Das Schließungsszenario für Steyr ist vom Tisch. Das ist, bei allem Wehklagen über die umstrittene Vorgehensweise des MAN-Konzerns, eine gute Nachricht für die Region und auch für die (verbleibenden) Mitarbeiter. Jetzt schon euphorisch von einem Happy End zu sprechen, ist allerdings verfrüht! Zunächst einmal produziert das Werk weiter für den MAN-Konzern. Für die kommenden zwei Jahre ist die Auslastung damit gesichert. Parallel dazu kann die WSA mit der Umstrukturierung des Betriebs und der Neuausrichtung beginnen. Unter anderem ist eine Fahrerhausproduktion für den russischen GAZ-Konzern angedacht. Ebenso hat Wolf angekündigt, den Markennamen Steyr wiederbeleben zu wollen und leichte Nutzfahrzeuge herzustellen und zu vermarkten. Die Rechte an der Marke „Steyr“ hält allerdings Wolfs ehemaliger Arbeitgeber, Magna, dies gilt es zuvor zu klären, ebenso wie die Frage, wer den Vertrieb und das Service für Wolfs Fahrzeuge übernimmt. Fraglich ist auch, ob es sich bei den neuen Fahrzeugmodellen um Derivate bestehender Produkte aus dem GAZ-Konzern handelt, oder ob Wolf hier völlig neue Wege gehen will. So oder so bietet die Zusammenarbeit des Werks mit großen Playern wie GAZ und MAN viele Chancen und Zugang zu einem breiten Absatzmarkt.
Die gesamte Automobilindustrie steht im Lichte der Maßnahmen gegen den Klimawandel und dem damit einhergehenden Innovationsbedarf vor einem tiefgreifenden Wandel. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass Siegfried Wolf auch in Steyr den richtigen Riecher hat und das bisher schon profitable Werk zukunftsfit macht, damit der Betrieb die bevorstehenden Transformationsprozesse meistert. Schließlich hat sich der erfolgreiche Manager bereits bei Magna und GAZ in Russland bewährt. Wolf ist nicht nur in der deutschen Automobilindustrie bestens vernetzt. Seine Russland-Connection bietet die Chance auf neue Kooperationen und die Erschließung neuer Märkte. Diese Chance ist zugleich aber auch das größte Risiko: Denn der Mehrheitseigentümer der GAZ, der Oligarch Oleg Deripaska, ist aufgrund seines Naheverhältnisses zum russischen Präsidenten Putin von US-Sanktionen bedroht. Diese sind noch bis Jänner 2022 ausgesetzt, danach sollen sie schlagend werden. Es sei denn, Deripaska gibt die Kontrolle an der GAZ-Gruppe bis dahin ab. Es ist anzunehmen, dass die handelnden Akteure diese Konstellation bereits mit bedacht und eine entsprechende Lösung dafür in der Hinterhand haben. Wie eine solche aussehen könnte, darüber habe ich bereits im Frühjahr spekuliert ➩ Steigt Traton bei der GAZ-Gruppe ein oder ist gar eine Übernahme geplant?
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