Schwere Klasse : Was kann der neue Actros?
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Zu Beginn einmal das, was sich nicht verändert hat: die Motoren im neuen Actros sind die gleichen. Nach wie vor setzt Daimler für die Euro 6 Abgasnachbehandlung auf ein System mit Abgasrückführung. Wie aus Insiderkreisen zu hören ist, laufen auch bei Mercedes interne Versuche mit reinen SCR-Systemen an den Motorenprüfständen, momentan ist ein Systemwechsel aber kein Thema. Auch das automatisierte Getriebe hat sich – abgesehen von der Steuerungssoftware – nicht verändert. Gefühlt schaltet es jetzt ein wenig schneller. Auch äußerlich ist die Karosserie des Actros im Prinzip dieselbe geblieben. Aber es fehlt dort nun etwas: die klobigen Außenspiegel gehören der Vergangenheit an, sie wurden durch elektronische Seitenspiegel ersetzt – und das serienmäßig. Der Vorteil liegt einerseits im verringerten Luftwiderstand, der laut Daimler auf der Autobahn drei Prozent, auf der Landstraße sogar bis zu fünf Prozent an Spriteinsparungen ermöglichen soll. Zudem hat der Fahrer mit den Kameraspiegeln einen besseren Überblick: einerseits ist das dargestellte Blickfeld der Weitwinkelkamera größer, andererseits folgt der Bildausschnitt in den Kurven auch dem Ende des Aufliegers. Dadurch hat der Lenker auch bei engen Schleifen den Trailer immer optimal im Blick, die toten Winkel reduzieren sich deutlich. Die Spiegel sind gegen Wettereinflüsse und Verschmutzung gut geschützt und beheizt. Die Darstellungsqualität entspricht annähernd dem HD-Standard, die Restlichtverstärkung sorgt auch für eine optimale Sicht bei Nacht. Das Bild wird in zwei senkrecht stehenden 15“-Zoll-Displays, die an der jeweiligen A-Säule fahrer- und beifahrerseitig angebracht sind, dargestellt. Mittels Strichen in der Displayeinstellung lässt sich auch das Trailer-Ende am Spiegelbildschirm markieren. Das erleichtert das Rangieren deutlich, denn damit lässt sich der Abstand des Trailerendes zur Rampe sehr gut einschätzen.
https://youtu.be/qS4MzPSPPGw
Active Drive Assist
Ein echtes Highlight des neuen Actros ist das optionale Active Drive Assist, das in Verbindung mit der extrem leichtgängigen, elektrohydraulischen Lenkung – ebenfalls ein Novum bei Mercedes Lkw – arbeitet. Das System ermöglicht das teilautomatisierte Fahren (Level 2 des autonomen Fahrens) auf der Autobahn: Der Lkw lenkt, verlangsamt und beschleunigt selbständig unter Berücksichtigung der gesetzten Geschwindigkeit, Tempolimits und vorausfahrender Verkehrsteilnehmer. Der Lenker muss jedoch am Fahrersitz sitzen bleiben und die Hände am Steuer belassen, andernfalls deaktiviert sich das System. Da es sich lediglich um ein Assistenzsystem handelt, bleibt der Lkw-Fahrer auch rechtlich gesehen voll verantwortlich und muss jederzeit in der Lage sein, aktiv in das Geschehen einzugreifen. Der Assistent soll insbesondere auf langen, monotonen Autobahnstrecken den Lenker entlasten.
Entdecken Sie jetzt
- Lesen
- Videos
Abgesehen von diesem völlig neuen Feature im Actros wurde auch die Spurhaltefunktion verbessert, ein aktiver Spurhalteassistent lenkt das Fahrzeug nun bei Abweichen zurück in die Spur. Ebenfalls überarbeitet wurde der Abstandsregeltempomat, der nun auch stehende Hindernisse wie beispielsweise eine Autokolonne im Voraus erkennt und automatisch sanft bis zum Stillstand abbremst.
Notbremsassistent ABA 5
Daimler hat auch den Notbremsassistenten Active Brake Assist (ABA) neuerlich überarbeitet. Bereits der ABA 4 war der erste und einzige Notbremsassistent mit Fußgängererkennung, der selbstständig eine Teilbremsung einleitet. Der ABA 5 kann nun innerhalb der Systemgrenzen sogar eine Vollbremsung bis zum Stillstand auch für gehende Personen bewerkstelligen. Das System ist bis zu 50 km/h aktiv. Damit die Personen erkannt werden, müssen sie mehr als ein Meter groß und in Bewegung sein. Einigermaßen bedauerlich ist es, dass das System nur optional verfügbar ist und sich vermutlich viele Frächter und Spediteure die Mehrkosten dafür nicht leisten werden wollen. Auch der bereits verfügbare ABA 4 wird derzeit nur in rund 20 Prozent aller in Österreich verkauften Lkw verbaut. Das ist schade, denn damit bestimmen letztendlich die wirtschaftlichen Interessen des Lkw-Käufers, ob die maximal verfügbare Fußgängersicherheit auch tatsächlich im Straßenverkehr Realität wird. Selbiges gilt für den optionalen Abbiegeassistenten, mit dem meist tödliche Unfälle mit Radfahrern und Fußgängern beim Rechtsabbiegen verhindert werden können. Bei Daimler begründet man diese Optionalität der Sicherheitsfeatures mit wirtschaftlichen Argumenten. Wir konnten uns von der Performance von ABA 5 und Abbiegeassistent in einer praktischen Präsentation selbst überzeugen, die Entwicklungsingenieure von Mercedes haben damit eine beeindruckende Pionierleistung für die ganze Branche erbracht. Es wäre in wünschenswert, dass diese Sicherheitssysteme, die nun technisch möglich und verfügbar sind, künftig auch in allen Lkw aller Marken verbaut werden – dazu wird aber wohl letztendlich der Gesetzgeber gefordert sein, dies als verpflichtenden Standard allgemein vorzuschreiben.
Multimedia Cockpit
Statt der bisherigen Instrumentenkonsole mit Tacho und Drehzahlmesser werden die Instrumente nun serienmäßig über ein 10“-Display angezeigt. Mit dem „Multimedia Cockpit Interactive“ (Aufpreis rund 1.350,- Euro) steht sogar ein 12“-Display zur Verfügung, zudem ist ein Lkw-Navigationssystem mit lebenslangen Kartenupdates von TomTom und 3 Jahre aktiver Live-Verkehrsinformationen dabei. Die Darstellung der Fahrzeuginstrumente über das Display ermöglicht zudem auch die Einblendung weiterer Informationen, beispielsweise zum Spritverbrauch und der Fahrerperformance, den Einstellungen des Tempomaten sowie dem Status des Active Drive Assist oder des Spurhalteassistenten.
Ebenfalls serienmäßig ist das 10“ große, mittige Infotainment- und Fahrzeugsteuerungsdisplay, das sämtliche Knöpfe im Bereich der Mittelkonsole ersetzt. So können der Spurhalteassistent oder auch die Liftachse über virtuelle Knöpfe am Touch-Display gesteuert werden. Zudem stehen vier frei belegbare Buttons zur Verfügung, die von Aufbauherstellern zur Steuerung ihrer Systeme genutzt werden können. Ein Beispiel wäre das Einschalten der Laderaumbeleuchtung. Aber auch komplexere Anwendungen lassen sich über ein parametrierbares Sondermodul realisieren. So könnte zum Beispiel die Temperatur aus einem Kühlkoffer in das Display eingeblendet werden, theoretisch wäre sogar die Steuerung eines Kippers über den Bildschirm möglich.
Abgesehen davon dürften sich die Fahrer des neuen Actros über die Überarbeitung des Innenraus mit verbessertem Soundsystem und einer Vielzahl von Lichteinstellungsmöglichkeiten freuen, auch wenn manche davon, wie das LED-Ambience-Light, nur als Option verfügbar sind. Ganz allgemein hat Mercedes beim Fahrerarbeitsplatz aber viel Wert auf Komfort und eine hochwertige Ausstattung gelegt. Um dies zu unterstreichen orientiert sich das Design des neuen Fahrzeugschlüssels – das Starten erfolgt nun per Knopfdruck ohne Zündschloss – an jenem der aktuellen Pkw S-Klasse. Ein Design-Statement mit dem Mercedes-Benz seinen Anspruch als Premium-Hersteller auch im Lkw-Bereich ganz offensichtlich unterstreichen will.