Lkw-Test Traktuell355 : Scania V8 – nur der Verkehr kann ihn stoppen!
Schon beim Anlassen des Motors haben wir den typischen V8-Sound im Ohr. Darauf haben die Entwicklungsingenieure und Sound-Designer von Scania besonderen Wert gelegt. Wir beginnen unsere Testrunde in Guntramsdorf und fahren mit dem voll ausgeladenen Sattelzug Richtung Süden, über den Semmering nach Graz und über die A2 wieder zurück, 355 Kilometer insgesamt. Der Tempomat wird auf 85 km/h gesetzt, der Eco-Modus nicht aktiviert. „Den brauchen wir dieses Mal nicht!“, meint unser Testbegleiter von Scania, René Seckler. Man wolle mit dem starken V8-Truck Emotionen wecken und keinen neuen Spritsparrekord auf der TRAKTUELL-Testrunde aufstellen. Für Letzteres wäre der durchzugsstarke 650er vermutlich auch nicht die optimale Wahl, da gibt es kraftstoffeffizientere Fahrzeuge, auch von Scania. Die Sattelzugmaschine ist vielmehr ein Traumauto für Lkw-Fahrer, ausgestattet mit allerlei Komfort und Schnickschnack: Zunächst das hohe S-Fahrerhaus ohne Motortunnel, elektrisch verstellbarer Dachspoiler und automatische Kabinen-Kippvorrichtung. Auf den Ledersitzen der luftgefederten Kabine prangt der V8-Schriftzug, ebenso wie auf der Außenseite des Fahrerhauses und an den Radnaben. Wenn man die Türen öffnet, wird zudem das Scania-Logo neben dem Einstieg auf den Boden projiziert.
Es ist fast ein bisschen zu viel an Markenkult, den Scania da im Jubiläumsdesign seines Trucks zelebriert. Andererseits revolutionierte das legendäre V8-Motorenkonzept vor genau 50 Jahren die Lkw-Technik und gilt vielen als Meilenstein für den modernen, leistungsfähigen Straßentransport. Heute ist Scania der einzig große Hersteller, der nach wie vor am 8-Zylinder-Motor festhält. Dass dieses Konzept seine Berechtigung hat, konnten die Schweden mit der Testfahrt des etwas kleineren R520 im letzten Jahr eindrucksvoll unter Beweis stellen: Nur 24,3 Liter Dieselverbrauch auf 100 Kilometer bei 82,8 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit war ein sensationelles Ergebnis für unsere TRAKTUELL Testrunde.
Neues Motorkonzept
Seit Einführung der neuen Fahrzeuggeneration hat Scania auch seine Motorenbaureihen Schritt für Schritt erneuert. Zunächst waren die kleineren Reihen-6-Zylinder dran: Herausragend sind hierbei der völlig neu konstruierte 500-PS-Motor, der ebenso wie der 450er in Sachen Kraftstoffeffizienz eine absolut überzeugende Leistung abliefert. Im Gegensatz zu früheren Motorengenerationen kommen diese Maschinen bei der Euro6-Abgasnachbehandlung ohne Abgasrückführung (EGR/AGR) aus. Der Vorteil dieses sogenannten SCR-only-Konzepts liegt in einem geringeren Dieselverbrauch und einer verbesserten Wartungsfreundlichkeit. Bezahlt wird dies zwar mit einem leicht gestiegenem AdBlue-Konsum, die Gesamtwirtschaftlichkeitsrechnung spricht aber ganz klar für diese Technologie.
Auf die Überarbeitung der 6-Zylinder-Dieselmotoren folgte ein fernverkehrstauglicher 13-Liter-Erdgasmotor mit 410 PS, der sowohl mit CNG als auch mit LNG-Flüssigerdgas betrieben werden kann. Und schließlich knöpfte man sich bei Scania sämtliche V8-Aggregate vor – abgesehen vom 730-PS-Motor, der nach wie vor mit Abgasrückführung ausgeführt ist. Der von uns getestete S 650 verfügt somit über die stärkste Motorisierung in der neuesten Generation. Insbesondere der Vergleich zum großen „alten“ Bruder, den wir vor zwei Jahren auf der Teststrecke hatten, ist daher spannend.
Flott unterwegs
Mit exakt 4 Stunden 13 Minuten und 43 Sekunden hat der 650er auf unserer 355 Kilometer langen Teststrecke nur 3 Sekunden länger gebraucht, als der stärkere 730er vor zwei Jahren. Unser Testfahrzeug bringt es damit auf genau 84 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit – nur 1 km/h weniger als die am Tempomat gesetzte Marschgeschwindigkeit von 85 km/h. Dabei muss festgehalten werden, dass unsere Fahrt insbesondere auf der Südautobahn von zahlreichen Baustellen verlangsamt wurde. Auch wenn diese sich kaum auf den Treibstoffkonsum ausgewirkt haben dürften, so drückte das doch aufs Tempo. Aufgrund der vielen Abfahrten und Gleitetappen, auf denen wir dem Tempomaten bis maximal Tempo 90 erlauben, wäre in der Praxis auf unserer Teststrecke sogar eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als die gesetzte Marschgeschwindigkeit zu erzielen – wenn nur der Verkehr nicht wäre.
Abgesehen von der beachtlichen Fahrleistung ist auch der Spritverbrauch moderat: 25,9 Liter ist angesichts der Motorleistung und des Verzichts auf den Eco-Modus des GPS-Tempomaten ein absolut vertretbarer Wert. Hier offenbart sich auch die Effizienzsteigerung, die Scania mit dem neuen SCR-only-Motorkonzept erzielen konnte: Der 730er hatte bei vergleichbarer Fahrleistung aber schlechterem Wetter durchschnittlich über 29 Liter Diesel auf unserer Testrunde verbrannt. Dafür ist beim S 650 erwartungsgemäß der AdBlue-Konsum gestiegen. Dieser beträgt mit 2,3 Litern auf 100 Kilometer rund neun Prozent des Treibstoffverbrauchs, der größere S 730 kam hingegen mit nur 1,4 Litern AdBlue aus. In der wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung des Fahrzeugs fällt dies allerdings kaum ins Gewicht, hier ist der Vorteil beim Dieselkonsum sicher maßgeblich.
Fazit
Unser S 650 macht beim Fahren richtig Freude. Stoppen kann dieses Fahrzeug nur der Verkehr, die Berge sind unserem Test-Sattelzug nahezu egal. Die steilste Stelle am Semmering passieren wir voll ausgeladen mit 64 km/h, die Durchschnittsgeschwindigkeit hängt primär von Verkehr und der Einstellung am Tempomaten ab, die Topographie ist weitgehend vernachlässigbar. Dass es in Sachen Verbrauch damit nicht zum Spritsparkönig reicht, ist klar – unser Testfahrzeug ist mit 25,9 Litern auf 100 Kilometer aber auch kein Dieselfresser. Dabei haben wir in unserem Test sogar ganz bewusst den Eco-Modus des GPS-Tempomaten nicht aktiviert – in Sachen Effizienz gäbe es also sogar noch Luft nach oben.
Technsiche Daten Scania S 650 A4x2NA
Kabine: CS20H, luftgefedert
Vorderachse: 2x32 parabolische Blattfedern; 8 t
Hinterachse: 4-Balg-Luftfederung, 11,5 t
Übersetzung: i = 2,92
Motor: Scania DC16 118 650 hp, 16-Liter-V8-Motor mit Scania XPI Einspritzung; 478 kW (650 PS) bei 1.900 U/min; 3.300 Nm bei 950 - 1,350 U/min
Getriebe: Scania Opticruise GRSO925R ohne Kupplungspedal; 12-Ganggetriebe mit zwei Kriechgängen; Übersetzung: 9,16 – 0,8 (Kriechgänge: 13,28/10,63); 1.003 U/min bei 80 km/h
Reifen: Michelin X-Line Energy 315/70 R 22,5 vorne u. hinten
Dauerbremsanlage: automatische Motorbremse mit 297 kW bei 2.400 U/min und Scania Retarder R4100D mit 4.100 Nm und 500 kW maximaler Bremsleistung
Gewicht Zugmaschine: 7.769 kg