Fernverkehr : Knappes Rennen bei der European Truck Challenge
Maßgeschneiderte Transportmaschinen, die eine gute Arbeitsleistung bei überschaubaren Kosten bringen, das war ein Ansatz bei der Ausschreibung zur European Truck Challenge (ETC) 2021. Die Idee dahinter: ein Vergleich von Lastwagen für Einsätze, wie sie typisch sind für Stück- und Sammelgutexperten, Paketdienste und Artverwandte unterhalb des ganz großen Fernverkehrs.
Zumindest in Deutschland werden die Transportdienstleistungen hinter diesen Speditions- und Logistikdienstleistungen zu einem großen Teil von Lastkraftwagen mit Anhänger und Wechselbehältern erbracht. Die Chance, diese Fahrzeuggattung zu einem Vergleichstest mit möglichst vielen Teilnehmern zu bekommen, geht jedoch seit Jahren unverändert gegen Null. Die europäische Nutzfahrzeugindustrie setzt, zumindest beim Thema offizielle Tests, voll und ganz auf das Sattelkraftfahrzeug.
Sei’s drum. Nehmen wir eben Sattelzugmaschinen. Einige Systemlogistiker wie trans-o-flex machen das schon eine ganze Weile, die Amazon-Flotte kennt ebenfalls nur Trailer mit Standard-Zugmaschinen davor, und Deutschlands europäische Nachbarn sind sowieso Sattelzug-minded. Häufig sind es Wechselschicht-Fahrzeuge, die tagsüber im regionalen Sektor ausrollen und vorholen, um nachts dann mit frischem Personal eine Linie im Netzwerk zu bedienen.
Das ETC-Teilnehmerfeld
Wenngleich die Neuzulassungswirklichkeit seit Jahren eindeutig zum 500-PS-Kaliber geht, sollten 450 PS bei Teilauslastung vollkommen ausreichen. Auch kabinenseitig durfte es bei der ETC 2021 eine Nummer unterhalb der größten lieferbaren Hütte sein. MAN, Mercedes-Benz und Scania stellten sich dem Vergleich mit exakt passenden Fahrzeugen, während DAF wegen des großen Modellwechsels von XF alt zu XF/XG neu verständlicherweise nicht teilnehmen konnte. Iveco, Renault und Volvo hätten die passenden und zudem jüngst erneuerten Trucks sehr wohl im Portfolio, nicht aber in der jeweiligen Testwagenflotte – schade eigentlich.
Bleibt das feine Trio aus MAN, Mercedes-Benz sowie Scania. Die drei Marken belegten im Neuzulassungs-Ranking des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes, Flensburg, im Jahr 2020 die Ränge eins, zwei und vier am deutschen Markt für Sattelzugmaschinen. Ihr summierter Marktanteil in Deutschland belief sich auf knapp zwei Drittel. Ähnlich sieht die Situation in Österreich aus: MAN, Mercedes und Scania setzten im Jahr 2020 zusammen 2.637 Sattelkraftfahrzeuge ab. Das sind rund 63 Prozent des österreichischen Gesamtmarkts.
Das Teilnehmerfeld der achten Auflage der European Truck Challenge war aus Marktsicht also durchaus relevant. Passend bestückt hinsichtlich der geforderten Mittelklasse-Motorleistung, eines nicht zu üppigen Fahrerhausformats und relevanter Fahrer-Assistenzsysteme waren die zum Vergleich angereisten Trucks ebenfalls.
19,3 Tonnen Nutzlast gemäß VECTO-Kriterien
MAN trat mit dem neuen TGX 18.470 und der mittleren GM-Kabine an. Auf den Actros 1845 Streamspace setzte Mercedes-Benz, und Scania brachte noch einmal den demnächst zur Ablösung anstehenden 11,7-l-Sechszylinder als R 450 mit nach Südniedersachsen. Ausreichend kräftig waren die Testkandidaten mit ihren 450 bis 470 PS und 2.200 bis 2.400 Newtonmetern Drehmoment allemal. Schließlich wurde dieser Wettbewerb abermals nicht – wie zuletzt 2016 – mit vollen 40 Tonnen Gesamtzugmasse gefahren, sondern mit hoher Teilauslastung. Heißt: Anstelle der bei Pressetests weit verbreiteten Beladung der Trailer auf gute 25 Tonnen Nutzlast, lasteten exakt 19,3 Tonnen Ballast auf jedem der drei vom langjährigen ETC-Partner Krone gestellten Testauflieger. Das entspricht einem Auslastungsgrad von rund drei Viertel, und das nicht ohne Grund: Die europäischen Regularien zur Ermittlung des CO2-Ausstosses – und damit des Kraftstoffverbrauchs – von schweren Nutzfahrzeugen gemäß „Vecto“ verlangen genau diese 19,3 Tonnen Nutzlast für Lkw und Sattelkraftfahrzeuge im „Long-Distance“-Einsatz. Die ETC-Ergebnistabelle führt neben dem Test- auch den „Norm“-Verbrauch auf. Das Test-Team arbeitet bereits seit vielen Jahren mit der Teillastvariante zur Verbrauchs- und Fahrleistungsermittlung. Der „klassische“ 40-Tonnen-Test hat bereits seit der zweiten ETC, die 2011 stattfand, nicht mehr den Status einer Standardprüfung – Standard im Test, sowohl bei Einzel- als auch bei Vergleichsprüfungen, ist die hohe Teilauslastung.
Standardisierter Testablauf
Ebenfalls normiert sind Aufbau und Ablauf der ETC-Vergleichsmessungen. Ein Fahrer je Teilnehmer-Truck, alles Kenner der Materie und von Beginn an aktiv dabei, bewegen die Testwagen in einem festgelegten Wechselrhytmus über die Teststrecke. Je ein Testauflieger ist jedem Fahrer fest zugeordnet, bei jedem Fahrzeugwechsel heißt es also umsatteln. Gefahren wird auf der bekannten Messstrecke in Südniedersachsen im Norden Deutschlands. Ganz bewusst nutzt die ETC keine gesonderte Vergleichsteststrecke, sondern bleibt auf dem Areal der normalen Runde für Standard-Einzeltests des Magazins KFZ-Anzeiger. Allerdings: So ganz klappt das nicht immer, Stichwort Baustellen auf der Messstrecke. Nord-Süd-Fahrer kennen das Thema. Die Autobahn A7 wird komplett auf drei Fahrstreifen je Fahrtrichtung erweitert. Eine gute Sache – und ein langwieriges Projekt. Bereits für die Vorjahres-ETC bedeutete die Straßenbau-technische Mammutaufgabe einen Verzicht auf einige Messkilometer.
Doch weil man manchmal zunächst kein Glück hat, kommt dann bisweilen noch ein wenig Pech dazu: Für die ETC 2021 musste die Messstrecke um ein weiteres Streckenstück verkürzt werden. Kurzfristig anberaumte Bauarbeiten am Werratalanstieg/Laubacher Berg machten saubere Messungen an dem fahrtechnisch reizvollen Achtprozenter unmöglich, die Passage entfiel somit ersatzlos.
Das ETC-Team wandelte die an sich missliche Lage jedoch zu einem Vorteil. Die verbliebene Messstrecke wurde von jeder Fahrer-Fahrzeug-Trailer-Kombination zweimal gefahren. Das ETC-Ergebnis für den Verbrauch von Diesel und Adblue sowie für die Fahrleistung ist damit hinreichend sauber abgesichert, jedoch nicht direkt vergleichbar mit früheren Testresultaten. Eine hinnehmbare Einschränkung, schließlich dienen Vergleichstestfahrten vornehmlich dazu, Unterschiede zwischen den Testteilnehmern herauszuarbeiten. Die Vergleichbarkeit zu früheren Messfahrten steht hingegen weit hintenan. Wohl aber ist die Vergleichbarkeit zwischen den Testfahrzeugen an sich gegeben – nichts anderes ist schließlich Sinn und Zweck eines solch aufwändigen Testarragements. Dafür sorgen nicht nur die stets durchgetauschten Einheits-Trailer, sondern die Einheitsbereifung auf den Sattelzugmaschinen. In diesem ETC-Durchgang waren das neue Conti-Eco-Pneus.
Maximal ökonomische Fahrweise
Wie immer einheitlich war auch der ETC-Fahrstil. Hier müssen sich alle Testfahrer den strengen Vorgaben des Regelwerks beugen. Die Maxime 2021 lautete wieder einmal: Eco maximal. Gemeint ist damit die konsequente Fokussierung auf Erzielung des bestmöglichen Dieselverbrauchs durch Einsatz aller im jeweiligen Testfahrzeug installierten Assistenzsysteme für Vortrieb und Verzögerung. Dabei liegt das Basistempo, die so genannte Marschgeschwindigkeit, bei 80 km/h und damit um einiges unterhalb dessen, was auf Autobahnen üblich ist. Abstandsregelautomaten haben bei unseren Tests Pause. Die Getriebesteuerung obliegt ausschließlich der heute durchweg serienmäßigen Schaltautomatik; und zwar, sofern wählbar, in der „schärfsten“ Economy-Einstellung. Ebenfalls auf Maximum stehen die Zeichen für die Einstellung der in allen Testfahrzeugen vorhandenen GPS-Tempomatsysteme beim üblicherweise als „Unterschwung“ bezeichneten, gezielten Geschwindigkeitsabfall am Ende von Steigungen oder zu Beginn von Gefällestrecken. Für diese wird die Dauerbremsgeschwindigkeit auf 85 km/h limitiert, erweitert um eine maximal 45 Sekunden andauernde Senkenschwungspitze von allerhöchstens 90 km/h. Direkt einstellbar ist dieser „Dipp“ weiterhin nur beim Mercedes Actros (0 bis 4 km/h), indirekt justieren lässt sich der Tempo-Peak wie bisher beim MAN TGX. Scania setzt – zumindest vorläufig noch – auf werksseitig fest programmierte plus 2 km/h im Gefälleauslauf.
Das Gasgeben, Gaswegnehmen und das (Dauer-) Bremsen übernehmen im ETC-Test „Eco maximal“ mithin komplett die Längsdynamik-Assistenten in den Testfahrzeugen. Der Testfahrer übernimmt lediglich das Lenken. Jeder Eingriff in das umfassende Arrangement aus vorausschauendem Antriebs- und Bremstempomat hingegen stünde als eine Behinderung im Messprotokoll, das betroffene Messsegment würde aus der Wertung genommen. Ohne jede Einflussnahme der drei Testfahrer auf das Geschwindigkeits- und Schaltgeschehen – und erfreulicherweise auch ohne nennenswerte verkehrsbedingte Behinderungen im Testablauf – erzielte das Testtrio das in der Übersichtstabelle dargestellte ETC-Ergebnis 2021. Der Gesamtverbrauch dieser „Miniflotte“ steht mit 26,0 l/100 km im Tableau. Zum Vergleich: Die 500er-Flotte der Vorjahres-ETC war mit 28,6 l/100 km ins Ziel gekommen – auf einer beträchtlich schwereren Strecke. Reduziert man die damals gefahrene Prüfrunde auf die in diesem Messdurchgang noch frei befahrbaren Anteile, lägen die stärkeren Trucks heute bei ca. 27,1 l/100 km. Wer will, darf daraus gern einen Verbrauchsvorteil für die um 50 PS schwächeren Flotten-Trucks von circa einem Liter ableiten.
Maximale Betriebskosteneffizienz
Im Einzelnen zeigt das ETC-Ergebnis 2021 für die 450-PS-Riege einen eindeutigen Kostensieger: Mercedes-Benz Actros 1845. Sein Dieseltestverbrauch von 25,9 l/100 km liegt zwar um 0,2 l/100 km über dem des Scania, doch am Ende muss an der Zapfsäule eben auch Adblue getankt werden. Hier nippt der Actros mit einem Liter alle 100 Kilometer aus dem Vorratsbehälter, der Scania gönnt sich die doppelte Menge. Das ist betriebskostenrelevant. Schließlich gibt es das Katalysemittel nicht zum Nulltarif, im Gegenteil: Derzeit setzen die Tarife für die wässrige Harnstofflösung parallel zum Leichtölpreis ebenfalls zum Höhenflug an. Das trifft die Adblue-Only-Fraktion der Motorenbauer generell mehr als die kombinierten SCR plus AGR Protagonisten.
Im Testtrio ist neben dem Scania auch der MAN mit seiner Soft-AGR-Technik mit vergleichsweise hohem Adblue-Verbrauch davon betroffen.Da der Münchener Truck zudem auch den höchsten Dieseltestverbrauch ins Messprotokoll fährt, muss er sich am Ende die höchsten Betriebsmittelkosten anrechnen lassen. Besonders schnell ist der 470er trotz seiner Bestwerte für Nennleistung und Nenndrehmoment dabei auch nicht. Im Gegenteil: In der reinen Bergmessung fährt der 18.470 sehr deutlich hinterher: Um rund drei km/h bleibt er hinter den beiden Mitstreitern zurück.Des Rätsels Lösung findet sich in der Fahrzeugbeschreibung zum Testfahrzeug und hört auf den Namen dynamische Drehmomentanpassung: „Die dynamische Drehmomentanpassung bringt die Betriebsparameter des Motors automatisch in Bereiche, in denen der Motor am effizientesten (also mit dem geringsten Kraftstoffeinsatz pro abgegebener Kilowattstunde) arbeitet und ermöglicht dadurch eine Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs. Dazu wird im Fahrprogramm Efficiency Plus das Drehmoment dynamisch abgesenkt – vorausgesetzt, es wird dadurch kein Schaltvorgang provoziert.“ Klingt logisch, ist logisch. Das könnte MAN unseres Erachtens ruhigen Gewissens aktiv kommunizieren. Dann fährt der 470er TGX eben in bestimmten Betriebsbereichen wie ein 430er die Steigungen hinauf und spart dabei. Man muss das als Fahrer nur wissen, um es bereitwillig akzeptieren zu können. Wenngleich: Ob das mit dem Sparen in der Praxis so funktioniert, wie es in der Theorie richtig ist, sei dahingestellt. Während unserer vollautomatisch und Eco-maximierten Vergleichsfahrten jedenfalls, konnte sich das Testfahrzeug lediglich temposeitig von den Wettbewerbern absetzen – leider in die falsche Richtung.Apropos Tempo. Die weiter vorn geschilderten Bauarbeiten auf der ursprünglichen ETC-Messstrecke und die damit verbundenen Einschränkungen des Messterrain nutzte das Test-Team für andere, in der Vergangenheit schon aus zeitlichen Gründen nicht durchführbare Sonderprüfungen. So bewegte einer der Testfahrer alle drei Probanden nacheinander mit Marschtempo 85 bei zugleich symmetrisch eingestellten Hysteresen von +/- 5 km/h über die verkürzte Messrunde. Gas und (Dauer-) Bremse wurden dabei wie im Ecomax-Modus der vollautomatischen Fahrzeuglängsführung anvertraut. Die Ergebnisse zeigt die Tabelle „Sonderprüfungen“.Die beiden anderen Testpiloten versuchten sich derweil in einem schon sehr an die Schnellstraßenwirklichkeit angenäherten Fahrstil. Noch deutlich weiter außerhalb der ETC-Regularien als die Klassik-85-Messung, dafür aber mit „Tempomat-Vset“ nahe der Abregelgeschwindigkeit, viel manuellem Vollgas und fallweise manueller Gangwahl. Auch hier findet sich das Ergebnis in der Sonderprüfungstabelle. Aus systematischen Gründen wurden die Einzelresultate der drei Testfahrzeuge zusammengefasst.
Schließlich geht es nicht darum festzustellen, welcher der Prüflinge wie auf welche Fahrstilveränderung reagiert. Das hätten wir zwar gerne untersucht, aber die Fahrzeughersteller mochten da ohne zuvor langwierige Grundsatzdebatten zu führen nicht mitgehen. Geschenkt. Auch so wird klar: Tempo ist teuer. Und: Sonderprüfungen wie diese sind sinnvoll. Wir bleiben dran.
Subjektive Bewertung durch die Testfahrer
Gearbeitet haben wir auch an der Punktewertung. Hier haben wir Verbrauch und Fahrleistung aus der Bewertung herausgenommen. Grund: Das bisherige Schema lässt diese betriebswirtschaftlich wichtigen Positionen neben den fahrerindividuellen Aspekten einigermaßen untergehen. Die aktuelle ETC-Punktewertung lässt die Wirtschaftlichkeitsfaktoren Verbrauch/Kosten und Transportgeschwindigkeit außen vor. Basierend auf der bis dato im Magazin Kfz-Anzeiger angewandten, individuellen „ETC-Sternewertung“ des verantwortlichen Testredakteurs, dient die Feinauswertung vor allem der Einstufung eines jeden Testfahrzeugs auf Basis subjektiver Bewertungen der drei Testfahrer.
In der reinen Testfahrerwertung gibt es sechs Hauptkategorien (Fahrerassistenzsysteme, Fahrkomfort, Design/Innenraungestaltung, Handling, Ruhezone sowie Sicht & Sicherheit) mit insgesamt 37 Einzelkategorien. Jeder der drei ETC-Testfahrer vergibt maximal 5 Punkte in jeder Einzelkategorie, macht 3 Fahrer ´ 5 Punkte ´ 37 Kategorien = maximal 555 Punkte je Fahrzeug. Die Punktevergabe erfolgt rein subjektiv, individuell und ohne Absprache der Testfahrer untereinander.
Sieger in der Eigenschaftswertung ist der Scania R 450 mit 479,5 Punkten oder 86,4 Prozent der maximal möglichen 555 Punkte. Ihm folgt dichtauf der MAN mit 474,0 Punkten (85,4 %). Der Mercedes erreicht 435,5 Punkte (78,5 %).
Beispiele für besonders hohe Bewertungen: Der MAN erzielt seine Bestbenotung in der Kategorie „Sicherheitssystem & Sicht“ mit 122,5 von 135 möglichen Punkten. Auch der Mercedes erzielt bei der Sicherheit sein bestes Einzelresultat. Beim Scania hingegen wird die Bewertungskategorie „Fahrkomfort“, zu der unter anderem neben der Laufruhe auch der umfassende Bereich Getriebe gezählt wird, mit 97 von 105 möglichen Punkten am höchsten bewertet.
>> Die European Truck Challenge 2022 findet voraussichtlich im Juli statt!