Test : Lion‘s Intercity: Sparen nach Plan

Große Frontscheibe abgerundete Kanten und ein senkrechter Silberstreifen: Der Lion‘s Intercity zeigt sich unverkennbar als Mitglied der MAN-Familie – mit individuellen Details
© MAN

Das Angebot an Linienbussen ist größer geworden und nicht nur sogenannte Exoten haben den etablierten Herstellern zu schaffen gemacht. Preisgünstige „Markenware“ ist gefragt, wie es Iveco schon lange erfolgreich mit der in Tschechien produzierten Crossway-Baureihe umsetzt. Mercedes-Benz (Intouro) und Setra (Business-Typen) haben ebenfalls reagiert und ihre abgespeckten Kombi- und Low-Entry-Busse aus türkischer Fertigung erfolgreich in Westeuropa platzieren können. MAN hat sich etwas länger Zeit gelassen und die vergleichsweise günstig kalkulierte Baureihe Lion´s Intercity erstmalig 2015 im Rahmen einer Hausmesse in Ankara präsentiert.

Erste Verkaufszahlen für den deutschsprachigen Raum zeigen, dass das Interesse an den neuen Hochbodenbussen groß ist – die sich dank ihrer „zeitlosen Gestaltung mit klaren Linien und gut ausbalancierten Proportionen“ inzwischen sogar mit dem iF-Designpreis schmücken können. Im Rahmen einer Testrunde durch das Alpenvorland bestand Gelegenheit, den jüngsten MAN-Bus selber zu „erfahren“. Nach kurzer Einweisung übernahmen wir das Steuer – an einem wohlgestalteten Fahrerarbeitsplatz, der eine ausgezeichnete Sitzposition bietet. MAN hatte die Aktion organisiert, dazu eine Route aus Autobahn und Landstraßen inklusive einiger Ortsdurchfahrten zusammengestellt – wie sie vielfach einem regionalen Linienverkehr entspricht.

Unabhängig von der jeweiligen Geschwindigkeit überzeugte der mit nur einem halben Dutzend Personen besetzte Zweiachser durch guten Fahrkomfort. Dazu hat das Reisebusfahrwerk mit Einzelradaufhängung vorne ebenso wie eine insgesamt gelungene Abstimmung von Federung und Dämpfungselementen beigetragen. Dass es im Heck etwas straffer zugeht, mag daran liegen, dass die verwendete Hypoidachse eine schmalere Federspur als bei den sonstigen Hochbodenbussen von MAN (und Neoplan) aufweist – und die Stabilisatoren dies ausgleichen müssen. Somit lässt sich Gewicht einsparen (Leergewicht 11,9 t), ohne negative Auswirkungen auf die Fahrstabilität zu spüren. Gut gedämpft zeigt sich auch das griffige Lenkrad, das selbst bei Querrillen ruhig in der Hand liegt. Der Wendekreis beträgt nur knapp 21 m, womit sich der Testbus im Vergleich zu Wettbewerbern ganz vorne einreihen darf. Von den Windgeräuschen durch das Gestänge der Außenspiegel einmal abgesehen, verhält sich der Bus ruhig – es klappert und pfeift nichts, was auf eine insgesamt gute Verarbeitung und Endkontrolle schließen lässt.

Leistung eher knapp bemessen

Das Alpenvorland hatte dem Testbus nur wenig abverlangt, die wenigen Steigungen ging er gemächlich, jedoch ohne zu mucken, an. Der nur 213 kW starke Motor gewährleistete in Kombination mit dem ZF-Wandlerautomaten EcoLife eine insgesamt zuverlässige Funktion. Zu gerne hätten wir noch die Alpen direkt angesteuert, um die Leistung des Antriebs auch unter schwierigeren Bedingungen zu testen, doch dafür blieb bei der straff organisierten Fahrvorstellung leider keine Zeit. Jedoch lässt die Erfahrung aus unzähligen Testfahrten Vergleiche zu; demnach bietet der D0836-Motor (6,9 l) hinsichtlich Elastizität und Leistung für einen 18-Tonner nur knappe Reserven. Nicht umsonst hat man die Hinterachse vergleichsweise kurz übersetzt, sodass für 80 (100) km/h bereits 1.400 (1.800) Touren anstehen – womit man sich allerdings weitgehend im grünen Bereich befindet, denn die Leistungskurve des Reihensechszylinders zeigt ein maximales Drehmoment von 1.100 Nm bei 1.200 bis 1.750 U/min. Während man also auf leichter Topografie mit dem 6,9-l-Motor gut unterwegs ist, dürfte das Triebwerk für bergige Regionen knapp ausgelegt sein – will man auf zügige Fahrweise nicht verzichten und auch schon mal einen Gruppenausflug mit vollbesetztem Bus durchführen.

Ob es zum Antrieb noch Alternativen gibt? Seitens MAN bekommt man dazu derzeit keine offizielle Antwort. Allerdings lassen sich Vermutungen anstellen; denn parallel zur Entwicklung der kommenden Niederflurbaureihe „Lions4City“ soll auch an einem 9-l-Triebwerk („D15“) gearbeitet werden – das möglicherweise den D20-Motor (10,5 l) aus dem Gesamtprogramm ersetzt. Dieser dann völlig neue Motor könnte auch dem Intercity-Programm weitere Einsatzmöglichkeiten erschließen – zumal es noch die größeren C-Varianten in 13,05 m oder 13,25 m Länge (mit maximalem Sitzplatzangebot für den Schulbusverkehr) gibt. Wählen kann der Betreiber übrigens bei den Getrieben, so wird alternativ zum EcoLife-Automat ein 6-Gang-Schaltgetriebe von ZF (Serie) oder der vierstufige Wandlerautomat Voith DIWA angeboten. In Verbindung mit der angedachten stärkeren Motorisierung wäre künftig auch ein automatisiertes Schaltgetriebe denkbar, wie es unter Ausnutzung von Synergie-Effekten von der Konzernschwester Scania (Opticruise) kommen könnte.

Cockpit mit „MAN-Pille“

Der Fahrerarbeitsplatz überzeugt hinsichtlich Ausstattung und Funktion. Ein Highlight in dieser Klasse ist sicherlich das Multifunktionslenkrad, das in Verbindung mit dem optionalen Tempomaten obligatorisch ist und weitere Funktionen wie das freihändige Telefonieren unterstützt.

Die fest installierte „MAN-Pille“, gemeint ist der ovale Armaturenträger, wirkt in diesem Umfeld keinesfalls überholt, sammelt vielmehr durch gewohnte Funktionen Pluspunkte. Rechts daneben ist das Modul mit Navigation und digitalem Tachografen eingelassen, obendrauf gibt´s einen doppelten Cupholder, in dessen zweiter Hälfte die Säule für eine Kassenhalterung Platz findet. Der Navigations-Monitor dient ergänzend auch für die Bilder der Türkamera am Mitteleinstieg. Linker Hand die Fensterkonsole, mit Funktionstasten und einer eingelassenen Ablage; etwas tiefer sitzen Feststellbremse und die Steuerung für das Bordklima. Als störend haben wir die breiten Heizdrähte im Fahrerfenster empfunden, die im Verbund mit Reflexionen den Blick in den linken Spiegel erschweren; dies muss heute nicht mehr sein, denn längst gibt es auch feinere Heizdrähte, die schnell funktionieren.

Breite Heizdrähte am Fahrerfenster sind zwar nützlich, können den Blick in den Rückspiegel jedoch einschränken. Es gibt längst auch leistungsfähige, fast unsichtbare Heizdrähte Bild: Jürgen Görgler

Sicherheit auf neuestem Stand

Bezüglich aktiver und passiver Sicherheit erfüllt der Lion‘s Intercity aktuelle und künftige Vorgaben, wobei der Betreiber auch noch Optionen hat. Die serienmäßige Fahrdynamikregelung (ESP) reduziert die Schleudergefahr im Rahmen der physikalischen Grenzen. Die im Testbus integrierte Fahrspurüberwachung (LGS) kommt ohne die vielfach angewendeten Vibrationen im Sitz aus, stattdessen wird dezent mittels Lautsprecher gewarnt. Akustisch und optisch alarmiert dagegen der Notbremsassistent (EBA2), falls mittels Radar und Kamera eine Kollisionsgefahr auf ein stehendes Hindernis erkannt wird; dem Reduzieren der Motorleistung folgt eine moderate Bremsung bis hin zur Vollbremsung, falls der Fahrer nicht reagiert. Zudem entspricht der Intercity der ab 2017 geltenden Richtlinie ECE R66.02 bezüglich der erhöhten Festigkeit des Aufbaus. Weiterhin Option sind Abstandsregeltempomat (AAC), Reifendruck-Kontrollsystem, Rückfahrwarner, Lichtautomatik und Alkoholtester. Hervorzuheben ist zudem ein optimierter Brandschutz durch eine feuerschutzisolierte Trennwand zum Motorraum, der zudem mit einer Löschanlage ausgestattet ist; Branddetektoren an verschiedenen Stellen im Bus runden diese Maßnahmen sinnvoll ab.

Fahrgast-Komfort

Wie mag der Fahrgast den Intercity empfinden? Entsprechend dem 860 mm hohen Boden konnten die Einstiegsstufen flach gehalten werden, bei Bedarf lässt sich der Antritt per Kneeling bis auf 290/330 mm (v/h) absenken. Installiert war im Testbus ein Kassettenlift von Hübner, der in Verbindung mit doppeltbreiter Mitteltür möglich ist. Die vorhandenen Lite-Top-Sitze (Kiel) sind mit verstellbaren Rückenlehnen sowie gangseitig mit Armlehnen ausgestattet, bieten insgesamt einen guten Komfort, der auch längeren Fahrten gerecht wird. Die Sitze vom Typ „Lite“ tun es auch, allerdings dann in starrer Position und ohne Armlehnen.

Alle Sitze stehen auf Podesten, nur unterbrochen durch den Rollstuhlplatz gegenüber Tür 2. Fürs Handgepäck sind die üblichen Ablagen installiert, die auf Wunsch auch gelocht sein können. Der Gepäckraum wird inklusive Ablagen mit 5,2 m3 angegeben, dürfte somit etwa 4 m3 groß sein – genug für den Einsatz als Kombibus, zumal eine Skiboxhalterung sowie eine Anhängerkupplung angeboten wird.

Ein WC gibt es nicht, ebenso ist keine Bordküche vorgesehen, allerdings war in der Bugkonsole ein Kühlschrank (41 l) eingelassen. Eine praxisgerechte Heizung samt Klimaanlage rundete die schon recht umfangreiche Ausstattung unseres Testbusses ab.

Sparsame Baureihe?

Grundsätzlich als sparsam kalkulierte Baureihe vorgestellt, präsentiert sich der in Ankara gebaute Lion‘s Intercity doch mit zahlreichen Optionen. Somit ist der günstige Grundpreis des Fahrzeugs in der Praxis nicht immer realistisch. So schlägt schon allein das Liftsystem in unserem Testbus mit rund 11.000 Euro extra zu Buche – von weiteren Sonderausstattungen (z.B. Automatikgetriebe wahlweise von Voith oder ZF) einmal ganz abgesehen. Option sind so interessante Details wie beheizte Frontscheibe, doppelte Seitenverglasung, Konvektorenheizung statt Heizgebläse, Multimediaanlage mit Touchscreen, Monitore, Reiseleitersitz oder auch individuelle Lösungen bezüglich der Sitzanordnung.

Beim abschließenden Rundgang zeigte sich der Intercity „offenherzig“: Mit aufklappbarem Frontmodul sowie einer guten Zugänglichkeit zum Motorraum und der weiteren Technik.

Ein international aufgestellter Service mit schneller Ersatzteillieferung ist ebenso hervorzuheben wie die kathodische Tauchlackierung für den Rohbau und die mit der Marke MAN verbundene Wertstabilität. Zudem: Eine Low-Entry-Variante wird dem Vernehmen nach nicht mehr lange auf sich warten lassen – denn die Nachfrage gerade in diesem Segment wächst weiterhin.