Interview : „Komplett fahrerlose Autos auf den Straßen? In weniger als zehn Jahren!“

© Ludwig Fliesser

TRAKTUELL: Bei der Weltpremiere der neuen Scania-Fahrzeuggeneration in Paris hatte Scania-Präsident Henrik Henriksson eine sehr persönliche Rede über Nachhaltigkeit und die Notwendigkeit des Umweltschutzes und die Sicherung der Zukunft unserer Kinder gehalten. In diesem Kontext erschien die Präsentation eines neuen, mit Diesel betriebenen Lkw fast wie ein Widerspruch. Ist Straßentransport Teil der Lösung oder Teil des Problems, wenn es um die Umwelt geht?

Das ist eine relevante Frage, so viel ist sicher. Wir konzentrieren uns auf das, was wir jetzt tun können und welche Lösungen für die CO2-Herausforderung wir schon heute bieten können. Und die beste Antwort auf diese Herausforderung sind heute erneuerbare Treibstoffe, weil wir von der großen Mehrheit unserer Kunden nicht erwarten können, dass sie Lösungen kaufen, die für sie ökonomisch keinen Sinn machen. Natürlich, wir haben auch schon Anwendungen, bei denen wir sehen, dass batterieelektrische Fahrzeuge effizient sind. Wir haben unseren batterieelektrischen Bus, den wir in Schweden betreiben, mit einem echten Kunden und echten Fahrgästen. Wir haben unseren Lkw mit Pantograf und Oberleitungen auf einer Teststrecke in Schweden und bald wird auch in Deutschland eine solche gebaut. Aber die große Mehrheit unserer Kunden kann derartige Lösungen heute nicht nutzen. Der Verbrennungsmotor ist immer noch die richtige Antwort für diese Kunden. Das, worauf es ankommt, ist, was man in den Tank einfüllt. Wenn man erneuerbaren Treibstoff einsetzt, verursacht das natürlich insgesamt viel weniger CO2-Emissionen als fossiler Diesel.

Wenn es um zukünftige Antriebstechnologien geht, sehen wir eine Fülle an Visionen und Ideen. Welche dieser Technologien werden in Zukunft Normalität sein?

Ich glaube, dass das meiste, was wir heute sehen, irgendwann kommerziell verfügbar sein wird, weil es nicht die eine Lösung für alle Kundenbedürfnisse und Anwendungen gibt. Wir brauchen daher vielfältige Lösungen. Innerstädtischer Verteilerverkehr, Stadtbusse – das werden die ersten Anwendungen sein, die vollelektrisch, also mit batterieelektrischen Fahrzeugen, bedient werden. Und das ist keine Frage der technischen Entwicklung im Antriebsstrang, es geht eher um Kosteneffizienz und die Kosten pro Kilowattstunde für die Batterie. Akkumulatoren sind teuer, schwer und benötigen viel Platz, der sonst für Ladung zur Verfügung steht. Aber wir werden in nicht allzu vielen Jahren mit Sicherheit viele batterieelektrische Fahrzeuge in den Städten sehen.

Wenn es um andere Anwendungen geht, wie den Fernverkehr, wird es noch längere Zeit brauchen, bis wir vollelektrische Fahrzeuge sehen. Und bis dahin gibt es Zwischenlösungen, die Hybridfahrzeuge. Wir ermöglichen mit der aktuellen Batterie eine Fahrt im Null-Emissionsmodus für bis zu zehn Kilometer und das wird sich in Zukunft natürlich erhöhen. Es wird auch eine Möglichkeit für Zwischenladungen mit einem Kabel geben, zum Beispiel während der Fahrer eine Pause macht. Natürlich können zehn Kilometer nicht das gesamte Transportbedürfnis befriedigen, deshalb ist auch ein Verbrennungsmotor als Hauptantriebsquelle an Bord. Aber wenn Sie diesen mit HVO, Biogas oder Biodiesel betreiben, dann sind Sie wieder vollkommen grün unterwegs. Der Lkw muss flexibel sein für die Kunden. Diese müssen ihre Transportaufgaben erfüllen können, denn das ist es schließlich, womit sie ihr Geld verdienen.

Eine Lösung für das Batterieproblem ist die Kombination aus einem elektrischen Antriebsstrang und Wasserstoff als Treibstoff. Aber während das verflüssigte Erdgas, LNG, heute ein großes Thema ist, scheint Wasserstoff gerade nicht im Fokus zu stehen. Warum?

Wasserstoff und die Brennstoffzellentechnologie sind sehr vielversprechend. Die Technologie war vielversprechend in den letzten zehn Jahren und sie wird auch in den kommenden Jahren weiter vielversprechend bleiben. Die Industrialisierung ist ein bisschen schwierig. Es gibt hier zwei Aspekte: Einerseits muss man die Brennstoffzelleneinheit und das Kontrollsystem entsprechend robust und fit für den Einsatz in automobilen Anwendungen machen. Es muss in einem Fahrzeug in Bewegung funktionieren. Andererseits gibt es den Sicherheitsaspekt betreffend den Wasserstoff. Wir alle wissen, welchen Schaden Wasserstoff anrichten kann. Die Verteilung, die Tankstellen und der Transport in Tankfahrzeugen sind eine Herausforderung, der man sich widmen muss. Das kann alles gelöst werden, aber es ist ein Henne-Ei-Problem: Solange Wasserstoff nicht auf breiter Basis an Tankstellen erhältlich ist, werden vielleicht auch nicht so viele Menschen Interesse daran haben, in die Technologie zu investieren.

Ist das nicht im Großen und Ganzen auch dasselbe mit LNG? Aber aus irgendeinem Grund scheint sich die LNG-Technologie viel schneller durchzusetzen.

Ein möglicher Grund dafür, warum sich LNG nun schneller verbreitet: Die Technologie ist erprobt und hat sich bewährt. Die Basis ist immer noch ein Verbrennungsmotor und wir wissen, was wir zu erwarten haben. Wir kennen die Funktionsweise und die möglichen Fehlfunktionen im Zusammenhang mit einem Verbrennungsmotor. Die Herausforderung sind die Tankeinheit, das Gasregulationssystem und die Gewährleistung der Sicherheit, auch wenn das Fahrzeug einen Unfall haben sollte. LNG gibt es schon etwas länger als kommerziell verfügbaren Treibstoff. Das ist ebenfalls ein Grund, warum es bereits weiter verbreitet ist, und das macht natürlich auch Produkte interessanter, die LNG als Energiequelle nutzen können.

Könnte man nicht auch Wasserstoff direkt in einem Verbrennungsmotor einsetzen anstatt in einer Brennstoffzelle? Wäre das Erfolg versprechend?

Nein, weil der Energiegehalt zu gering ist. Man bekäme nicht die Leistung, die man in einem schweren Lkw benötigt.

Wann glauben Sie, dass die Mehrheit der schweren Nutzfahrzeuge von etwas anderem als einem Dieselmotor angetrieben werden?

Das ist wirklich die Millionen-Dollar-Frage, oder nicht? Als Erstes verwende ich normalerweise den Ausdruck „Verbrennungsmotor“, nicht „Dieselmotor“, denn es hängt schließlich alles nur davon ab, was man in den Tank einfüllt. Aber wir könnten über die Kostengleichheit der „Total Cost of Ownership“ (TCO) sprechen: Wann verursachen Besitz und Betrieb eines batterieelektrischen Fahrzeugs den gleichen ökonomischen Aufwand wie ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor? Und dieser Zeitpunkt, bei dem wir TCO-Gleichheit erreichen, unterscheidet sich natürlich bei jedem Anwendungsfall. Vielleicht wird im innerstädtischen Verteilerverkehr, bei Müllsammelfahrzeugen und Stadtbussen diese Kostengleichheit früher kommen, möglicherweise noch vor 2025. Wenn es um den Überlandtransport geht, dann wird das noch länger dauern. Wer weiß das schon, aber vielleicht noch vor 2030. Es gibt unterschiedliche Ansichten dazu, aber mit Sicherheit werden wir das irgendwann erreichen. Und es gibt viele Faktoren, die das beeinflussen, wie zum Beispiel die Entwicklung auf dem Batteriesektor, wenn es um Kapazität, Kosten und Verfügbarkeit geht, ebenso wie die Ladeinfrastruktur. Wenn Sie sich auf einem großen Lkw-Parkplatz umsehen, wie viele Trucks dort über Nacht parken: Stellen Sie sich vor, die müssten alle zugleich ihre Batterien laden. Und stellen Sie sich weiter vor, dass Sie im Fernverkehr ungefähr eine Megawattstunde an Energie benötigen, um einen ganzen Tag lang zu fahren. Möglicherweise etwas weniger, wenn man nach viereinhalb Stunden eine Zwischenladung macht, aber dann müsste man immer noch 500 Kilowattstunden in einer Dreiviertelstunde laden. Dazu braucht man fast ein Megawatt Leistung pro Fahrzeug und dann stehen vielleicht hundert Lkw gleichzeitig auf dem Parkplatz. Sie können sich die Herausforderung für das Stromnetz vorstellen.

Ich betreibe hier vielleicht etwas Schwarzmalerei, um zu illustrieren, dass nicht alles gelöst sein wird, nur weil wir batterieelektrische Fahrzeuge einsetzen. Wir müssen das System in seiner Gesamtheit betrachten. Und dann ist eine weitere große Frage, wie der Strom erzeugt wird. Man kann diese Fragen voneinander trennen. So wird es in China gemacht: Dort fokussiert man sich sehr stark auf batterieelektrische Fahrzeuge und die Energieverteilung über das Stromnetz, auch wenn es noch sehr viele Kohlekraftwerke gibt. Aber dort sagt man: „Lasst uns eine Sache nach der anderen machen. Wir beginnen mit den Fahrzeugen und kümmern uns um die Energiequellen später.“ Vielleicht können wir nicht alles auf einmal machen, aber wir dürfen nicht vergessen: Solange man den Strom durch die Verbrennung von Kohle gewinnt, haben wir aus einer globalen Perspektive gesehen nichts erreicht.

Das Ladeproblem ist ziemlich offensichtlich. Eine Möglichkeit, die Sie erwähnten, wären Oberleitungen und Pantografen. Dadurch könnten die Fahrzeuge laufend geladen werden oder sie nutzen einfach die Energie aus der Leitung direkt, wie ein Zug. Wie sind die Resultate aus dem Feldversuch?

Wir haben das nun für zwei Jahre in Schweden getestet. Die Strecke hat nur eine geringe Distanz von zwei Kilometern. Wir haben sie an einem Straßenabschnitt eingerichtet, an dem wir die wichtigsten Problemstellungen testen können, wie zum Beispiel die Durchfahrt unter Brücken oder mehrspurige Fahrbahnen. Auch das Wetter variiert dort mit Regen, Schnee und Eis. Die Ergebnisse sind gut: Es funktioniert und wir sehen, dass prinzipiell nichts dagegen spricht, die Technologie als mögliche Transportlösung einzusetzen. Für einige Lkw und Straßen mit sehr hohem Transportaufkommen und einem mehr oder weniger geschlossenen Kreislauf, wo also dieselben Lkw die gleiche Strecke hin und zurück befahren, würde das absolut Sinn machen. Man kann argumentieren, dass man in die Infrastruktur mit den Oberleitungen investieren müsste, aber wenn man das mit den Kosten für eine Eisenbahnstrecke vergleicht, dann ist das nur ein sehr geringer Anteil davon. In Teilen des Transportsystems werden wir also auch entsprechende Lkw und Straßen mit Oberleitungen sehen.

Kommen wir zurück zum Verbrennungsmotor. Mit jeder neuen Fahrzeuggeneration wird eine Effizienzsteigerung versprochen und zumeist auch erreicht. Wir kommen an den Punkt, wo weitere Treibstoffeinsparungen physikalisch unmöglich werden. Was ist das geschätzte Potenzial für weitere Kraftstoffeinsparungen und über welche Teile des Fahrzeugs kann man die größten Steigerungen der Energieeffizienz erzielen?

Wenn ich Ihnen unsere geheimsten Geheimnisse verrate und wie man die Effizienz im Verbrennungsmotor steigert, dann kann ich Sie nicht mehr aus dem Raum lassen (lacht). Aber Spaß beiseite – natürlich, wir werden einen Punkt erreichen, an dem wir die Effizienz im Verbrennungsmotor selbst nicht mehr weiter steigern können. Aber an der Energieeffizienz im Motor zu arbeiten ist nur ein Teil. Und hier werden wir mit der Einführung unserer nächsten Motorenplattform einen großen Sprung nach vorne machen. Es wird eine signifikante Entwicklung sein, weil wir zwar über hundert Jahre Erfahrung mit Verbrennungsmotoren haben, aber immer noch dazulernen können. Diese Basisentwicklung der nächsten Generation von Verbrennungsmotoren führen wir für die gesamte Gruppe durch (Anm: Traton). Wir haben also auch Unterstützung von unseren Kollegen aus der Gruppe. Es ist somit sehr viel Kompetenz gebündelt und wir werden deshalb auch große Fortschritte in der Energieeffizienz des Verbrennungsmotors machen. Aber Energieeffizienz ist ja nicht nur eine Frage des Motors, es ist natürlich eine Frage des Gesamtfahrzeugs inklusive des Rollwiderstands und anderer Faktoren, wie zum Beispiel der Aerodynamik.

Bis jetzt wurde Scania als mehr oder weniger unabhängige schwedische Firma wahrgenommen,die sich im Besitz von Volkswagen befindet. Durch die Bündelung der Nutzfahrzeugmarken unter dem Dach von Traton will aber Volkswagen womöglich verstärkt auch Synergien heben und vielleicht auch die Produktentwicklung zusammenführen. Glauben Sie, dass Scania seine eigenen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen weiter unterhalten kann, oder erleben wir nun den Anfang vom Ende von Scania als unabhängiger Lkw-Hersteller und -Entwickler?

Für mich ist es einfach, diese Frage zu beantworten. Scania wird unabhängig bleiben, von der Kundenperspektive aus gesehen. Wir werden immer unsere Markenpositionierung haben. Unser Herz schlägt für Scania, wir fokussieren uns auf die Kunden und das beste Produkt, das man für Geld kaufen kann, optimiert für den Einsatzzweck und den größtmöglichen Profit unserer Kunden bei zugleich niedrigsten Betriebskosten. Was wir unter dem Gesichtspunkt der Synergien tun können, was wir vielleicht auch nicht im selben Tempo schaffen würden, wenn wir komplett auf uns alleine gestellt wären, sind die großen Investitionen in die Zukunft, die wir gerade für die kommende Generation des konventionellen Antriebsstrangs, wenn man das so nennen will – Verbrennungsmotor, Getriebe, Nachbehandlungs- und Motorkontrollsystem – tätigen. Wir investieren hier sehr stark. Wir müssen natürlich auch in den Elektroantrieb und dessen Entwicklung investieren. Und als Drittes müssen wir sehr stark in das Feld der autonomen Fahrzeugtechnologie investieren. Ich glaube, das wird die nächste einschneidende Entwicklung und der nächste gravierende Fortschritt: der E-Antrieb als erster Schritt und das autonome Fahren als der zweite. Und um das alles auf einmal zu stemmen, brauchen wir die Skaleneffekte, die wir in der Gruppe haben, und deren gesamtes Verkaufsvolumen. Die grundlegende Entwicklung des Antriebsstrangs, die Motorenplattform, wird irgendwann von allen Marken in der Gruppe gemeinsam genutzt werden. Aber die letzten dreißig oder vierzig Prozent der Motorenentwicklung, die diese für die jeweilige Marke einzigartig machen, werden auch von den einzelnen Marken selbst durchgeführt. Aber wir teilen uns die Hauptkosten der Entwicklung und erreichen so die ökonomische Hebelwirkung durch die großen Volumina. Das ist also eine echte Win-win-Situation. Und das Gleiche gilt natürlich auch für die Entwicklung der Komponenten für den elektrischen Antriebsstrang ebenso wie für die Kompetenz im Aufbau und den Komponenten der autonomen Systeme. Zusammenfassend glaube ich, wir werden unsere Einzigartigkeit behalten, unsere Markenpositionierung, und gleichzeitig generieren wir Skaleneffekte über die Gruppe. Also das Beste aus zwei Welten.

Denken wir ein wenig weiter in die Zukunft: Wann werden wir die ersten fahrerlosen Vehikel auf der Straße sehen?

Was auch immer ich sage, wird falsch sein, so viel ist sicher. Das hängt natürlich von der technischen Entwicklung ab. Die Software ist wichtig und es geht sehr stark um Bilderkennung und wie man die gesamte Information erfasst und zusammenführt, die das Fahrzeug dem zentralen Computer zur Verfügung stellt. Aber es geht auch um die Entwicklung der eigentlichen Sensoren. Zum Beispiel einen Radar zu entwickeln, der im Fahrzeug verbaut wird und genau genug arbeitet, um zusammen mit einer Kamera zwischen verschiedenen Objekten zu unterscheiden. Und natürlich die Rechnerleistung: Die nötige Computerleistung ist noch nicht in der Form und Größe verfügbar, die wir brauchen. Natürlich, man könnte die Fahrerkabine mit Computern vollstopfen, aber das kann nicht wirklich die Lösung sein. Wir brauchen robuste, in das Fahrzeug integrierte Systeme, die das bewerkstelligen. Es gibt Pläne für die Zukunft und in einigen Jahren wird das auch realisierbar sein, aber zurzeit ist das noch nicht verfügbar. Und dann gibt es noch die Gesetzgebung. Wann wird es legal sein, ohne Fahrer auf öffentlichen Straßen unterwegs zu sein? Ich habe Ihre Frage noch nicht beantwortet, ich weiß.

Daran wollte ich Sie gerade erinnern...

Komplett fahrerlose Autos auf den Straßen? In weniger als zehn Jahren, glaube ich.

In einer Test- und Erprobungsphase oder als echte Marktlösungen?

Ich glaube, wir können dann bereits entsprechend Lösungen auf dem Markt sehen. Insbesondere für spezielle Anwendungen, beispielsweise nur auf Autobahnen zwischen Hubs. Ich glaube, zehn Jahre ist eine ausreichende Zeitspanne. Wenn es um andere Anwendungen wie den Bergbau oder geschlossene Areale geht, dann werden wir das schon früher sehen. Da haben wir bereits Tests mit Kunden laufen, bei denen wir in den Minen autonom fahren. Aber das ist einfacher, man kann die Verkehrssituation an den Lkw anpassen und man ist sicher, dass es keine Fußgänger, Radfahrer oder Jogger gibt.