Future Mobility : Wie sieht der Lkw der Zukunft aus?
Trends in der Nutzfahrzeugindustrie werden von zwei wesentlichen Faktoren bestimmt: Einerseits ist dies die Kundenforderung nach maximaler Wirtschaftlichkeit. Andererseits gilt es auch den Ansprüchen der Allgemeinheit Genüge zu tun, die als Regularien des Gesetzgebers formuliert sind oder in Form von Förderungen besondere Verhaltensanreize setzen. In der Regel betreffen gesetzliche Normen die Fahrzeugabmessungen und Tonnagen, Umweltauflagen und die Verkehrssicherheit.
Wirtschaftlichkeit
Was die Wirtschaftlichkeit betrifft, so machen die Treibstoffkosten in Europa heute etwa ein Drittel der Gesamtfahrzeugkosten (TCO – Total Cost of Ownership) eines Fernverkehrs-Lkw aus. Folglich ist die Effizienzsteigerung des Dieselmotors über die letzten Jahrzehnte die logische Konsequenz einer kundengetriebenen Fahrzeugentwicklung. In unseren Lkw-Tests messen wir inzwischen – unter Idealbedingungen – Verbräuche von unter 25 Litern bei einem voll ausgeladenen Sattelzug. In der Regel geht mit jeder neuen Fahrzeuggeneration auch eine Effizienzsteigerung einher.
Zweiter, wesentlicher Kostenfaktor ist das Personal, also der Lkw-Lenker. Da dieser Berufsstand durch die harte Konkurrenzsituation in der Transportlogistikbranche zunehmend unter Druck gerät, ist hier auch eine Verknappung der verfügbaren Facharbeiter am Arbeitsmarkt zu erkennen: der sogenannte „Fahrermangel“ ist inzwischen ein Hauptgesprächsthema in der Branche.
Regularien
Die regulatorischen Vorgaben bezüglich der Umwelt betrafen in der Vergangenheit vor allem Lärm- und Schadstoffemissionen wie NOx und Feinstaub, die durch die Euro-Klassen immer weiter begrenzt wurden. Nachdem aber auch die Diesel-Lkw inzwischen deutlich „sauberer“ geworden sind, rückt im Rahmen der Klimaschutzbemühungen auch die Emission von Treibhausgasen in den Fokus: Eine Reduktion im Verbrauch von fossilen, nicht erneuerbaren Energieträgern an sich ist damit das erklärte Ziel in der EU – um 30 Prozent bis 2030. Nun hat aber die langjährige Entwicklung der Verbräuche über alle Marken hinweg gezeigt, dass in der Evolution des Dieselmotors nur durchschnittlich ein bis zwei Prozent Kraftstoffeinsparungen pro Jahr erzielt wurden. Folglich bedarf es anderer, nachhaltiger Energiequellen zum Antrieb von Schwerfahrzeugen, um dieses Ziel zu erreichen. Und für sensible Zonen wie den urbanen Raum geht der regulatorische Trend sogar in Richtung lokale Nullemission, was nur mit Elektro- und Wasserstofffahrzeugen erreichbar ist.
Trends
Sowohl wirtschaftliche Faktoren als auch regulatorische Vorgaben sind maßgeblich für die Megatrends in der Lkw-Entwicklung: Dies ist, neben einer weiteren Effizienzsteigerung des Dieselmotors, auch die Suche nach neuen, alternativen Antriebskonzepten. Die Konzepte und teilweise bereits verfügbare Lösungen reichen von Erdgas (CNG/LNG) und biogenen Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren wie Ethanol, FAME-Biodiesel, HVO und Biomethan bis hin zu Hybrid-, Elektro- und Wasserstoffahrzeugen.
Ein weiterer Trend in der Nutzfahrzeugindustrie ist die zunehmende Automatisierung. Auch diese ist teilweise von Regularien zur Verbesserung der Verkehrssicherheit getrieben, die in diversen Assistenzsystemen münden. Beispiele sind der verpflichtende Spurhalte- und Notbremsassistent sowie dann ab 2022/2024 auch der Rechtsabbiegeassistent. Es ist der Versuch, sich der gesellschaftlichen „Vision Zero“ – der totalen Vermeidung von Unfällen – asymptotisch zu nähern. Dass man damit im Verkehr insgesamt auf keinem schlechten Weg ist, beweisen die über die letzten Jahrzehnte stark gesunkenen Unfallzahlen: Trotz steigendem Fahrzeugbestand konnte die Zahl von fast 3.000 Verkehrstoten im Jahr 1972 auf unter 500 jährlich gesenkt werden. Neben Tempolimits und Infrastrukturmaßnahmen sind dafür auch die verbesserte Fahrzeugsicherheit und diverse Assistenzsysteme verantwortlich. Dennoch starben seit den 1960ern rund 85.000 Menschen auf Österreichs Straßen und viele Experten gehen davon aus, dass eine vollständige Automatisierung des Straßenverkehrs durch autonome Fahrzeuge die Gesellschaft der „Vision Zero“ nochmals einen entscheidenden Schritt näher bringt.
Abgesehen davon sind es bei Nutzfahrzeugen aber vor allem wirtschaftliche Faktoren, die eine Automatisierung vorantreiben. Fahrpersonal ist nicht nur schwer zu finden: Im Fernverkehr schlägt neben dem Treibstoff auch der Lkw-Lenker mit rund einem weiteren Drittel der Gesamtfahrzeugkosten zu Buche. Gelingt es also, den Fahrer vollkommen durch die Technik zu ersetzen oder zumindest für administrative Aufgaben während der Fahrt frei zu spielen, dann ließe sich dadurch ein enormes Sparpotenzial heben.
Methan CNG/LNG
Alle Lkw-Hersteller investieren und forschen an Technologien, um ihr Portfolio von Dieselfahrzeugen durch andere Antriebskonzepte zu ergänzen. Im Fernverkehr besteht die einzige, sofort verfügbare Alternative derzeit aus dieselähnlichen Biokraftstoffen und LNG, also durch Tiefkühlung auf rund -162 Grad Celsius verflüssigtes Methan. Vor allem bei Biodiesel stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit, da meist Brachflächen oder Ackerflächen für den Lebensmittelanbau geopfert werden. Auch LNG ist derzeit nicht zu 100 Prozent nachhaltig, denn es stammt meist aus fossilen Erdgas-Quellen. Allerdings ist Erdgas voraussichtlich noch wesentlich länger verfügbar als Erdöl und aufgrund des höheren Wasserstoffanteils verbrennt es nicht nur sauberer, sondern es wird auch weniger CO2 emittiert. Zudem gibt es die Möglichkeit, Gas aus biologischen Abfallprodukten herzustellen. Ein weiterer Ansatz besteht darin, künstlich erzeugtes Methan zur Speicherung von elektrischer Energie zu verwenden: Dazu wird zunächst mittels Elektrolyse Wasserstoff hergestellt und dieser dann mit Kohlenstoff aus dem CO2 in der Luft zu Methan (CH4) weiterverarbeitet. Das Gas lässt sich dann in herkömmlichen Speichern lagern oder eben in verflüssigter Form als LNG für den Fernverkehr nutzen. „Derzeit liegt der Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Sonnen- und Windenergie in Erdgas bei 60 Prozent – sehr viel, wenn man bedenkt, dass der überschüssige Strom gegenwärtig aus Mangel an Speichermöglichkeit oft gar nicht genutzt werden kann und Windräder aus dem Wind gedreht oder ganze Windparks vom Netz genommen werden müssen“, schreibt dazu die RAG Austria AG, das größte Gasspeicherunternehmen Österreichs. Die RAG betreibt eine eigene Versuchsanlage zur Verflüssigung von Erdgas sowie eine LNG-Tankstelle im Ennshafen und forscht an der „Power-to-Gas“-Technologie. LNG-Fahrzeuge gibt es bereits am Markt von Iveco, Scania und Volvo Trucks. Die Reichweite beträgt je nach Modell bis zu 1.500 Kilometer. In Deutschland sind LNG-Fahrzeuge von der Maut befreit und erst unlängst wurde in Österreich beschlossen, dass auch LNG nicht mehr nach der Mineralölsteuer sondern mit der günstigeren Erdgasabgabe taxiert wird. Abgesehen von der Verwendung als LNG kann Methan im Regionalverkehr auch einfach in komprimierter Form als CNG eingesetzt werden, hier sind die Reichweiten bei gleichem Tankvolumen allerdings deutlich geringer. In Asien gibt es aber auch CNG-Fernverkehrsfahrzeuge, wobei sich eine Vielzahl an Gastanks hinter der Fahrerkabine türmen.
Elektrifizierung
Erdgas in Form von CNG und LNG wird von vielen nur als Brückentechnologie hin zu einer Mobilitätslösung gesehen, die auf der vollständigen Elektrifizierung des Antriebsstrangs beruht. Die Energie bei solchen Fahrzeugen wird entweder in Akkus mitgeführt oder als Wasserstoff getankt. Der besondere Charme der E-Mobilität liegt in der lokal emissionsfreien Betriebsweise, wodurch auch die nächtliche Einfahrt in sensiblen Bereichen wie dichten Siedlungsräumen oder sogar in geschlossenen Gebäuden möglich ist. Natürlich wird derzeit über die E-Mobilität wesentlich mehr gesprochen, als wirklich Fahrzeuge am Markt verfügbar sind, geschweige denn tatsächlich verkauft werden. Andererseits sind die Investitionen und Bemühungen der Hersteller gravierend und nach und nach rollen mehr und mehr schwere, elektrische Vor- und Kleinserienfahrzeuge auf die Straßen. Es ist also durchaus denkbar, dass im nächsten Jahrzehnt elektrische Müllsammelfahrzeuge und E-Busse zum alltäglichen Stadtbild gehören werden, denn gerade für diese lokalen Anwendungen dürfte sich die Elektrifizierung besonders gut eignen. Der österreichische Marktführer MAN ist hier ganz vorne dabei: Nach einem Praxistest mit neun vollelektrischen 26-Tonnern des Typs MAN eTGM bei führenden österreichischen Handels- und Logistikunternehmen sollen ab dem Jahr 2020 rund 50 weitere Elektro-Lkw vom Band laufen. Das sind auch gute Nachrichten für den Wirtschaftsstandort, denn die Produktion der schweren E-Fahrzeuge von MAN ist im Werk Steyr angesiedelt.
Der Einsatz schwerer Elektro-Lkw ist derzeit auf den Regionalverkehr beschränkt, denn die Reichweiten der unterschiedlichen Fahrzeuge liegen bei maximal 100 bis 200 Kilometern. In Deutschland läuft allerdings ein Feldversuch mit einer Oberleitung auf einem kurzen Autobahnabschnitt und Hybridfahrzeugen von Scania, die über einen Pantografen verfügen. Auch wenn der Betrieb funktioniert, stellt sich dennoch die Frage nach den Investitionen in die Infrastruktur sowie etwaiger Nebeneffekte, wie der optischen Beeinträchtigung der Landschaft oder möglichen Behinderungen bei der Landung von Rettungshubschraubern durch die Oberleitung.
Soll die E-Mobilität aber ohne derartige Infrastruktur für überregionale Anwendungen in Frage kommen, dann bedarf es entweder einer Revolution in der Batterietechnologie oder es müssen andere Quellen der Energieversorgung gefunden werden. Wasserstoff in Verbindung mit einer Brennstoffzelle ist hier der wichtigste Hoffnungsträger. Hyundai möchte bereits im Jahr 2020 mit der Auslieferung entsprechender Lkw namens „H2 Xcient“ in der Schweiz beginnen und gleichzeitig mit Partnerunternehmen am Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur in Europa mitarbeiten. Und auch der Mutterkonzern von Iveco, CNH Industrial, setzt dezidiert auf Wasserstoff. So hat das Unternehmen erst unlängst eine strategische Partnerschaft mit der Nikola Corporation verkündet, inklusive einer Investition von 250 Millionen US-Dollar. Neben Fahrzeugen für den nordamerikanischen Markt soll davon auch die Entwicklung des Wasserstofftrucks Nikola TRE für den Einsatz in Europa profitieren. Derzeit gibt es aber noch keinen Werksstandort für das Fahrzeug und das Ganze ist daher noch im Projektionsstadium, auch wenn Nikola-Gründer und CEO Trevor Milton den Produktionsbeginn für 2022 bis 2023 ankündigt. Parallel dazu will das Unternehmen mit Partnerfirmen wie der norwegischen „Nel Hydrogen“ auch den Aufbau einer umfassenden Wasserstoff-Tankstelleninfrastruktur in Europa beginnen. Als Zeitraum sind hier die Jahre 2022 bis 2030 genannt. Fazit: Auch wenn das Problemlösungspotenzial der E-Mobilität hinsichtlich Klima- und Umweltschutz umstritten ist – zumindest die urbane Luftverschmutzung lässt sich mit E-Fahrzeugen in den Griff bekommen. Die Frage nach einer nachhaltigen Stromerzeugung wird damit aber nicht automatisch gelöst. Und es ergeben sich neue Probleme wie die Produktion und Entsorgung der Akkus oder der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Wenn es gelingt, diese Fragen nachhaltig zu beantworten, dann könnte die E-Mobilität aber einen wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigeren Umgang mit unseren globalen Umwelt- und Energieressourcen sein.
Automatisiertes Fahren
Wenn wir von automatisiertem Fahren sprechen, dann denken wir zumeist an selbstfahrende, fahrerlose Lkw. Bis solche auf unseren Straßen verkehren, ist es noch ein weiter Weg mit einigen Zwischenschritten, die in der Regel in 5 Stufen unterteilt werden: Level 1 sind Fahrerassistenzsysteme, die das Steuer nicht übernehmen, bei Level 2 erfolgt auch ein Eingriff in das Lenksystem, Level 3 ist weitgehend vollautomatisches Fahren, allerdings muss der Lenker jederzeit bereit sein, zu übernehmen. Level 4 ist bereits vollautomatisiert und unterscheidet sich von Level 5, dem vollautonomen Fahren, nur noch durch die Anwesenheit eines Fahrers.
Mit dem neuen Mercedes Actros ist erstmals ein Serienfahrzeug mit der Möglichkeit zum teilautomatisierten Fahren nach Level 2 auf Europas Straßen unterwegs. Inzwischen laufen allerdings auch schon Versuche auf öffentlichen Straßen im US-Bundesstaat Virginia mit Lkw, die mit Level 4-Technologie ausgestattet sind. Daimler will damit gleich den Zwischenschritt Level 3 überspringen, da dieser kaum einen Mehrwert für Lenker und Unternehmer bringt: Während der Fahrer dem Lkw mehr oder weniger gelangweilt beim Fahren zusieht, wäre er dennoch jederzeit verantwortlich und müsste im Bedarfsfall abrupt eingreifen können. Folglich kann er weder schlafen noch andere Aufgaben übernehmen. Es stellt sich auch die Frage, wie schnell jemand sich aus der passiven Zuschauerrolle in brenzligen Situationen urplötzlich aktivieren lässt, um das Steuer zu übernehmen. Kritisch sieht Daimler übrigens auch das Platooning, also die elektronische Kopplung mehrerer Lkw hintereinander. Damit lassen sich die Abstände zwischen den Fahrzeugen verringern und so aerodynamische Vorteile für die nachfolgenden Lkw generieren. Feldversuche in den USA hätten laut Daimler gezeigt, dass die möglichen Kraftstoffeinsparungen hinter den Erwartungen liegen. Trotzdem setzen viele Hersteller in der Forschung und Entwicklung nach wie vor auf das Prinzip des Platoonings und es sind auch alle großen europäischen Lkw-Bauer – inklusive Daimler – zusammen mit namhaften Zulieferern wie NXP, ZF, WABCO, Bosch, Continental und Brembo an dem Projekt „Platooning Ensemble“ unter der Leitung der niederländischen Organisation für angewandte Forschung, TNO, beteiligt. Innerhalb von drei Jahren will man eine markenübergreifende Platooning-Lösung auf öffentlichen Straßen präsentieren (www.platooningensemble.eu). Dass die selbstständige Verfolgung von Lkw zumindest technisch funktioniert, stellt auch ein Projekt von MAN eindrucksvoll unter Beweis: Die Münchner, in Österreich traditionell stark im Straßendienst vertreten, haben im Rahmen eines Forschungsprojekts ein autonomes Absicherungsfahrzeug entwickelt. Dieses soll Arbeiten auf der Autobahn nach hinten gegen den Verkehr absichern, ist dadurch aber selbst besonders unfallgefährdet. Die Lösung: Ein bemanntes Fahrzeug fährt voraus und ein fahrerloses Fahrzeug verfolgt dieses selbstständig in sicherem Abstand.
Während das vollautonome Fahren nach Level 5 auf öffentlichen Straßen aktuell noch Zukunftsmusik ist, wird der selbstfahrende Lkw im abgesperrten Gelände langsam Realität. Volvo Trucks realisiert zum Beispiel für das norwegische Unternehmen Brønnøy Kalk AS eine autonome Transportlösung von Kalkstein aus einem Tagebau zu einer nahegelegenen Hafenanlage. Und in Göteborg soll die fahrerlose Elektro-Sattelzugmaschine Vera den Transport von Containern zwischen einem Logistikzentrum und einem Hafenterminal übernehmen.