Future Mobility : Hessen setzt jetzt Hybrid-Lkw unter Strom
Züge oder Straßenbahnen haben ihn schon lange, und zwar den Stromabnehmer. Nun gibt es diese auch bei tonnenschweren Lastkraftwagen - ans obere Ende der Rückwand der Fahrerkabine montiert. Weder optisch noch in seiner Funktionsweise unterscheidet sich der sogenannte Pantograf von jenem einer Straßenbahngarnitur oder eines Zuges. Der Lkw darunter aber ist ein konventioneller Hybrid, baut in Sachen Antrieb also gleichermaßen auf Strom aus der Leitung und Kraftstoff aus der Zapfsäule.
Der Scania R 450 ist ein Beispiel für einen solchen Hybrid-Lkw, der ab morgen auf der stark befahrenen deutschen Autobahn 5 zwischen Langen-Mörfelden und Weiterstadt im Bundesland Hessen zum Testeinsatz kommt. Denn am 7. Mai startet ganz offiziell das erste Autobahnpilot-Projekt (ELISA) für Lastzüge im realen Verkehr in Deutschland.
Eine Reihe weiterer werden noch folgen. Doch los geht es erstmal auf einem Autobahnabschnitt nahe der Stadt Frankfurt. Die Gesamtlänge des Korridors je Fahrrichtung beträgt je 15 Kilometer, wovon jeweils fünf Kilometer mit einer Oberleitung für die Stromabnehmer der Lkw-Sattelzüge ausgerüstet sind. Dort können die Hybrid-Lastwagen an die Oberleitung andocken und ihre Batterien aufladen.
Umfangreiches Versuchsprogramm
Ziel des Projekts mit dem klingenden Namen ELISA ist es, Daten zu sammeln, die für einen späteren Ausbau des Systems in Deutschland relevant sein könnten. Aber auch über die Grenzen hinaus soll sich mit den Datensätzen Nützliches anstellen lassen. Dabei steht nicht nur die Erforschung relevanter verkehr- und energietechnischer sowie ökologischer und ökonomischer Aspekte im Vordergrund, sondern auch die unmittelbare Untersuchung von Funktionalität und Zuverlässigkeit der neuen Fahrzeug- und Infrastruktursysteme im Realbetrieb. Gefördert wird das Programm von der Bundesregierung vor dem Hintergrund Erneuerbar Mobil (ENUBA).
Als Ausgangspunkt des Schaffens gelten die ENUBA-Projekte - das ist die Kurzform für Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung in Ballungsräumen. Sie dienen der gewünschten CO2-Reduktion im Verkehrssektor. Zahlen von 2016 verraten, dass die Verkehrsbelastung auf dem Autobahnabschnitt A5 zwischen Langen-Mörfelden und Weiterstadt im Jahr 2016 bei 133.500 Fahrzeugen pro Tag lag, Zehn Prozent davon entfielen auf den Schwerlastverkehr. Und genau an diesem Punkt soll Kohlenstoffdioxid eingespart werden können, falls sich das Projekt in der Praxis bewährt. Denn es handle sich laut Stephan Haufe, Sprecher des deutschen Bundesministeriums, um reine Testversuche, die entsprechend Ergebnis offen sind.“
Bei früheren ENUBA-Projekten mit dem Schwerpunkt eHighway ging es zunächst um die technische Machbarkeit, den Aufbau einer Versuchsanlage in einem bestimmten Gebiet, den Einbau eines Stromabnehmers in einen Lkw sowie die Verknüpfung mit einem gewöhnlichen Hybridantrieb. Zunächst wurden Tests in den USA in einem Hafenstück von Los Angeles abgehalten. Dort wurde ein Teilstück zur Anbindung an die Schienenterminals ausgewählt. In weiterer Folge wurde eine Teststrecke auch in Europa eingerichtet, die bis dato als Referenz diente.
Auf einem Teilstück der Autobahn E 46 zwischen Borlänge und Gävle entstand eine Strecke mit Oberleitungen und einer Distanz von zwei Kilometern, sagte Claes Erixon, der leitende Vizepräsident der Scania Forschung und Entwicklung, in einem Gespräch mit TRAKTUELL und ergänzt: „Seit zwei Jahren haben wird das nun schon im Feldversuch getestet. Wir haben sie an einem Straßenabschnitt eingerichtet, an dem wir die wichtigsten Problemstellungen testen können, wie zum Beispiel die Durchfahrt unter Brücken oder mehrspurige Fahrbahnen. Auch das Wetter variiert dort mit Regen, Schnee und Eis. Die Ergebnisse sind gut: Es funktioniert und wir sehen, dass prinzipiell nichts dagegenspricht, die Technologie als mögliche Transportlösung einzusetzen“, sagte Erixon.
Gemischte Gefühle
„Für einige Lkw und Straßen mit sehr hohem Transportaufkommen und einem mehr oder weniger geschlossenen Kreislauf, wo also dieselben Lkw die gleiche Strecke hin und zurück befahren, würde das absolut Sinn machen. Man kann argumentieren, dass man in die Infrastruktur mit den Oberleitungen investieren müsste, aber wenn man das mit den Kosten für eine Eisenbahnstrecke vergleicht, dann ist das nur ein sehr geringer Anteil davon. In Teilen des Transportsystems werden wir also auch entsprechende Lkw und Straßen mit Oberleitungen sehen“, so Erixon.
Keine Konkurrenz zum Güterverkehr auf der Schiene sieht der Pressesprecher des Bundesumweltministeriums Stephan Gabriel Haufe. „Das Projekt ist eine Ergänzung. Es wird immer einen Anteil Lkw-Verkehr geben“, sagte Haufe. Ab Dienstag sollen fünf Speditionen mit ihren Lastern bei normalem Fahrbetrieb auf einem der meistbefahrenen Autobahnstücke Deutschlands nahe dem Frankfurter Flughafen und dem Frankfurter Kreuz teilnehmen.
Sollte sich das System als für den Schwerlastverkehr tauglich zeigen, müssten keineswegs alle Autobahnen voll elektrifiziert werden. „Wir gehen davon aus, dass man circa 1000 Kilometer in Deutschland mit Oberleitungen versehen müsste“, sagte Haufe für den Fall, dass das System sich als wirkliche Alternative herausstellen sollte. Die Idee, Stromabnehmer an ein mehrere Tonnen schweres Gefährt zu montieren, ist gar nicht so jung. So verkehren Oberleitungsbusse (der Obus) mit permanentem Energiefluss über am Dach befestigte Stromabnehmer in der Stadt Salzburg bereits seit den 1940er Jahren. Der Obus löste die Salzburger Stadtbahn („rasende Eierspeis“) ab. In Österreich fallen Oberleitungsbusse übrigens unter das Eisenbahngesetz.
Weitere Projekte geplant
Ein weiteres Projekt ist für Schleswig-Holstein angesetzt, wo auf der A1 bei Lübeck getestet werden soll, ob eine Anbindung an den Hafen funktioniert. Die Bauarbeiten wurden im letzten Quartal 2018 aufgenommen. Richtung Lübecker Hafen sind stationäre Ladekapazitäten im Hafenareal vorgesehen.
In Baden-Württemberg soll zudem auf einer Bundesstraße die Tauglichkeit für Ortsdurchfahrten geprobt werden. Dieser dritte eHighway soll ab Anfang 2020 entlang der Bundesstraße B462 in Baden-Württemberg verlaufen. Insgesamt gibt das Umweltministerium knapp 50 Millionen Euro für die Teststrecken aus, knapp 15 Millionen alleine für den Abschnitt auf der A5 nahe Frankfurt. Den Ausbau der Strominfrastruktur vor Ort übernimmt Siemens in Zusammenarbeit mit SPL Powerlines.
https://youtu.be/u5ZQXS2xs64
Die 15 Hybrid-Lkw, die nun auf dem Streckenabschnitt zwischen Langen-Mörfelden und Weiterstadt zum Einsatz kommen werden, liefert der schwedischer Nutzfahrzeugehersteller Scania. Die Pantografen kommen von Siemens. Neben der Bereitstellung der Lastkraftwagen wird sich Scania bei diesen Praxistests auch um Fahrzeugwartung und Datenerhebung kümmern.
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