es übersichtliche Konstruktionen mit vier bis fünf Vorwärtsgängen, einem Rückwärtsgang und durchschnittlich 20 bis 30 PS an Motorleistung. Die Hightech-Maschinen von heute haben 40 und mehr Vorwärtsgänge oder sogar stufenlose Getriebe.
Die Durchschnittsleistung der Traktoren liegt bei 100 PS; es gibt aber auch richtige „Kraftlackl“ mit 300 PS und mehr. Allradantrieb ist Standard.Seit Januar 2019 müssen Dieselmotoren in neuen Traktoren ab 130 kW die verschärften Abgasgrenzwerte der Abgasstufe „Fünf“ einhalten, ab Januar 2020 wird dies auch für die Leistungsklassen von 56 bis 130 kW der Fall sein.
Doch Common-Rail-Einspritzung, Vierventiltechnik, Turbolader, Ladeluftkühlung, Visco-Lüfter und elektronische Motorsteuerung stellen weiterhin die motortechnischen Grundpfeiler dar, um die Anforderungen an Leistung, Verbrauch und Emissionen unter einen Hut zu bringen. Zudem ist ein Trend erkennbar, der zeigt, dass die Abgasnachbehandlungssysteme (DOC, DPF und SCR) zunehmend in kompakten Single-Modulen zusammengefasst und außerhalb des Motorbereiches angeordnet werden.
In der Vergangenheit wurden zahlreiche Traktor-Prototypen mit Gasmotoren vorgestellt, die es aber nie zur Marktreife geschafft haben. Auf der Agritechnica zeigte Hersteller New Holland jetzt als erster Hersteller einen serienreifen Traktor mit Gasantrieb auf Basis der Baureihe „T6“. Für kleinere Traktoren werden weiterhin vollelektrische Konzepte mit Batterien in Betracht gezogen.
Die Schweizer Firma Rigitrac präsentierte eine weiterentwickelte Version des Ende 2018 erstmals vorgestellten Prototyps SKE 50 Electric mit 50 kW-Antrieb zeigen. Auch in Sachen Bodenhaftung tut sich was: Für eine hohe Traktion und geringe Bodendrücke werden für große Standardtraktoren zunehmend mit Halbraupen-Laufwerken ausgerüstet.
Big Data klopft beim Traktor an
Der Traktorfahrer selbst wird mit Komfort verwöhnt, wenn er das nötige Geld investiert: Die einfache Sitzmulde aus Blech ist voll klimatisierten, geräuschisolierten und hydropneumatisch gefederten Kabinen gewichen - mit ergonomischen Komfortsitzen, gemütlich wie ein Wohnzimmersessel. Mit John Deere und New Holland stellten auf der Agritechnica gleich zwei Hersteller Systeme zur Verminderung der von Großpackenpressen verursachten Stöße in Traktorkabinen vor. Diese sind für Fahrer sehr unangenehm und können zu gesundheitlichen Problemen führen.
Multifunktionsarmlehnen bündeln alle wichtigen Schlüsselfunktionen des Arbeitsgeräts. Mittels Telemetrie kann sich der Traktor quasi von alleine steuern. Doch es geht noch weiter: von Highspeed-Echtzeitvernetzung ist die Rede. Sensoren, Kamerasysteme und eine wachsende Anzahl an elektrisch gesteuerten Geräten sind daran maßgeblich beteiligt.
Das stellt entsprechende Anforderungen an die Systeme. Auf der Agritechnica war sogar von Big Data die Rede: „Künftige Kommunikations- und Schnittstellenstandards für Off-Highway-Anwendungen müssen im Sinne von Big Data den Datenaustausch zwischen sämtlichen Maschinen, mit Geschäftspartnern und Cloud-Diensten ermöglichen“, heißt es. Den Traktor von morgen sollen außerdem Drohnen und Roboter ergänzen. Es bleibt jedenfalls in den kommenden Jahren spannend.