Interview : Die schnellsten Lkw-Reifen der Welt

Hahn vor Halm: die beiden Deutschen lieferten sich ein hartes Duell am ersten Rennwochenende
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TRAKTUELL: Herr Dr. Roder, wie darf man sich die Lkw-Rennreifen-Entwicklung bei Goodyear vorstellen?

Dr. Dan Roder: Wir schauen uns die Anforderungen an und entwickeln, was gefordert ist. Unser Engagement im Truck-Rennsport hat im Jahr 2003 begonnen, seit 2004 beliefern wir die Serie, augenblicklich als alleiniger Ausrüster. Wir haben derzeit einen Dreijahresvertrag bis 2018.

Die Anforderung war es, einen Reifen zu entwickeln, der seriennah ist. Damit war klar, dass wir auf einer Serienkarkasse aufbauen, konkret eine aktuelle 315-70er Lenkachsreifen-Karkasse. Basierend darauf haben wir die nötigen Veränderungen vorgenommen, damit der Reifen auch bei den hohen Fliehkräften bestehen kann und auch den hohen Brems- und Beschleunigungskräften standhält. Und wir mussten ein Profil entwickeln, mit dem sowohl im Nassen gefahren werden kann, das aber auch im Trockenen einen optimalen Grip bietet – und das bei allen Temperaturen. Denn es gibt in der Rennserie nur einen einzigen Reifentyp für jede Witterung.

Aufgrund unserer Erfahrung in der Entwicklung ist das jetzt vorhandene Design des Rennreifens entstanden. Es handelt sich dabei um ein asymmetrisches Design mit einer breiten Schulter nach außen, die für die nötige Stabilität in den Kurven sorgt. Der Pneu hat zudem eine breite Auflagefläche, denn wir müssen die Kraft des Lkw – immerhin die doppelte Leistung, das doppelte Drehmoment und auch die doppelte Geschwindigkeit wie bei normalen Fahrzeugen – auch auf die Straße bringen. Durch die zwei vorhandenen Längsrillen ist das Profil auch im Regen fahrbar.

Mit unseren Seriengummimischungen würde das auch gehen. Wir fahren hier allerdings bei 160 km/h Maximalgeschwindigkeit und der Reifen muss während dem gesamten Renngeschehen konstante Performance und Sicherheit bieten. Um sicherzustellen, dass diese hohen Kräfte optimal umgesetzt werden, d.h. die Kraft der Maschine auch optimal übertragen wird, haben wir eine spezielle Materialmischung angefertigt, die einen sehr viel besseren Grip bietet, als ein normaler Straßen-Reifen. Die Besonderheit der Rennreifen liegt in einem dualen, sprich zweilagigen Aufbau der Gummimischung. Der Laufflächenaufbau ist jene Mischung, die die Performance bringt. Sie ist im Rennen sehr hohen Temperaturen ausgesetzt und wird extrem beansprucht. Die darunterliegende Laufflächenmischung ist sehr stabil. Diese Schicht verfügt über gute Kaltlaufeigenschaften, das heißt sie stellt eine Barriere dar zwischen der großen Hitze, die in der oberen Schicht entsteht, und der Karkasse. So gewährleistet der Reifen dem Fahrer die entsprechende Sicherheit, in die Box zu fahren und die Reifen zu wechseln kann.

Dr. Dan Roder Principal Engineer Heavy Tire Compound and Retread Technology Goodyear Innovation Center Luxembourg begutachtet einen benutzten Truck-Rennreifen
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Eine Runde gefilmt aus dem Cockpit im Race-Truck

Wie kann man sich den Entwicklungsprozess vorstellen? Sind die Wissenschaftler im Labor oder überhaupt nur vor dem Computer und stellen Berechnungen an, bis sie mit dem optimalen Reifen-Design fertig sind? Oder ist das eher ein Trial-and-Error-Prozess mit unzähligen Prototypen?

Wir bei Goodyear haben schon viel Erfahrung, auch aus anderen Rennserien, und wissen daher was geht und was nicht. Wir fangen zunächst einmal am Computer an. Dabei entstehen dann recht schnell einige Design-Modelle, wie die Lauffläche aussehen kann. Auch was die Mischung, das „Compounding“, anbelangt wissen wir schon, auf welche physikalischen Eigenschaften wir besonderen Wert legen müssen.

Daraus ergeben sich dann Design-Kandidaten, die wir in Form von Prototypen auf der Rennstrecke testen. Aus diesen Kandidaten haben wir dann den besten herausgefischt. Einerseits aufgrund der Beurteilung der Piloten hinsichtlich stabilem und konstantem Fahrverhalten. Andererseits sehen wir auch anhand des Abnützungsmusters, wie sich die jeweilige Mischung und das jeweilige Design auf verschiedenen Teststrecken mit unterschiedlichen Streckenprofilen und Straßenbelägen verhält.

Was sind die großen Herausforderungen bei der Rennreifen-Entwicklung für das Truck Race im Vergleich zu anderen Rennserien wie Formel 1 oder Motor GP?

Beim Truck Race ging es darum, einen einzigen Reifen zu entwickeln, der bei allen Bedingungen eine akzeptable Leistung bringt. Wenn sie Autorenn-Serien betrachten, dann haben sie üblicherweise verschiedene Mischungen: Sie haben Regenreifen und Reifen für trockene Fahrbahnverhältnisse. Das macht es natürlich sehr viel einfacher. Der zweite Punkt ist das hohe Gewicht: Beim Truck Race reden wir von 5,4 Tonnen Fahrzeuggewicht, im Autorennsport liegt das Gewicht zumeist unter einer Tonne. Andererseits beschleunigt ein Renn-Truck ebenso schnell wie ein Porsche 911 – in diesem Punkt unterscheiden sich die Anforderungen also nicht wesentlich.

Auch am Weltrekord des „The Iron Knight“ von Volvo Trucks, bei dem der Lkw in kürzester Zeit bis auf 276 km/h beschleunigte, waren Reifen von Goodyear beteiligt. Wie unterscheidet sich denn diese Belastung verglichen mit den Belastungen im Truck Race?

Die Belastungszeit ist sehr viel kürzer. Im Truck Race fährt man ständig an die Belastungsgrenze und wieder zurück. Beim Beschleunigungs-Weltrekord geht es darum, ein einziges Mal an die maximale Grenze der Belastbarkeit zu gehen. Die Herausforderung ist dadurch etwas anders gelagert, aber das Team, das den Weltrekord-Reifen entwickelt hat, hat natürlich auf den Ergebnissen aus dem Truck-Rennsport aufgebaut.

Wie schafft man es, diese große Bandbreite an Witterungsbedingungen, die wir allein am Wochenende der Truck Race Trophy in Spielberg erlebt haben – von strömendem Regen und Temperaturen unter 10 Grad Celsius bis hin zu trockener, von der Sonne aufgeheizter Fahrbahn – mit einem einzigen Reifentyp abzudecken?

Man muss dafür Sorge tragen, dass unter all diesen Witterungsverhältnissen der Reifen sicher auf der Straße ist und gleichzeitig die Performance des Renntrucks auf die Fahrbahn übertragen wird. Dass das möglich ist, sieht man auch im Alltag auf der Straße: Unsere Serienreifen müssen tag-täglich und bei jedem Wetter ihre Performance liefern. Diese Erfahrungen aus dem Verkehrsalltag fließen wiederum ein in die Wahl der Polymere, die dann die Basis der Mischung für die Rennreifen darstellen. Man braucht ein sehr tiefes Verständnis dieser Polymere und wie sich diese bei verschiedenen Temperaturen verhalten, um die richtige Materialmischung zu erzielen. Beim Thema Witterung kann man auf die Erfahrungen im Bereich der Serienbereifung zurückgreifen – der Austausch zwischen Serien- und Rennreifenentwicklung erfolgt also in beiden Richtungen.

Inwiefern profitiert die Serienbereifung vom Engagement im Rennsport?

Wir sammeln sehr viele Erfahrungen im Rennsport für unseren Lkw-Serienentwicklung: Ein Reifen besteht ja aus hunderten Komponenten, die im Zehntelmillimetermaßstab zugegeben und designt werden. Alles, was wir dann an unserem Reifen im Einsatz und am Abriebbild feststellen, wird entsprechend dokumentiert und ausgewertet. Ein plakatives Beispiel zu nennen, wie sich das in der Serienbereifung wiederfindet, ist aber schwierig: Wir machen beim Reifen keine Quantensprünge mehr, aber die Summe von ein paar Details können schon einen merklichen Unterschied ausmachen.

Würde man einen normalen Sattelzug mit Rennreifen von Goodyear ausstatten – was würde passieren?

Die Reifen müssten öfter gewechselt werden, aber ansonsten wäre der Lkw sicher auf der Straße – damit würde ich auch gerne fahren. Man wird aber keine hunderttausende von Kilometer damit herunterspulen können.

Herr Dr. Roder, Danke für das Gespräch.