Messe : IAA Nutzfahrzeuge 2018: Nachhaltig, automatisiert und vernetzt
Der Auftritt von Ford Otosan mit der Marke „Ford Trucks“ und einer eigenen Sattelzugmaschine für den europäischen Markt war mit Sicherheit die größte Überraschung auf der diesjährigen IAA Nutzfahrzeuge in Hannover. Mit einem einheitlichen 12,7-Liter Dieselmotor mit 500 PS und automatisiertem 12-Gang-Schaltgetriebe von ZF ist der Ford „F-Max“ insbesondere für den internationalen Fernverkehr prädestiniert – ein hart umkämpftes und vor allem sehr preissensibles Fahrzeugsegment. Mit Sitz und Produktionsstandort in der Türkei will sich Ford Trucks den europäischen Markt von Osten her erschließen. Parallel zum Aufbau von Vertriebsstrukturen in Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien soll auch der Ausbau eines europaweiten Servicenetzwerks vorangetrieben werden – ein Schlüsselfaktor im grenzüberschreitenden Fahrzeugeinsatz.
Mercedes Actros und eActros
Als ein weiteres Highlight der IAA präsentierte Mercedes eine neue Generation des „Actros“ und bringt damit erstmals elektronische Außenspiegel und teilautonomes Fahren nach Level 2 in einem Serien-Lkw auf den Markt (siehe Artikel auf S. 32). Auch in puncto E-Mobilität lässt sich Daimler nicht lumpen: Nicht nur leichte Lkw der Konzern-Marke Fuso kommen inzwischen batterieelektrisch voran, sondern auch ein elektrifizierter eActros mit 26 Tonnen Gesamtgewicht und einer Batteriekapazität von 242 Kilowattstunden wurde am Messestand in Hannover präsentiert. Laut Daimler sollen sich bereits zehn Fahrzeuge im Kundeneinsatz befinden, die Produktion einer Kleinserie ist für 2021 anvisiert. Und natürlich durfte auch bei Mercedes das Thema Erdgas nicht fehlen: Mit dem Econic NGT mit Niederflurfahrerhaus zeigte Mercedes ein optimal auf den innerstädtischen Verkehr abgestimmtes CNG Erdgas-Fahrzeug, das sich für die Warenzustellung ebenso wie als Abfallsammelfahrzeug eignet. Mit LNG-Antrieben hält man sich bei Daimler hingegen derzeit noch zurück.
MAN und Scania in einer Halle
Nachdem sich die schweren Nutzfahrzeugmarken des Volkswagen-Konzerns, MAN und Scania, nun unter dem Dach der Traton AG befinden, waren beide Hersteller heuer erstmals in einer gemeinsamen Halle untergebracht. Ein klares Zeichen in Richtung E-Mobilität setzte dort der Münchener Löwe und unangefochtene Marktführer bei schweren Lkw in Österreich, MAN. Bereits kurz vor der IAA waren im Werk Steyr die ersten neun E-Trucks mit 26 Tonnen feierlich ihren Nutzern übergeben worden, bei denen sie sich in den kommenden Monaten im täglichen Einsatz bewähren müssen (mehr dazu lesen Sie auf S. 30). Außerdem zeigte MAN auf der IAA ein elektrisches Konzeptfahrzeug mit Niederflurfahrerhaus und 15 Tonnen Gesamtgewicht, welches in absehbarer Zeit zur Vorserienreife gebracht werden soll. Und auch beim autonomen Fahren mischt MAN vorne mit: Gezeigt wurde der Prototyp eines MAN TGM aFAS, ein automatisiertes Absicherungsfahrzeug für Straßenarbeiten. Bei Arbeiten auf Autobahnen fährt üblicherweise hinter einem mobilen Einsatztrupp ein Fahrzeug im Schritttempo her, welches den nachkommenden Verkehr warnt beziehungsweise auf einen anderen Fahrstreifen umleitet. Dies birgt ein großes Sicherheitsrisiko für den Fahrer des Absicherungsfahrzeugs, denn es ist in der Vergangenheit bereits häufig zu schweren Auffahrunfällen gekommen. Der TGM aFAS folgt dem vorausfahrenden Fahrzeug selbstständig in einem vordefinierten Abstand und kann somit die Baustelle unbemannt nach hinten absichern.
Scania, die zweite Marke für schwere Lkw aus dem VW-Konzern, war auf der IAA heuer erstmals zusammen mit MAN in der eigenen Traton-Halle untergebracht. Mit der Traton AG will der Volkswagenkonzern ja seine Nutzfahrzeugmarken künftig stärker bündeln. Was dies für die beiden großen Hersteller unter diesem Dach, Scania und MAN, in der Praxis bedeutet, darüber wird heftig spekuliert. Abgesehen davon, dass beide Marken in derselben Messehalle untergebracht waren, hatte Scania jedoch einen völlig eigenständigen Auftritt. Anders als bei vielen Konkurrenten wird das Thema des batterieelektrischen Antriebs bei den Schweden eher zurückhaltend behandelt. Es gibt lediglich ein Hybridfahrzeug, das laut Herstellerangabe rund zehn Kilometer – in der Praxis sind es eher drei – vollständig ohne Verbrennungsmotor zurücklegen kann. Immerhin ist damit das emissionsfreie und sehr leise Einfahren in geschlossene Werkshallen oder Wohngebiete in der Nacht möglich. Eine große, batterieelektrische Offensive wie bei anderen Herstellern lässt sich bei Scania damit aber nicht diagnostizieren. Dafür mischt man an anderer Stelle vorne mit: Künftig sollen fast alle Scania Dieselmotoren auch für den Betrieb mit sämtlichen Bio-Diesel-Kraftstoffen, wie zum Beispiel HVO, geeignet sein. Außerdem gibt es einen eigenen Motor für Bio-Ethanol. Und auch beim CNG- und LNG-Antrieb ist Scania mit einem eigenen 13-Liter-6-Zylinder-Motor einer der federführenden Hersteller in diesem Bereich.
Auch wenn batterieelektrische Fahrzeuge derzeit im Portfolio von Scania fehlen, ist man im Bereich der E-Mobilität keineswegs untätig. In Schweden und Deutschland laufen Feldversuche mit Elektro-Hybridfahrzeugen, die mittel Pantograf oder Bodenschiene während der Fahrt mit Energie versorgt werden. Die ersten Ergebnisse der Versuche sind vielversprechend: Hat das Fahrzeug mithilfe des Dieselmotors erst einmal seine Reisegeschwindigkeit von 85 km/h erreicht, gleitet es mit dem E-Motor äußerst effizient über den Asphalt. Nur 1,25 Kilowattstunden pro Kilometer benötigt der Truck im Geradeauslauf trotz 40 Tonnen Gesamtgewicht. Das ist in etwa die Hälfte des Energiebedarfs eines Dieselfahrzeugs.
E-Flotte von DAF
DAF war mit einer Leistungsschau seiner E-Flotte auf der IAA vertreten. Einerseits mit dem DAF LF Electric, einem batterieelektrischen 19-t-Lkw für den emissionsfreien städtischen Verteilerverkehr, dessen maximale Akkukapazität von 222 kWh bei voller Ausladung eine Reichweite von bis zu 220 Kilometer bietet. Der DAF CF Electric ist wiederum eine emissionsfreie Lösung für den Verteilerverkehr, wenn höhere Nutzlast und Ladevolumen erforderlich sind. Die 4x2-Sattelzugmaschine mit einem Gesamtzuggewicht von bis zu 37 Tonnen verwendet die praxiserprobte, elektrische Antriebsstrang-Technologie von VDL und bezieht seine Energie aus einem schnelladefähigen 170-kWh-Lithium-Ionen-Akku. Der CF Electric hat damit eine Reichweite von etwa 100 Kilometern.
Einen deutlich größeren Aktionsradius als reine E-Fahrzeuge bietet der DAF CF Hybrid mit einer Kombination aus einem Elektro- und einem 11-Liter-Dieselmotor. Der E-Motor wird mit einem 85-kWh-Akku betrieben und ermöglicht eine emissionsfreie Reichweite von 30 bis 50 Kilometer. Die Batterien können vom Dieselmotor während der Fahrt auf Fernstraßen und mit einem Gleichstromladegerät an der Ladestation aufgeladen werden. Zudem ist der Hybrid-Lkw mit einer Schnellladefunktion ausgestattet, die nur 30 Minuten für eine vollständige Aufladung benötigt. Außerhalb des Stadtgebiets wird der CF Hybrid mit dem Dieselaggregat angetrieben. Dank Rekuperation kann aber die beim Bremsen gewonnene Energie genutzt werden, um den Dieselmotor elektrisch zu unterstützen und so den Kraftstoffverbrauch zu verringern.
Volvo Trucks fährt autonom
Volvo Trucks hat seinen vollelektrischen Lkw vom Typ Volvo FE bereits im Frühjahr präsentiert. Das Fahrzeug mit 27 Tonnen Gesamtgewicht wird im kommenden Jahr in diversen Praxistests zum Einsatz kommen, so zum Beispiel als Müllsammelfahrzeug in der von Schadstoffemissionen geplagten Stadt Hamburg. Neben diesem Exponat mit vollelektrischem Rotopress-Müllverdichter von Faun zeigte Volvo mit „Vera“ auch ein Konzeptfahrzeug für vollautonomes Fahren. Der Prototyp einer fahrerlosen Sattelzugmaschine ist vollkommen automatisiert und verzichtet gänzlich auf eine Lenkerkabine. Gedacht ist Vera für den Einsatz auf Kurzstrecken mit hohem Warenumschlag, beispielsweise in der Werkslogistik oder auch in Logistikzentren und Häfen. Der Antrieb der Sattelzugmaschine ist batterieelektrisch ausgeführt. Und auch beim Erdgas-Antrieb für schwere Fahrzeuge will Volvo künftig vorne mitmischen. Als bislang einziger Hersteller setzt man dazu auf einen Erdgas-Dieselmotor, während andere Gasantriebe üblicherweise nach dem Prinzip eines Otto-Motors funktionieren. Der Vorteil soll in einer höheren Verdichtung und Motorleistung liegen. Der Nachteil ist allerdings, dass der Volvo LNG zusätzlich zum Gas auch noch AdBlue und Dieselkraftstoff mitführen muss, der für den Zündvorgang benötigt wird.
Die Schwestermarke aus dem Volvo-Konzern, Renault Trucks, zeigte auf der IAA mit einer gesamten Zero-Emission-Baureihe seine geballte Kompetenz in puncto E-Mobilität. Abgesehen von diesem Nischen-Segment punktet Renault Trucks aber auch mit durchaus klassischen und äußerst robust ausgeführten Fahrgestellen der Renault Trucks C- und K-Serie für Baustellenanwendungen. Der stark nach oben gezogene Rahmen sorgt für optimale Bodenfreiheit und die hohen technischen Gesamtgewichte ermöglichen eine außerordentlich große Nutzlast der Renault-Baufahrzeuge, insbesondere im Offroad-Bereicht.
Iveco setzt auf Gas-Antriebe
Iveco wiederum verwandelte seinen Stand auf der IAA gleich überhaupt in eine „dieselfreie Zone“. Gezeigt wurden neben dem Iveco Daily, den es in den drei verschiedenen Antriebsvarianten als Diesel-, Gas- und Elektro-Transporter gibt, auch schwere LNG- und CNG- Fahrzeuge. Insbesondere im Bereich des Flüssig-Erdgasantriebs ist Iveco ein Pionier. Während das erste LNG-Modell, der Stralis NP 400, noch über relativ wenig Leistung verfügte, bietet Iveco mit dem NP 460 mit 13-Liter-Erdgasmotor inzwischen eine vollwertige Fernverkehrsmaschine an. Vor allem in Südwesteuropa, insbesondere in Spanien und Italien, ist die LNG-Infrastruktur heute schon gut ausgebaut. Auch in den übrigen Teilen des Kontinents gewinnt verflüssigtes Erdgas zunehmend an Boden. Mit einer Reichweite von rund 1.500 Kilometern des Iveco Stralis NP eignet sich LNG – abhängig von der üblichen Transportroute – damit schon jetzt als einsatzbereite Kraftstoffalternative im Fernverkehr. Außerdem präsentierte Iveco auch ein Stralis X-Way Fahrgestell mit 400 PS CNG-Antrieb und Beton-Mischer-Aufbau. Da Baustellen- und Baulogistik-Fahrzeuge in der Regel immer wieder zum selben Ausgangspunkt zurückkehren, ist die Reichweite auch mit komprimiertem Erdgas ausreichend.
In Österreich gibt es derzeit eine einzige LNG-Tankstelle, betrieben von der Firma R.A.G. in Ennshafen. Im Rahmen eines Mietmodells von LNG-Fahrzeugen ist Iveco hierzulande dabei, potentielle Kunden von der Alltagstauglichkeit der Technologie in der Praxis zu überzeugen. Als einer der ersten österreichischen Kunden setzte „Vega Trans“ auf die Erdgastechnologie von Iveco. Das international tätige Transportunternehmen mit Sitz in Wals-Siezenheim hat bereits letztes Jahr ihr erstes LNG-Fahrzeug in Betrieb genommen. Es wird hauptsächlich für Fahrten zwischen Italien und Deutschland eingesetzt. Weitere neun Fahrzeuge mit CNG- und LNG-Motoren sind bereits in der Anschaffung. Mittelfristig denkt man bei Vega Trans sogar daran, den gesamten, rund 50 Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark, auf Erdgasantrieb umzustellen.