Verkehrssicherheit : Der Straßengüterverkehr muss noch sicherer werden
Wenig überraschend sind es Unfälle mit schweren Sattelzugmaschinen ab zwölf Tonnen, die aufgrund der hohen Masse oft besonders schwerwiegende Folgen für alle Unfallbeteiligten haben. „Die Potenziale, die sich bei der aktiven und passiven Sicherheit von Nutzfahrzeugen bieten, gilt es noch effizienter auszuschöpfen“, mahnt Clemens Klinke, Mitglied des Vorstands Dekra und verantwortlich für die Business Unit Automotive. Klinke stellte kürzlich den Dekra Verkehrssicherheitsreport 2018 vor. Im Mittelpunkt des seit 2008 jährlich erscheinenden Reports steht diesmal der Güterverkehr.
Güterkraftfahrzeuge sind sicherer ab als ihr Ruf
Leider viel zu oft sind in Schlagzeilen bei schweren Verkehrsunfällen Lkw involviert, dennoch gibt es Grund zum Optimismus: Bezogen auf ihre Fahrleistung sind Güterkraftfahrzeuge deutlich seltener an Unfällen mit Personenschaden beteiligt als Pkw. Schaut man sich die konkreten Unfallzahlen an, wird dadurch der schon seit Jahren grundsätzlich positive Trend in vielen Teilen der Welt bestätigt. So reduzierte sich zum Beispiel in den EU-Mitgliedstaaten die Zahl der Getöteten bei Unfällen mit Nutzfahrzeugen über 3,5 Tonnen von 7.233 im Jahr 2006 auf 3.848 im Jahr 2015 - also um rund 47 Prozent.
Die Zahlen sind stark rückläufig, der Prozentsatz der Getöteten bei Unfällen mit Nutzfahrzeugen im Verhältnis zu allen Verkehrstoten in der EU verharrt allerdings seit Jahren auf ungefähr demselben Niveau. Ebenfalls wenig überraschend: Die häufigsten Unfallgegner sind Pkw. 55 Prozent der bei Unfällen mit Güterkraftfahrzeugen Getöteten kamen auf Landstraßen ums Leben, 25 Prozent innerorts und 19 Prozent auf Autobahnen.
„Allein schon diese wenigen Zahlen untermauern die Notwendigkeit, nachhaltig gegenzusteuern“, betont Clemens Klinke. „Der Report zeigt für die Bereiche Mensch, Fahrzeugtechnik und Infrastruktur auf, wo es anzusetzen gilt, um alle sich bietenden Optimierungspotenziale für die weitere Erhöhung der Verkehrssicherheit von Güterkraftfahrzeugen effizient zu nutzen.“
Verheerende Folgen von Unfällen am Stauende
Als ein Beispiel für erfolgreiche Maßnahmen nannte der Dekra-Vorstand die Weiterentwicklung der Lkw-Bremsen in den vergangenen Jahrzehnten. Bei einem Vergleich zwischen einem aktuellen Mercedes-Benz Actros und seinem Vorgänger SK aus dem Jahr 1997 – beide samt Auflieger mit 38,5 Tonnen Gesamtmasse – zeigte sich: Bei einer Vollbremsung aus 80 km/h kam der moderne Lkw nach 41 Metern zum Stehen. Das ältere Fahrzeug hatte nach dieser Strecke noch eine Restgeschwindigkeit von 43 km/h und stand erst nach 57 Metern.
Welchen Unterschied diese Weiterentwicklung machen kann, zeigte ein Dekra-Crashversuch, bei dem ein Lkw mit rund 40 km/h Restgeschwindigkeit auf ein Stauende auffuhr. „Ein solches Unfallszenario gibt es leider noch zu häufig – oft mit schweren Folgen“, so Klinke. „Fährt ein Lkw mit großer Differenzgeschwindigkeit auf einen stehenden oder langsam fahrenden Pkw auf, sind beim Pkw extreme Deformationen zu erwarten. Häufig werden dabei mehrere Fahrzeuge ineinandergeschoben“, erläuterte er.
Effektive Verbesserungen seien daher primär im Bereich der Unfallvermeidung beziehungsweise der Verringerung der Unfallschwere durch den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen zu erzielen. Dabei geht es darum, abgelenkte Lenker in geeigneter Weise und rechtzeitig in die Realität des Verkehrsgeschehens zurückzuholen sowie – unmittelbar bevor eine Kollision unvermeidlich wird – automatisch eine Bremsung einzuleiten.
Entscheidend kommt es aber darauf an, dass die Fahrzeugführer über die Funktionalitäten der Systeme Bescheid wissen, um nicht Gefahr zu laufen, aus mangelnder Kenntnis unter Umständen das „falsche“ System abzuschalten, wie den lebensrettenden Notbremsassistenten.
„Darüber hinaus muss jedem Fahrzeugführer bewusst sein, dass sich die physikalischen Gesetzmäßigkeiten durch Assistenzsysteme nicht außer Kraft setzen lassen – sie erhöhen zum Beispiel weder die Bremsleistung noch können sie den Bremsweg auf nasser oder glatter Fahrbahn verkürzen“, gibt Klinke zu bedenken. Entsprechende Kenntnisse über das Fahrzeugverhalten bleiben deshalb ein Muss.
Eine Voraussetzung bei allen elektronischen Systemen ist darüber hinaus, dass sie auch über das ganze Fahrzeugleben hinweg zuverlässig funktionieren. Denn nur dann können sie ihre erhoffte Wirkung entfalten. Der periodischen Fahrzeugüberwachung kommt daher in Zukunft eine noch größere Bedeutung zu als heute schon – auch angesichts der zunehmenden Komplexität der Systeme und der Gefahr von elektronischen Manipulationen.
Dekra-Forderungen für mehr Verkehrssicherheit im Überblick
Vom Fahrer „kurzfristig“ abgeschaltete Assistenzsysteme wie der Notbremsassistent müssen sich nach wenigen Sekunden automatisch wieder einschalten.
Der elektronische Abbiegeassistent sollte für alle Nutzfahrzeuge – wie bereits der Notbremsassistent und der Spurhalteassistent – zur gesetzlich vorgeschriebenen Ausstattung gehören.
Ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer müssen auch Berufskraftfahrer über die Funktionsweise, die Potenziale wie auch die Gefährdungen rund um Fahrerassistenzsysteme und automatisiertes Fahren aufgeklärt werden.
Die Funktionsfähigkeit mechanischer und elektronischer Komponenten der Fahrzeugsicherheit muss über das gesamte Fahrzeugleben hinweg gewährleistet sein. Die Überprüfung der entsprechenden Komponenten im Rahmen der regelmäßigen Hauptuntersuchung sollte daher möglichst international auf ein einheitliches hohes Mindestniveau gebracht werden.
Der Sicherheitsgurt als Lebensretter Nummer eins ist auch im Nutzfahrzeug bei jeder Fahrt anzulegen.
Auch Berufskraftfahrer müssen noch mehr für die Gefahren durch Ablenkung am Steuer sensibilisiert werden.
Bereits für die Erprobung des Platoonings sind erforderliche Sicherheitsstandards zu definieren. Dazu gehört die spezielle Kenntlichmachung der Einzelfahrzeuge gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern.
Besseres Wissen über die ordnungsgemäße Ladungssicherung und den Umgang mit Gefahrgut ist dringend notwendig.
Für zielgerichtete Maßnahmen zur Steigerung der Verkehrssicherheit wie zum Beispiel die Umsetzung erfolgreicher „Best Practice“-Maßnahmen sind einheitliche und international vergleichbare Unfallstatistiken ein absolutes Muss.
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