Daimler Truck : "Die Total Cost of Ownership bleiben zentrales Kriterium"
TRAKTUELL: Wie steht es in Sachen E-Mobilität bei Daimler Trucks?
Dr. Frank Reintjes: Es gibt eine Kleinserie und eine Kunden-Innovationsflotte, eingebettet in das jeweilige Geschäftssystem des Kunden. Die nächste Stufe ist „gaining business“. Also: hochfahren, Skaleneffekte generieren und Geld damit verdienen. Es ist ja nicht nur eine technologische Herausforderung. Die Total Cost of Ownership, TCO, bleiben als zentrales, kaufrelevantes Kriterium auf der Kundenseite und bei uns bleibt natürlich auch die Absicht, unsere Profitabilitätsziele mittel- und langfristig zu erreichen.
Was glauben Sie, wie weit man davon noch entfernt ist? Beim eActros wird ja in die Vorserienentwicklung massiv investiert.
Wir sind jetzt mit unserer eActros-Innovationsflotte bei Generation eins. Mit Generation zwei werden wir dann in Serie gehen. Dabei können wir nochmals Verbesserungen anbieten, was zentrale Komponenten des E-Antriebsstrangs betrifft: eine bessere Integration ins Gesamtfahrzeug und die Abstimmung der Fahrstrategie auf das Batteriemanagement, vor allem hinsichtlich des Ladens und Entladens. Und in Generation drei wollen wir unsere globalen Skalen in Plattformen und Modulen im Rahmen einer gesamtheitlichen Elektroarchitektur abbilden – ähnlich wie im traditionellen Antriebsstrang, wo uns das hervorragend gelungen ist.
Plattformen und Module, die man dann auch in der Massenfertigung verwenden kann?
Ja, genau! Wir haben eine hervorragende Ausgangsposition. Wir haben das richtige Know-how und Ingenieure, die das entsprechend umsetzen können. Wir haben zudem eine gute Lieferantenstruktur mit sehr leistungsfähigen Partnern, mit denen wir auch in sehr intensivem Kontakt sind. Wir haben Kundenbeziehungen, die seit über hundert Jahren bestehen. Anders als beim Diesel muss man bei der E-Mobilität aber nochmal tief in die Geschäftssysteme einsteigen. Wie fährt der Kunde? Welche Routen fährt er? Was sind seine durchschnittlichen Reichweitenanforderungen? Wo stehen die Lkw nachts? Stehen sie im Depot mehr oder weniger immer an der gleichen Stelle? Wenn ja, können wir dort laden. Oder der Kunde fährt Linienverkehre. Das sind alles Fragestellungen, mit denen wir uns auskennen, aber wir müssen sie vor dem Hintergrund der E-Mobilität mit den Kunden neu bewerten. Und die Kunden kommen und sagen: „Wir wollen mit Euch darüber reden. Wir trauen Euch zu, dass Ihr auch darauf die besten Antworten findet.“
Bei der E-Mobilität ist ja das Problem gar nicht der Antrieb, sondern es geht eher um die Energiespeicherung und darum, die Energie dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Wasserstoff hätte den Charme eines transportierbaren Treibstoffs, kommt aber aus irgendeinem Grund nicht so richtig in die Gänge. Warum ist das so?
Der Grund liegt auf der Hand: die Infrastruktur fehlt. Und wenn wir die gesamte Ökobilanz nicht von „tank to wheel“, sondern von „well to wheel“ betrachten: Wasserstoff zu produzieren ist sehr energieintensiv. Wenn Sie das mit Kohlestrom machen, ist das völlig irrsinnig. Das heißt, man ist in diesem Punkt, wie bei batterieelektrischen Fahrzeugen im Übrigen auch, auf regenerativ erzeugten, günstigen Strom angewiesen – der überall dort verfügbar ist, wo man ihn zum Laden benötigt. Wasserstoff hat Charme: Er ist relativ einfach zu speichern und zu transportieren. Die Handhabung ist nicht trivial, aber beherrschbar. Ich schließe daher nicht aus, dass das womöglich ein paralleler Pfad ist, den wir auch verfolgen müssen. Zumal es ja auch kein hundertprozentiger Widerspruch ist: Auch ein Fuel-Cell-Truck wird wesentlich auf Komponenten zurückgreifen müssen, die wir in einem batterieelektrischen Truck sehen. Nur die Energiequelle ist eine andere.
Welche Hoffnungen gibt es denn noch? Beim Wasserstoff ist die Produktion relativ aufwendig, aber auch beim Laden von Batterien verliere ich letztendlich einen Teil der Energie. Im Prinzip geht es doch um das allgemeine Problem, wo der Strom herkommen soll!
Das stimmt, das ist letztlich die zentrale Herausforderung. Aber damit lässt man die Industrie im Moment noch allein. Wir sind gezwungen, von „tank to wheel“ effizienter zu werden. Die nächsten Initiativen der Gesetzgeber müssen sich also mit der Frage beschäftigen, wie die Gesamtbilanz aussieht. Wie umweltverträglich wird Strom erzeugt und wie sieht der Mix aus? Wenn man das CO2-Ziel als Begründung für die Vorgaben heranzieht, dann muss man das auch konsequent denken.
Ein anderes Zukunftsthema ist ja das automatisierte Fahren. Daimler bringt mit dem neuen Actros erstmals ein Fahrzeug mit einem Assistenten für teilautomatisiertes Fahren nach Level 2 auf den Markt. Was glauben Sie denn, wie lange es dauern wird bis wir Level 5 am Markt sehen, also komplett fahrerlose Fahrzeuge? Oder besser gefragt: Level 4, denn Level 5 hängt letztendlich vom Gesetzgeber ab.
Genau, und damit geben Sie sich selbst eine Antwort auf die Frage. Die Rahmenbedingungen, vor allem auf der gesetzgeberischen Seite, sind zu klären. Es ist nicht nur eine technologische Herausforderung.
Und von der technologischen Seite her?
Das kann man nicht präzise in Jahren ausdrücken. Es gibt Strecken, auf denen sich das mehr anbietet als auf anderen, zum Beispiel im Fernverkehr auf der Autobahn. Der Vorteil ergibt sich über einen Pro-Kilometer-Vorteil. Wenn Sie sich die TCO ansehen, dann repräsentiert der Fahrer in Europa – immer unterschiedlich und natürlich abhängig von den Arbeitskosten – etwa 30 Prozent davon. Jetzt stellen Sie sich vor, wir könnten 30 Prozent der Kosten reduzieren, was das für ein Effizienzgewinn für unsere Kunden wäre. Das hätte die Industrie noch nicht gesehen und wäre sehr attraktiv. Wir arbeiten bislang mit mehr oder weniger traditionellen Mitteln, am Antriebsstrang beispielsweise, an jeder Ein-Prozent-Kraftstoffverbesserung. Das sind ganz andere Dimensionen. Volle 30 Prozent funktioniert in der Realität natürlich nicht, denn innerstädtisch ist vollautomatisiertes Fahren oder der Einsatz von selbstfahrenden Fahrzeugen schwierig, ebenso auf den letzten Metern an die Rampe und im Verteilverkehr.
Aber eigentlich gibt es schon ein Transportmittel, das mit nur einem Fahrer auskommt – bei einer Kapazität von rund 40 Lkw. Es nennt sich Zug. Warum ist trotzdem der Lkw im Fernverkehr so attraktiv im Vergleich zur Eisenbahn?
Weil der Lkw eine absolut flexibel einsetzbare Maschine ist. Man kann weite Strecken fahren, verteilen, umkoppeln und individuelle Routen fahren. Man kann ihn auch für vier Wochen mit zwei Fahrern losschicken und in Europa Ladung einsammeln lassen. Und wenn Sie die Kosten betrachten – und das ist immer das Kriterium Nummer eins bei unseren Kunden –, dann ist der Lkw schlichtweg günstiger. Was nicht ausschließt, dass man Schüttgüter und Rohstoffe mit der Bahn transportiert oder auch bestimmte Flüssigkeiten.
Es gibt Feldversuche mit elektrifizierten Autobahnen, auch wenn Daimler hier nicht federführend dabei ist. Was halten Sie von solchen Lösungen?
Wir halten nicht allzu viel davon. Die Infrastruktur bereitzustellen ist unglaublich teuer und würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen durch die Planfeststellungsverfahren. Wir sehen uns das an und lehnen es nicht grundsätzlich ab. Im Fernverkehr jedoch halten wir es nicht für sinnvoll. Auf der B462 bei Rastatt ist ein Pilotprojekt zu elektrisch betriebenen Hybrid-Oberleitungs-Lkw geplant. Wir wollen diesem Ansatz unseren batterieelektrischen eActros entgegenstellen und sozusagen den Konzeptbeweis führen, dass batterieelektrisch sinnvoller ist, wenn man wiederum die Gesamtkosten in Betracht zieht. Bei Bussen hingegen ist die Situation eine andere, da gibt es verschiedene Optionen. Es gibt heute schon O-Busse, beispielsweise auch in Stuttgart. Man kann auch überlegen, einen E-Bus über Oberleitungen zu laden.
Daimler Trucks ist weltweit in unterschiedlichen Märkten unter verschiedenen Marken aktiv. Gibt es regional unterschiedliche Bedürfnisse in Bezug auf den Antriebsstrang? Wie begegnet man diesen in der Entwicklung? Gibt es eine zentrale Entwicklung für den Antriebsstrang, der dann nur weltweit ein bisschen adaptiert wird?
Ja, wir haben das in der Tat geschafft, vor allem in der Triade Europa-USA-Japan, und es gibt jetzt auch Überlegungen für China. Der Antriebsstrang – also Motor, Getriebe und Achse – ist weitgehend als Plattform verfügbar. In den USA liegt die Verbaurate von HDEP (Heavy-Duty Engine Platform), also unserem großen, schweren Dieselmotor mit drei Hubraumklassen, in unseren Fahrzeugen bei weit über 90 Prozent. Vor sieben, acht Jahren waren es 50 oder 60 Prozent. Der Kunde dort hat ja die Wahl, den Freightliner Cascadia mit Motoren, Achsen und Getrieben von Dritten oder eben mit Daimler-Motoren bzw. -Achsen und -Getrieben zu ordern. Und die Entscheidungen, die die Kunden getroffen haben, sind klar: sie haben sich für unsere Komponenten entschieden. (Anm.: Freightliner ist eine Marke von Daimler in den USA. Anders als in Europa kann man sich dort eine Sattelzugmaschine auch mit Motor und Getriebe unterschiedlicher Hersteller konfigurieren).
Auch bei Fuso setzen wir in Schwer-Lkw HDEP ein und auch MDEG (Medium-Duty Engine Generation), jetzt auch mit dem automatisierten Schaltgetriebe AMT (Automated Manual Transmission). Es ist Teil unseres Erfolgs, diese Plattformen zu haben. Genauso wie wir das vorhin für die E-Plattformen diskutiert haben: Es geht darum, Skaleneffekte zu erzielen. Wir sind damit natürlich auch besser, was die Einführung von Produktoptimierungen betrifft, weil wir das schneller umsetzen können und weil sich Entwicklungskosten umlegen lassen.
Das heißt, der Antriebsstrang unterscheidet sich bei Daimler, egal welche Marke es ist, nicht sonderlich voneinander?
Wir müssen natürlich immer die lokalen, regionalen und nationalen Emissionsvorschriften beachten. Die Industrie hatte gehofft, dass es mit Euro VI eine weltweite Konvergenz gibt, dass wir überall ähnliche Grenzwerte sehen sowie ähnliche Messverfahren und Bedingungen. Das geht aber im Moment eher auseinander. Die Komponenten Motor und Abgasnachbehandlung erfüllen alle Emissionsvorschriften, aber wir müssen schon auch adaptieren.