Interview mit Erich Schwarz : War der Verkauf des Werks Steyr auf politischer Ebene paktiert?
TRAKTUELL: Das letzte Berufsjahr vor deiner Pensionierung war ein äußerst turbulentes. Wie hast du diese Zeit im Werk Steyr erlebt?
Erich Schwarz: Es war die härteste Zeit, die ich als Betriebsrat je hatte. Nach allem, was wir in der Vergangenheit mit dem Unternehmen vereinbart hatten, wurden wir von der Entwicklung völlig überrascht. Der MAN-Vorstand hat im Dezember 2019 noch einen Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrag unterschrieben. Dieser wurde dann Ende Jänner 2020 im Aufsichtsrat einstimmig beschlossen, war also bis hinauf in den VW-Konzern abgesichert. Und dann gab es im März 2020 erste Gerüchte, dass das Werk Steyr zur Disposition steht. Danach hatten wir noch zwei oder drei Aufsichtsratssitzungen – online, weil die Corona-Pandemie war schon da. Der Vorstand hat uns dort gesagt, wir sollen nicht glauben, was in den Zeitungen steht. Ich habe dem Management damals aber schon nicht mehr richtig vertraut. Als Renschler und Drees (ehemalige CEOs von Traton bzw. MAN, Anm.) gehen mussten, habe ich im Aufsichtsrat zugestimmt, dass ein neuer kommt (Andreas Tostmann, CEO von MAN zwischen Juli 2020 bis November 2021, Anm.) – In der Hoffnung, dass dieser von dem bereits ausgearbeiteten Einsparungskonzept Abstand nimmt, das wir zum damaligen Zeitpunkt aber auch noch nicht kannten. Tostmann war aber viel uneinsichtiger, als seine Vorgänger. Als wir schließlich am 11. September 2020 über die Pläne des Konzerns informiert wurden, war die Hölle los. Wir mussten während der Sitzung die Handys abgeben und als ich dann von München nach Steyr gefahren bin, führte ich ein Telefonat nach dem anderen. Vertreter von Zeitungen und Medien waren alle schon vor dem Werk versammelt. So etwas hatte ich noch nie erlebt und ich wünsche das auch niemandem. Ich wollte eigentlich nicht als Person dermaßen im Mittelpunkt stehen, es ist dann aber so gekommen.
TRAKTUELL: Wie hat sich denn das Verhältnis zu Deinen Kollegen in dieser Phase entwickelt?
Erich Schwarz: Die Kolleginnen und Kollegen im Werk sind zu hundert Prozent hinter dem Betriebsrat gestanden, jedenfalls beim Arbeiterbetriebsrat. Bei den Angestellten hat es sich ein bisschen gewandelt, aber das war auch dort und da ein bisschen verständlich. Aber die Kolleginnen und Kollegen von den Arbeitern waren zu 100 Prozent hinter uns und die hätten auch alles mitgemacht. Wenn wir irgendwelche Aktionen gestartet haben, waren sie immer dabei. Das hat man zum Beispiel gesehen, als wir am Stadtplatz in Steyr waren mit über 4.000 Leuten und dort eine Betriebsversammlung abgehalten haben.
TRAKTUELL: Du hast diese viel zitierte Standortgarantie erwähnt. Diese war ja ein großer Streitpunkt, teilweise auch in Gerichtsverfahren oder zumindest in Gutachterstreitigkeiten. Wie ist es zu dieser Garantie überhaupt gekommen? Warum hat MAN eine solche abgegeben und mit welcher Begründung hat das Management diese für ungültig erklärt?
Erich Schwarz: Wir hatten die erste Standort- und Beschäftigungssicherungsvereinbarung schon 2007 abgeschlossen. Der Hintergrund war, dass MAN beschlossen hatte, in Krakau ein Lkw-Montagewerk zu bauen. Als Reaktion haben wir als Gesamtbetriebsrat, also der Betriebsrat in München und anderen Standorten in Deutschland als auch wir in Steyr, verlangt, dass unsere Standorte abgesichert bleiben. Denn es ist leicht, die Produktion von irgendeinem Standort nach Krakau zu verlegen. In der Folge gab es die ersten Standort- und Beschäftigungsgarantien, die erste in München und dann hier in Steyr. Danach haben auch die anderen Standorte nachgezogen, etwa Nürnberg und Salzgitter. Und jene Werke, die keine Standort- und Beschäftigungssicherungsvereinbarung abgeschlossen hatten, sind alle veräußert worden. Gustavsburg wurde verkauft, ebenso Wien an die Rheinmetall und auch andere Standorte.
Wir haben diese Garantien aber nicht zum Nulltarif bekommen, sondern mussten als Belegschaft auch etwas hergegeben dafür. Die letzte Standortgarantie wurde dann im Jahr 2017 vereinbart, wo Scania und MAN schon intensiv zusammengearbeitet haben. Damals war die Frage: Welche Teile produziert künftig Scania und welche Teile produziert MAN? Wir haben die Brisanz dieser Pläne als Betriebsrat erkannt und klar gesagt: Wenn man das zusammenführt und es Gleichteile gibt, dann wollen wir unseren Standort längerfristig abgesichert wissen. Denn dem Kunden ist es schließlich egal, ob der Motor oder irgendein anderes Bauteil des Lkw von MAN oder von Scania kommt.
Der Vertrag lief zunächst bis 2025. Um 2018/2019 herum haben wir dann wieder mit der Unternehmensleitung verhandelt. Das Management wollte weitere Einsparungspotenziale heben. Im Gegenzug haben wir verlangt, dass der Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrag um weitere fünf Jahre verlängert wird und somit nicht 2025 ausläuft, sondern erst Ende 2030. Das wurde im Dezember 2019 unterschrieben. Wir haben das aber nicht geschenkt bekommen. Springender Punkt dabei war eine Produktivitätssteigerung und eine Arbeitszeitflexibilisierung.
So wie ich das sehe, war der Verkauf paktiert bis in die höchsten politischen Ebenen hinauf."
TRAKTUELL: Anfangs hatte man den Eindruck, dass die öffentliche Resonanz angesichts der Causa Steyr überschaubar bleibt. Was war die Ursache dafür, dass es so lange gedauert hat, bis es auch in der Politik angesichts des Verkaufs oder sogar einer drohenden Werks-Schließung einen Aufschrei gegeben hat?
Erich Schwarz: In der Politik gab es eigentlich nur in Oberösterreich seitens der SPÖ einen Aufschrei. Seitens der ÖVP und der Bundesregierung kam es zu keiner Reaktion. Lediglich der Landeshauptmann und Wirtschaftslandesrat von Oberösterreich (beide ÖVP, Anm.) waren auf unserer Seite und haben mit uns gekämpft. Aber letztendlich, so wie ich das sehe, war der Verkauf paktiert bis in die höchsten politischen Ebenen hinauf. Und darum ist der Aufschrei natürlich ausgeblieben, weil alle davon ausgegangen sind: Das Werk wird von einem Investor gekauft und dann geht die Produktion weiter.
TRAKTUELL: Das klingt ja nach einer guten Entwicklung, wenn ein Werk verkauft wird und die Produktion weiterläuft. Was hat Euch als Betriebsrat so daran gestört?
Erich Schwarz: Uns hat gestört, dass man einfach einen Vertrag negiert. Verträge zählen bei jedem Manager, auch jede Versicherung hat eine Laufzeit. Und auch unser Standortvertrag hatte eine Laufzeit, nämlich bis 31. Dezember 2030. Sowas kann man nicht einfach einseitig aufkündigen.
Wir wollten als Belegschaft bei MAN bleiben und unsere leichten und mittleren Lkw auf Elektrofahrzeuge umstellen, die dann in Steyr produziert werden. Und nicht mit einem Investor, wo man nicht weiß, wie es letztendlich weitergeht. Zunächst war uns ja noch nicht einmal bekannt, dass es sich dabei um Siegfried Wolf handelt, den wir als Industriellen und als Manager schätzen. Aber natürlich haben wir auch gewusst, dass Wolf bei GAZ ist, es sich also um einen Investor handelt der Österreicher ist, jedoch im Hintergrund ein russisches Unternehmen die Fäden zieht. Und darum haben wir natürlich schon unsere Zweifel gehabt.
TRAKTUELL: Du bist dann im Lauf der Zeit sehr präsent in der Öffentlichkeit geworden. Wie ist es dir damit gegangen und wie waren die Reaktionen auch außerhalb der Belegschaft? Manche haben die Arbeitnehmervertreter, die sich gegen den Verkauf gestellt haben, als verantwortungslos kritisiert, weil das womöglich die Schließung des Werks provoziert hätte. Ist derartige Kritik auch auf Dich zugekommen?
Erich Schwarz: Von den Leuten direkt nicht, aber die Medien haben uns natürlich bombardiert, ob wir die Situation richtig einschätzen. Wir haben deutlich gesagt: Wir haben einen Vertrag aus dem VW nicht so einfach herauskommt und auf dessen Einhaltung wir bestehen. Abgesehen davon war uns klar: Steyr wird kein Industriefriedhof. Ein derartiger Standort wird immer jemanden finden. Außerdem wurde später bekannt, dass es mehrere Interessenten gegeben hat. Mich haben jede Woche zwei Leute angerufen, die irgendwelche Vorschläge hatten, um den Standort zu retten. Daher bin ich nicht davon ausgegangen, dass man das Werk geschlossen hätte, auch wenn das mit Siegfried Wolf nicht zustande gekommen wäre. Selbst wenn wir weiter bei MAN geblieben wären, würde der Standort nicht geschlossen. Wir haben zudem Unterstützungsbekundungen von den Betriebsräten anderer Unternehmen der Region, auch von Zulieferbetrieben, erhalten. Große Unterstützung kam auch von namhaften Unternehmungen aus der Umgebung. Es gab Initiativen von MAN-Kunden, die ihre Empörung über die Pläne zum Verkauf oder der Schließung des Werks gegenüber dem Management von MAN, Traton sowie VW zum Ausdruck gebracht haben.
TRAKTUELL: Verfolgst du noch die aktuellen Entwicklungen rund um das Werk Steyr?
Erich Schwarz: Ja, es sind noch sehr viele Freunde und Bekannte im Werk tätig, ebenso reißt der Kontakt zum Betriebsrat nicht ab. Das sind ja nicht nur meine Kollegen, sondern auch meine Freunde geworden.
Die Kooperation mit Volta Trucks für die Fertigung von Elektro-Lkw sehe ich natürlich sehr positiv. Eigentlich wollten wir bei MAN auch, dass der leichte Lkw elektrifiziert wird, weil es letztendlich diese Fahrzeuge sind, mit denen man in den Städten beliefert – und nicht der Schwerlaster mit 40 Tonnen. Es kommt halt darauf an, wie viele Arbeitsplätze dadurch letztendlich geschaffen werden können. Es bleibt zu hoffen, dass Volta rasch in die Stückzahlen kommt und wenn sie in Europa Fuß fassen, dann bin ich in diesem Bereich sehr zuversichtlich.
Den Einmarsch von Russland in die Ukraine konnte natürlich vor einem Jahr niemand vorhersehen und jetzt ist vorerst für das Werk die Zusammenarbeit mit GAZ Geschichte. Ich bin jedoch überzeugt, dass Siegfried Wolf einen Plan B entwerfen und das Werk Steyr auch zukünftig auslasten wird. Er ist ein Top-Manager und wird seine sehr guten Beziehungen in der Wirtschaft nutzen, um andere Produkte in Steyr zu fertigen.
Der Produktionsausfall durch fehlende Kabelbäume aus der Ukraine löst derzeit Kurzarbeit im gesamten MAN-Konzern aus und somit auch im Werk Steyr, die ja noch bis Mitte des nächsten Jahres für MAN Auftragsfertigung durchführt. Die Gewerkschaft hat mit der Wirtschaftskammer und der Regierung eine gute Kurzarbeitsregelung vereinbaren können und sichert damit die Arbeitsplätze auch längerfristig ab.
Wir haben schon gewusst, dass Siegfried Wolf eine Produktionsstätte in Europa sucht, damit er seine GAZ-Produkte in Europa an den Mann bringt."
TRAKTUELL: Die MAN-Belegschaft hatte sich am 7. April 2021 in einer Urabstimmung über den Verkauf an Siegfried Wolf fast mit einer Zwei-Drittelmehrheit dagegen ausgesprochen. Trotzdem wurde das Werk verkauft. Was ist also das Resümee daraus? Dass es nichts nützt, sich zu wehren?
Erich Schwarz: Nein, das stimmt nicht. Der Investor hätte auch sagen können, wenn die Belegschaft mich dermaßen ablehnt, dann ziehe ich mein Angebot zurück. Wir haben schon gewusst, dass Siegfried Wolf eine Produktionsstätte in Europa sucht, damit er seine GAZ-Produkte in Europa an den Mann bringt. Eine eigene Produktion wirkt sich dabei natürlich positiv auf die Zollbeschränkungen aus. Er hat halt dann das Werk Steyr für sich auserkoren und offenbar mit der Familie und dem VW-Konzern vereinbart, dass er dieses Werk haben will – unter allen Umständen.
Es war schon richtig, dass wir uns dagegen gewehrt haben. Aber es hat in diesem Fall, nachdem es mit dem VW Aufsichtsrat paktiert war, nichts gebracht. Wenn es nicht mutmaßlich auch in Deutschland mit IG-Metall und Gesamtbetriebsrat der MAN und dem VW-Weltbetriebsrat paktiert gewesen wäre, hätten wir dies verhindern können.
TRAKTUELL: Du hast die „Familie“ angesprochen. Du meinst, Siegfried Wolf hat sich das schon mit der Familie Porsche im Vorfeld ausgemacht?
Erich Schwarz: Wenn man sein Naheverhältnis zur Familie kennt und weiß, dass er auch bei Porsche im Aufsichtsrat sitzt, dann nehme ich einmal stark an, dass das so passiert ist.
TRAKTUELL: Jetzt bist Du genau ein Jahr im Ruhestand. Fehlt Dir eigentlich der Trubel, den Du im letzten Berufsjahr erlebt hast?
Erich Schwarz: Nein, überhaupt nicht. Ich war zum Ende hin auch gesundheitlich schon ziemlich angeschlagen. Inzwischen geht es mir aber wieder gut und ich habe ausreichend Interessen und Betätigungsfelder, sodass ich kein Problem mit der Pension habe.
TRAKTUELL: Vielen Dank für das Gespräch.