MAN-Werk Steyr : Steigt Traton bei der GAZ-Gruppe ein oder ist gar eine Übernahme geplant?

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Die Tochter des Volkswagenkonzerns Traton, MAN, möchte das Werk Steyr an den Investor und GAZ-Minderheitenaktionär Siegfried Wolf verkaufen und setzt dabei die Belegschaft ordentlich Druck: Stimmt diese dem Verkauf nicht zu, will man das Werk einfach schließen – trotz einer einst abgegebenen Garantie zur Standort- und Beschäftigungssicherung bis 2030. Dabei gäbe es durchaus noch andere Bewerber, die Interesse am Standort Steyr bekundet haben. Bislang soll es jedoch ausschließlich zu Verhandlungen mit Siegfried Wolf gekommen sein, wie einige davon kritisieren. Dass MAN behauptet, es gäbe seitens der anderen Interessenten keine Konzepte ist geradezu lachhaft, schließlich hätte man bislang immer abwehrend auf geäußerte Kaufabsichten reagiert und folglich auch keinerlei Daten für eine Due Diligence-Prüfung zur Verfügung gestellt.

Das ist insofern spannend, als einem Verkäufer doch eigentlich daran gelegen sein müsste, so viele Bieter wie möglich ins Boot zu holen, um den Preis entsprechend nach oben zu treiben. Vieles spricht also dafür, dass sich Traton und Volkswagen von Anfang an bewusst für Siegfried Wolf entschieden haben könnten, der neben seinem Sitz im Aufsichtsrat bei GAZ auch einen Sitz im Aufsichtsrat der Porsche SE innehat. Die Porsche SE ist wiederum ihrerseits Mehrheitseigentümer der Volkswagengruppe.

Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, ist es nötig, nicht nur den Standort Steyr isoliert zu betrachten. Die Firmengeflechte und Zusammenhänge erstrecken sich über mehrere Kontinente. Beginnen wir zunächst einmal jenseits des Atlantiks, wo im Herbst der dezidiert Russland-freundliche Präsident Donald Trump durch seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden abgelöst wurde. GAZ-Mehrheitseigentümer Oleg Deripaska war ins Visier von US-Sanktionen geraten. Er hat nun Zeit bis Jänner 2022, seine Anteile an GAZ loszuschlagen, ansonsten droht dem Automobilhersteller womöglich der Verlust seiner Handlungsfähigkeit.

GAZ ist ein bedeutender russischer Produzent von Bussen, Offroad-Fahrzeugen, Transportern und leichten Lkw. Mit Volkswagen hat der Konzern einen Vertrag über die Auftragsfertigung von VW- und Skoda-Modellen für den russischen Markt. Volkswagen liefert wiederum 2.0-Liter-TDI-Motoren für die Transporterserie „GAZelle“. Auch diese Partnerschaft war zwischenzeitlich von den US-Sanktionen gegen GAZ betroffen, erst deren vorübergehende Aufhebung ermöglichte GAZ wieder den uneingeschränkten Geschäftsbetrieb. Aber diese Aufhebung der Sanktionen hat ein Ablaufdatum, sofern Deripaska seine Anteile an der GAZ-Gruppe nicht veräußern kann.

Eine theoretische Lösung des Problems wäre die Übernahme der Mehrheit der GAZ-Anteile durch den Volkswagenkonzern. Eben erst hat die VW-Tochter Traton, zu der auch MAN gehört, ihr Debüt am Anleihenmarkt mit Senior Notes im Gesamtvolumen von drei Milliarden begeben. In der entsprechenden Aussendung heißt es wörtlich „Der Nettoerlös aus der Emission wird für allgemeine Unternehmenszwecke einschließlich der Finanzierung von Akquisitionen verwendet.“ Ob damit auch die GAZ-Gruppe gemeint sein könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings reine Spekulation.

Wo soll das neue Werk für die leichte und mittlere Baureihe von MAN entstehen?

Eine wesentliche Frage bleibt: Wenn die Lkw-Produktion am Standort Steyr 2023 endet, wo soll dann eigentlich in Zukunft die leichte und mittlere Baureihe von MAN gefertigt werden? In zahlreichen Medienberichten war unter anderem von einer Verlagerung der Produktion in die Türkei die Rede. Dagegen spricht jedoch einiges: Der türkische Präsident Erdogan steht mit dem Volkswagenkonzern gerade auf Kriegsfuß, weil VW den Bau eines großen Werks in der westtürkischen Metropole Izmir abgeblasen hat. Erdogan soll Behörden und Ministerien in der Folge sogar per Rundschreiben dazu aufgerufen haben, sich von ihren Dienstwagen aus dem VW-Konzern zu trennen. Das klingt nicht gerade nach den besten Voraussetzungen für Investitionen in den Aufbau einer Produktionsinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge, die den Volkswagenkonzern über viele Jahre an die Türkei und die Launen von dessen Präsidenten binden würde. Abgesehen davon ist der Aufbau einer völlig neuen Produktionsinfrastruktur ein Kraftakt, der nicht zuletzt im Lichte eingeschränkter Reisefreiheit und sonstiger Unsicherheiten durch die Corona-Pandemie, kaum bis 2023 zu bewältigen sein dürfte.

Anders wäre der Fall in Russland gelagert: Die GAZ-Gruppe ist ja bereits ein Auftragsfertiger von Volkswagen. Außerdem gibt es dort schon ein Werk für mittelschwere Lastkraftwagen. Erst im Februar 2021 startete die Serienproduktion des „Valdai NEXT“. Das russische GAZ-Werk auf leichte und mittelschwere Lkw von MAN zu erweitern oder umzurüsten wäre eine Kleinigkeit, verglichen mit der kompletten Neuerrichtung einer Produktionsinfrastruktur.

MAN-Wolf-Deal: Wer profitiert? Wer verliert?

Kommt der Deal von MAN zustande, dann profitieren davon alle Beteiligten: Volkswagen beziehungsweise Traton kann seine Internationalisierungspläne im Nutzfahrzeuggeschäft ausweiten und erhält dauerhaft Zugang zum russischen Markt. Oleg Deripaska hätte eine Möglichkeit, seine Anteile an GAZ loszuschlagen und der russische Nutzfahrzeughersteller wäre damit vom Damoklesschwert der Sanktionen befreit. Gleichzeitig bekäme GAZ mit dem Produktionsstandort Steyr einen direkteren Zugang zum europäischen Markt. Dass dieser für die Marke von Interesse ist, hat GAZ mit seinem Auftritt bei der IAA Nutzfahrzeuge 2018 in Hannover bestätigt. Dank der Euro-6-Motoren von VW wären die Fahrzeuge auch in Europa zulassungsfähig.

Siegfried Wolf könnte mit dem Deal ebenfalls seine Anteile an GAZ, die bei Geschäftsunfähigkeit durch US-Sanktionen gegen Deripaska von Wertverlust bedroht sind, retten. Kurzum, es gibt nur Gewinner. Abgesehen von den über eintausend Mitarbeitern in Steyr, die dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Und den übrigen, die vom designierten Eigentümer Wolf– trotz Standort- und Beschäftigungsgarantie für Steyr bis 2030 – nun zum Gehaltsverzicht genötigt werden sollen. Und sollte das Ganze schiefgehen, könnte das Werk immer noch einfach in Konkurs gehen und MAN wäre durch den Eigentümerwechsel an keine Garantien zum Erhalt des Standorts und der Arbeitsplätze mehr gebunden.

Ein lauter Aufschrei seitens der österreichischen Bundesregierung in dieser volkswirtschaftlich so bedeutenden Angelegenheit war bislang nicht zu vernehmen. Einzig der lokale Betriebsrat von Steyr und dessen unermüdliche Arbeiterbetriebsratsvorsitzende Erich Schwarz kämpfen bislang äußerst konsequent und beharrlich für den Erhalt der 2.366 Arbeitsplätze am Standort.

+++ Dieser Beitrag ist kein Tatsachenbericht, sondern beinhaltet spekulative Antworten auf Fragen, Hintergründe und mögliche Zusammenhänge rund um den kolportierten Deal zwischen MAN und Siegfried Wolf. Irrtümer vorbehalten. +++