Oberleitung : Scania liefert erste Zwischenergebnisse zum E-Highway

Scania R 450 Oberleitungs-Lkw auf der A5-Teststrecke bei Frankfurt

Scania R 450 Oberleitungs-Lkw auf der A5-Teststrecke bei Frankfurt

- © Scania/wmp-wizard-media Fotografie-Schepp

Am 7. Mai wurde die erste deutsche Elektroautobahn für den Straßengüterverkehr in Betrieb genommen. Auf der deutschen Autobahn A5 bei Frankfurt, einem Teilstück zwischen Langen-Mörfelden und Weiterstadt in Südhessen, können Oberleitungs-Lkw auf Strom aus einem Oberleitungssystem zurückgreifen. Der Nutzfahrzeughersteller Scania, exklusiver Lieferant für diesen vom deutschen Bundesumweltministerium finanzierten Feldversuch, kann bereits erste positive Zwischenergebnisse vorweisen. „Nach den ersten tausend Kilometern, die ausgewertet wurden, konnten wir eine Kraftstoffeinsparung an Diesel von rund zehn Prozent verzeichnen. Das ist ein erfreulich positives Ergebnis schon nach den ersten Wochen der Testphase“, sagt Stefan Ziegert, Produktmanager nachhaltige Transportlösungen für Scania Deutschland/Österreich.

Speditionen strampeln Kilometer ab

Mit an Bord holte sich Scania das Speditionsunternehmen Hans Adam Schanz. Seit Beginn der Testfahrten transportiert die Spedition Hans Adam Schanz mit dem Scania-Modell R 450 Hybrid mehrmals täglich etwa 100 bis 150 Tonnen Fracht vom Sitz eines Farbenherstellers im vorderen Odenwald nach Frankfurt-Ost und passiert auf jeder Tour die fünf Kilometer lange Oberleitungs-Pilotstrecke auf der A5 bei Frankfurt.

In den kommenden Monaten werden bereits vier weitere Hybrid-Lkw für das Pilotprojekt in Hessen ausgeliefert. Frank Hagedorn freut sich, dass die Firma Hans Adam Schanz als eine von fünf hessischen Speditionen ausgewählt wurde, am Projekt „Elektrifizierter, Innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen“ (ELISA) teilzunehmen. Die Speditions-Geschäftsführerinnen Christine Hemmel und Kerstin Seibert sind begeistert, dass sie nun die Ersten waren, die ein Oberleitungs-Fahrzeug von Scania in Empfang nehmen konnten.

„Wir mussten nicht lange überlegen, als wir gefragt wurden, ob wir bei dem Projekt mitmachen wollen“, sagt Hemmel. Der Umweltfaktor ist dem Unternehmen wichtig. Alle 38 Scania-Fahrzeuge im Fuhrpark haben schon seit einiger Zeit Euro-6-Motoren. Zum anderen ist man im Familienbetrieb Schanz aber auch immer neugierig und interessiert daran, etwas Neues auszuprobieren. „Die Oberleitungstechnik klingt sehr vielversprechend“, so Seibert.

„Das eigentliche Charmante an der Technik ist, dass das Fahrzeug nicht nur mit dem Oberleitungsstrom fahren, sondern darüber hinaus im laufenden Betrieb die Batterie laden kann“, erklärt Scania Deutschland/Österreich Produktmanager Stefan Ziegert. Dies bringt erhebliche Vorteile, denn bei einem Nutzfahrzeug, das häufig rund um die Uhr im Einsatz ist, werden die Standzeiten für den Ladevorgang auf ein Minimum reduziert.

„Beim Anfahren ist das Drehmoment sofort da“

Am Steuer des "EL-LEON", wie dieser Scania R 450 Hybrid in Schweden getauft wurde, sitzt Lkw-Fahrer Thomas Schmieder. Er ist einer von drei Fahrern der Spedition Hans Adam Schanz, die auf dem neuen Oberleitungs-Lkw ausgebildet werden. Es ist kein Zufall, dass er bei der Jungfernfahrt den EL-LEON auf dem E-Highway fährt: Er hatte sich wegen genau dieses Fahrzeugs gezielt bei dem Unternehmen beworben. „Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass die Spedition Schanz an dem Pilotprojekt teilnehmen wird und sofort gewusst, dass ich das machen will. Einen Vorteil konnte Schmieder bereits bemerken: „Beim Anfahren ist das Drehmoment sofort da, man muss es nicht erst über die Drehzahl aufbauen.“ Und dann ist da noch die Sache mit der Geräuschkulisse: „Wenn man das Fenster geöffnet hat, hört man nur das Rollen der Räder auf dem Asphalt.“

Ausscheren auf der Oberleitungsfahrbahn kein Problem

Eine Anzeige in der Armatur zeigt dem Fahrer, ob er im Bereich der Teststrecke auf der richtigen Spur fährt. Denn nur dann kann der Stromabnehmer, der von Siemens entwickelte Pantograf, ausgefahren werden und Kontakt aufnehmen. „Viel Spielraum nach rechts oder links gibt es nicht, da muss man richtig die Spur halten“, sagt Thomas Schmieder. Eine Sache der Gewohnheit, wie der Lkw-Fahrer anmerkt. Auch das Ausscheren aus der Oberleitungsfahrbahn ist kein Problem: „Sobald der Blinker gesetzt wird, fährt der Pantograf automatisch runter und der Überholvorgang kann beginnen“, sagt Schmieder.

Teures Vorhaben mit zu wenig Effekt?

Doch nicht alle stehen der Idee von Hybrid-Lkws mit Stromabnehmern am Dach wohlwollend gegenüber. Die Kritiker beziehen klar Stellung: Nur für Firmen, die ihre Flotten mit den notwendigen Fahrzeugen ausstatten, macht das Oberleitungssystem entlang der Autobahn Sinn. Im Falle von Norddeutschland, wo derzeit in Schleswig-Holstein eine Teststrecke entsteht, ist rund die Hälfte der Lkw, die auf der Autobahn unterwegs sind aus dem Ausland und befinden sich somit im Transitverkehr. Doch wie bringt man auch ausländische Unternehmen dazu, den Flottenbestand mit O-Lkw auszustatten? Fragen, die sich angesichts der hohen Investitionssummen gestellt werden müssen. Für die Planung und den Bau der E-Highway-Teststrecke in Hessen hat das Bundesumweltministerium rund 15 Millionen Euro investiert. Weitere rund 15 Millionen Euro sollen in Datensammlungen und Auswertungen bis 2022 fließen.

Von Milliardeninvestitionen, die für aktuelle Oberleitungs-Projekte aufgewendet werden, um ein paar Liter Diesel zu sparen, hält der Bund der Steuerzahler Schleswig-Holstein jedenfalls nichts, berichtet „Focus“. Eine Kraftstoffeinsparung von zehn Prozent ist zu wenig, so die Kritik. Auch Experten des Berliner Öko-Instituts hatten eine wesentlich optimistischere Prognose abgegeben: „Oberleitungs-Lkw können im Jahr 2025 ein Viertel weniger CO2 emittieren als Dieselfahrzeuge - selbst wenn diese in Zukunft deutlich effizienter werden - und bereits innerhalb der typischen Nutzungsdauer von fünf Jahren Kostenvorteile gegenüber Dieselfahrzeugen erzielen“, hatte das Institut im September 2018 in Aussicht gestellt.

Praxistests sollen umfangreiche Daten liefern

Herauszufinden, wie sich die Oberleitungstechnik im Praxisbetrieb bewährt, und ob so klima- und lärmschonend Güter auf der Straße transportiert werden können ist ein integrales Ziel der Feldversuche mit O-Lkws. Doch auch wie viel CO2 tatsächlich eingespart werden kann. Wie sich die Lkw bei unterschiedlichen Wetterverhältnissen und Einsatzbedingungen verhalten und was passiert, wenn mehrere Hybrid-Fahrzeuge gleichzeitig unter der Oberleitung fahren.

Wie viel Strom muss dann überhaupt zugeführt werden, damit diese nicht nur fahren, sondern zusätzlich auch ihre Batterie laden können? Diese Fragen sollen in den kommenden Jahren auf der A5 und auf zwei weiteren Teststrecken geklärt werden, die in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg entstehen. Auf der A1 bei Reinfeld wird dann getestet, ob eine Anbindung an einen Hafen funktioniert. In Baden-Württemberg soll auf der Bundesstraße B 462 bei Rastatt die Tauglichkeit für Ortsdurchfahrten erprobt werden. Auch für diese Strecken liefert Scania exklusiv jeweils fünf Fahrzeuge.

Wenn die Effizienz der Technik in diesem Versuch festgestellt wird, könnten Lkw künftig generell elektrifiziert unterwegs sein und dann - so die Vision - vielleicht auch ganz ohne Verbrennungsmotor auskommen. Dafür müssten keineswegs alle knapp 15.000 Autobahn-Kilometer in Deutschland mit Oberleitungen ausgestattet sein, ist das Unternehmen Scania überzeugt. Denn zum einen finden knapp 70 Prozent des gesamten Güterverkehrs ohnehin auf den wichtigsten Verkehrsstraßen statt, die sich auf etwa 4.000 Autobahnkilometer konzentrieren. Zum anderen würden auf diesen Strecken wiederum Abschnitte von rund 15 Kilometern ausreichen, um die nächsten 50 Kilometer batterieelektrisch fahren zu können.

Im Schnellüberblick: So funktioniert die elektrische Straße

Der Fahrer fährt zunächst auf die elektrifizierte Fahrspur auf

Ein Sensor erkennt, ob die Fahrspur mit einer elektrischen Fahrleitung ausgestattet ist. Bis jetzt ist der Lkw mit Verbrennungsmotor gefahren. Nun fährt der Fahrer den Pantograf aus.

Der Fahrer baut eine Verbindung zur Oberleitung auf

Sobald diese Verbindung zustande gekommen ist, überträgt der Pantograf die Energie der Oberleitung direkt an den Elektromotor und lädt gleichzeitig die Batterie auf. Während des Bremsvorgangs wird der Energiefluss umgekehrt, wodurch Strom erzeugt wird, der die Fahrzeugbatterie auflädt (Rekuperation).

Beim Überholen wird die Verbindung getrennt.

Während des Überholens oder wenn der Lkw am Ende einer elektrifizierten Strecke angekommen ist, wird der Pantograf wieder eingefahren. Der Elektromotor läuft so lange wie möglich noch mit Batteriestrom weiter. Nach dem Überholmanöver kann der Fahrer wieder auf den elektrifizierten Fahrstreifen zurückkehren.

Fakten zum Scania R 450 Hybrid

Hybridantrieb: Li-ion Batterie (18,5kWh – nutzbare Energie 7,4kWH)

Elektro-Motor: 130 kW (177 PS), 1.050 Nm

Reichweite im reinen Batteriemodus: circa 10 bis 15 Kilometer

Zusätzliche Eigenschaften: Power Boost Modus (zur Unterstützung des Diesel-Motors z. B. beim Anfahren), Rekuperation, Start/Stopp

Dieselmotor: 450 PS, 13-Liter-Motor, Reihensechszylinder

Scania Opticruise (automatisiertes Getriebe)

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