Interview : „Wir haben wieder Bewegung im Markt“
TRAKTUELL: Herr Selzam, gefühlt das halbe Land war oder ist in Kurzarbeit – Sie eigentlich auch?
Heiko Selzam: Ja, wir waren für drei Monate in Kurzarbeit. Diese hat am 30. Juni geendet und wir haben aktuell nicht vor, die Kurzarbeit in irgendeiner Form zu verlängern.
Darf ich daraus schließen, dass das Geschäft inzwischen wieder angelaufen ist?
Heiko Selzam: Ja, absolut. Wir haben wieder Bewegung im Markt und eine Vielzahl von neuen Kundenanfragen im Vertrieb, die seit Mai sukzessive zunehmen. Positiv ist insbesondere die Entwicklung im Truck Service. Hier sind unsere Teile-Umsätze seit Mai auf oder sogar über Vorjahresniveau. Insofern blicken wir verhalten optimistisch nach vorne.
Es hat sich schon vor der Covid-Pandemie abgezeichnet, dass das Sattelzuggeschäft heuer schwierig werden wird. Die Krise dürfte das noch verstärkt haben, da vor allem der Fernverkehr ziemlich eingebrochen ist. Wie will man denn diesen Ausfall im Geschäft übers Jahr gesehen kompensieren?
Andreas Prummer: In der Tat ist das Sattelzugsegment mit rund minus 50 Prozent am meisten betroffen. Das liegt auch daran, dass der internationale Verkehr eineinhalb Monate fast stillgestanden ist, bis auf den Lebensmittelsektor. Dieser Marktrückgang wird uns ziemlich sicher, trotz leichter Erholung, im Sattelzugsegment begleiten. Wir versuchen, den Kunden Sicherheit zu geben, indem wir sagen: Du kannst vier Jahre fahren mit einer Rate von 1.400 Euro, de facto sorgenfrei mit einem Servicevertrag. Wir geben Dir Sicherheit und planbare Kosten. Was für uns auch wichtig ist, ist das Thema Charterway. Wir investieren weiterhin in unser Mietgeschäft. Jeder Mietstützpunkt bekommt neue Sattelzugmaschinen mit MirrorCam und unserem Safety-Package, damit Kunden unsere Produktinnovationen zu einer attraktiven Rate erfahren können. Man merkt, dass gerade in solch unsicheren Zeiten das Mietgeschäft ein gutes und sinnvolles Instrument ist, um unsere Kunden zu unterstützen.
Das Mietgeschäft läuft generell sehr gut, weil es bei den Nutzern nun kurzfristige Bedarfe gibt, die vielleicht vor zwei Monaten noch gar nicht vermutet wurden. Ist die Menge der Fahrzeuge in Ihrem Mietfuhrpark ausreichend, um diese Nachfrage zu befriedigen?
Andreas Prummer: Wir sind hier gut und breit aufgestellt, vom Atego bis hin zum Sattel, und wir können den Fuhrpark auch kurzfristig aufstocken. Wo wir auch gewinnen wollen im Sattelzugsegment, ist bei der Flexibilität in Kombination mit der Miete. Wenn ein Kunde ein Charterway-Fahrzeug fährt, sich sein Geschäft dann kontinuierlich weiterentwickelt und er schließlich vom Mietgeschäft weg in ein eigenes Fahrzeug investieren will, dann sind wir so flexibel, dass er das Fahrzeug in einer Rent&Buy-Variante auch gleich kaufen kann.
Wenn ich mich an unser letztes Interview erinnere, Herr Selzam, wollten Sie bei Charterway auch ein bisschen mutiger werden und das ganze Mietwagenportfolio nicht nur quantitativ ausbauen, sondern auch qualitativ, eventuell sogar in Richtung Spezialfahrzeuge. Wie weit wollen Sie hier gehen? Wird es auch Sonderfahrzeuge in der Miete geben, beispielsweise zur Kanalreinigung?
Heiko Selzam: Die strategische Stoßrichtung ist und bleibt: Wir wollen dieses Geschäftsmodell weiter ausbauen, nicht nur quantitativ. Unser Mietmodell ist relativ schnell skalierbar, wir können es vergrößern oder verkleinern und uns auf Marktgegebenheiten rasch einstellen. Die bestehende Mietsoftware werden wir ablösen und eine intelligente IT-Mietlösung bis Ende Q3 2020 implementieren.
Das neue System hilft uns im Prozess schneller, schlanker und effizienter zu werden als auch die Kundenzufriedenheit zu steigern und die Komplexität merklich zu reduzieren. Damit meine ich nicht nur den Endkunden, sondern auch den Handel, der das Mietgeschäft aktiv nach außen vertreibt und in einem zweistufigen Vertriebsmodell möglichst viele Kunden für Charterway gewinnen soll. Des Weiteren haben wir uns auch personell neu aufgestellt und mit Frau Nicole Holzheider eine sehr versierte Fachkraft an Bord geholt, die über eine langjährige praxisnahe Erfahrung im Mietgeschäft verfügt. Auch die unterschiedlichen Transportlösungen treiben wir weiter bewusst voran und unser Anspruch ist es, Full-Line-Anbieter zu sein. Wir haben in unserem Mietwagenportfolio nicht nur den Actros als Sattelzugmaschine, sondern beispielsweise auch den FUSO Canter als Light-Duty-Truck, der unser Mietangebot nach unten hin abrundet. Natürlich haben wir auch einen 8x4 mit einem österreichischen Gesteinskipper, der etwa 80 bis 90 Prozent der möglichen Einsatzzwecke im Bau abdeckt.
Inwieweit wir spezielle Kundensegmente wie beispielsweise das Kommunalgeschäft aktiv angehen, ist abhängig von der aktuellen Entwicklung unseres Truck-Geschäfts. Hier werden wir 2020/2021 zunächst abwarten und unser Mietmodell konsolidieren.
Zuletzt haben wir uns auch darüber unterhalten, dass insbesondere der Abfluss an Gebraucht-Lkw ins Stocken geraten war. Einige Märkte schotten sich verstärkt ab und somit sind traditionelle Abflusskanäle abhandengekommen. Andererseits haben Sie festgestellt, dass man nur dann neue Lkw verkaufen kann, wenn man in irgendeiner Form auch die Gebrauchtfahrzeuge an den Mann bringt, beziehungsweise an die Frau. Wie entwickelt sich denn diese Situation?
Heiko Selzam: Die Situation ist in den letzten Monaten nicht wirklich besser geworden und bleibt auch auf absehbare Zeit angespannt. Natürlich schauen wir, dass wir beim Neuwagenabsatz eine gesunde Balance mit Verpflichtungen zum Rückkauf finden. Der Trend ist jedoch klar: Der Kunde möchte mehr Flexibilität und weniger Risiko und verlagert mehr und mehr Risiken, insbesondere seine Wiedervermarktungsrisiken, in Richtung OEM. Wir überlegen uns deshalb im Moment, wie wir mehr Partner in unserer Handelsorganisation dazu bewegen, dass sie noch aktiver in das Gebrauchtwagengeschäft investieren.
Es ist für mich eines der Kernthemen einer zukünftigen Vertriebsstrategie, dass wir eng verzahnt mit der Handelsstufe ein Gebrauchtwagenkonzept implementieren, bei dem man sich in der Vermarktung gegenseitig die Bälle zuspielt. Wie schaffen wir es zum Beispiel, dass auch reine MB-Truck-Servicepartner zukünftig Gebrauchtwagenabsatz generieren?
Befürchten Sie keine Kannibalisierung des Neuwagengeschäfts durch Gebrauchtwagen?
Heiko Selzam: Nein. Für mich sind das im Moment zwei singuläre Geschäftsmodelle. Wenn ich mir anschaue, wie hoch unser Anteil in Österreich ist, dann gibt es durchaus noch Luft nach oben und ich kann noch deutlich mehr gebrauchte Trucks absetzen, ohne dass ich mit dem Neuwagenabsatz konkurriere.
Als Lkw-Hersteller und Vertriebsmann hat man ja auch ein Ohr am Kunden – glauben Sie, dass wir in Folge der Coronakrise eine tiefgreifende Strukturveränderung des Transportgewerbes erleben werden, weil vielleicht doch eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Unternehmen das nicht überleben wird? Oder glauben Sie, dass wir insgesamt gut durch dieses Konjunkturtal kommen, sich die Lage mittelfristig wieder normalisiert und der Status quo erhalten bleibt?
Andreas Prummer: Ich bin der Meinung, dass wir keinen massiven Struktureffekt erfahren werden, weil die Transportbranche seit jeher und speziell in den letzten Jahren schon sehr stark gefordert war, im Wirtschaften extrem am Ball zu bleiben und flexibel zu sein. Der eine oder andere wird es nicht überleben, aber das Gros der Transporteursunternehmen ist gut aufgestellt. Wir als MercedesBenz Trucks zum Beispiel haben nur zwei Stornierungen gehabt während dieser schweren Coronazeit. Das zeigt auch, wie loyal die Kunden unserer Firma gegenüber sind und wie wir mit den Kunden interagieren. Meines Erachtens wird es keine tiefgreifenden Strukturänderungen geben, es wird Verbesserungen geben: Jeder Unternehmer ist gefordert, sein Portfolio noch einmal genau zu überdenken, und das wird auch helfen, so bin ich positiver Stimmung, die Transportbranche für zukünftige Aufgaben zu rüsten.