Actros : Für diesen Lastwagen wird es windig

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© Daimler AG

Bei einem Lastwagen der aktuellen Generation werden etwa ein Drittel der zur Verfügung stehenden mechanischen Energie durch das Verbrennen von Kraftstoff zur Überwindung des Luftwiderstands aufgewendet. Um den Kraftstoffbedarf weiter zu reduzieren, wird an einer stetigen Verbesserung der Aerodynamik von Sattelzugmaschinen gearbeitet. Auf diese Weise konnte der Kraftstoffbedarf des Mercedes-Benz Actros in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gesenkt werden.

Auf den ersten Blick lässt das Äußere es eigentlich kaum vermuten. Optisch wirken Sattelzugmaschinen wie fahrende Schränke, doch die Arbeit der Ingenieure scheint sich auszuzahlen, wie am Beispiel des Actros gezeigt werden kann. Im typischen Fernverkehrseinsatz konnten zum Beispiel seit 2011 bis zur Einführung im Jahr 2019 Einsparungen von bis zu 15 Prozent erzielt werden.

Die aktuelle Actros-Generation soll die Messlatte noch einmal höher hängen. Im Vergleich zu seinem Vorgängermodell kann auf Autobahnen bis zu drei Prozent und im Überlandverkehr sogar bis zu fünf Prozent eingespart werden.

Verbrauchsreduktion im Fokus

Nicht nur am Computer wird ausgiebig an der Aerodynamik der Sattelzugmaschinen gearbeitet, sie werden auch zu praktischen Erprobungszwecken in den Windkanal gerollt. Eine solche Anlage steht bei Daimler in Untertürkheim. Sie hat quasi Kultstatuts, denn bereits seit 80 Jahren ist dieser Kanal in Betrieb und gilt als ältester „eins zu eins“ Windkanal in Europa.

Dort simulieren die Ingenieure die Umströmungsbedingungen am Truck. Das Ziel ist es, den Strömungswiderstand, also die Windschlüpfigkeit, und damit den Verbrauch zu optimieren. Herzstück der hochmodernen Anlage ist eine neunflügelige Windmaschine mit einem Durchmesser von 8,5 Metern. Jeder der Flügel des Axialgebläses bringt es auf ein beachtliches Gewicht von 850 Kilogramm.

Sturmböen auf Knopfdruck

Die Anlage in Untertürkheim ermöglicht den Entwicklern, Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 Kilometer pro Stunde zu erzeugen. Angetrieben werden die Flügel von zwei Gleichstrommotoren mit je 2500 Kilowatt Leistung. Damit bekam auch der Actros bei seiner Weiterentwicklung ordentlich Wind um die Fahrerkabine geblasen.

„Parallel zur computerbasierten Strömungsberechnung werden auch Stichprobenversuche vorgenommen, um die aerodynamische Verbesserung von Konzeptbauteilen zu bestätigen“, erklärt Michael Hilgers, Leiter CAE Vehicle Functions in der Nutzfahrzeugentwicklung von Mercedes-Benz.

Obwohl in hohem Maß das Fahrerhaus zur Verbesserung der Aerodynamik beiträgt, spielen noch andere Faktoren eine Rolle für die Verbrauchsreduktion des neuen Actros. Zu diesen zählen etwa die optimierte Tempomat- und Getriebesteuerung (Predictive Powertrain Control; PPC) und neuen Hinterachsübersetzungen. Doch wie sieht die Testung im Detail aus?

Im Testbereich steht das Prüffahrzeug auf einer Drehscheibe mit zwölf Metern Durchmesser, so dass es dem Windstrom frontal oder auch in jedem anderen gewünschten Winkel seitlich ausgesetzt werden kann. In die Drehscheibe integriert ist, eine Sechs-Komponenten-Waage. Sie dient der hochgenauen Ermittlung zahlreicher Kräfte, darunter der Luftkraft. Die Kräfte werden über Hebel und Gestänge auf Kraftmessdosen übertragen und dadurch auswertbar gemacht.

Wichtige Hinweise für die MirrorCam

In den Versuchen simulierten die Ingenieure ebenso die Umströmungsbedingungen am Lkw mit dem Ziel die beste Position für die Kameraarme der MirrorCam zu ermitteln. Für eine optimale Anbringung standen der obere und der untere Bereich der A-Säule sowie der obere Bereich der B-Säule zur Diskussion. Gesucht wurde außerdem eine Lösung, die verhindert, dass von oben einfallendes Streulicht die Performance der Kameras mindert.

Allein das neue MirrorCam-System des aktuellen Actros zeigt, welche Bedeutung die Aerodynamik im Fahrzeugbau hat. Vor allem mit Blick auf die MirrorCam lieferten die Versuche im Windkanal den Ingenieuren wichtige Hinweise. Einerseits für die aerodynamische Gestaltung der beiden Kameraarme und andererseits für die Positionierung der Kameraarme rechts und links am Fahrerhaus.

Die MirrorCam ersetzt den klassischen Rückspiegel durch ein Kamerasystem und ist beim neuen Actros am Dachrahmen befestigt. Es kann bis zu 1,5 Prozent der gesamten Verbrauchseinsparung beitragen. Ebenfalls ihren Beitrag leisten die neuen, konkaven Endkantenklappen am Fahrerhaus.

Neben einem möglichst geringen Verbrauch haben die Ingenieure bei ihren Versuchen im Windkanal und den CFD-Analysen auch das Thema Schmutzfreihaltung im Blick. Vor allem für sicherheitsrelevante Bereiche wie Front- und Seitenscheiben sowie die Linsen der Kameraarme. Die Aerodynamik hat Einfluss darauf, wie viel Schmutz vom eigenen und von vorausfahrenden Fahrzeugen haften bleibt.

Kooperation ist alles

Essenziell für die Arbeit der Aerodynamiker ist die Abstimmung mit den Kollegen aus anderen Kerndisziplinen, insbesondere mit Designern und Konstrukteuren. „Das Ziel im Entwicklungsprozess eines Lkw ist immer, gemeinsam die beste Lösung zu finden“, sagt Kai Sieber, Leiter Design Brands & Operations von Mercedes-Benz. Die Suche im Detail gehört da ebenso dazu.

„Zum Beispiel geben die Kameraarme der MirrorCam dem neuen Actros in seiner Gesamterscheinung eine puristische Prägung. Optisch ist das eine Bereicherung, denn der Schwerpunkt des Fahrzeugs wird durch den Wegfall der großen Spiegel nach unten verlagert, was die Dynamik noch einmal unterstreicht und Kraftstoff einspart“, ergänzt Sieber.

So aufschlussreiche Ergebnisse im Windkanal gewonnen werden können, auf eine Validierung im Straßeneinsatz lässt sich dadurch nicht verzichten. Die Ingenieure profitieren so davon, gleich mehrere leistungsfähige Verfahren zur Verfügung zu haben, mit deren Hilfe sich die Lkw von Mercedes-Benz so aerodynamisch wie nur möglich gestalten lassen.

https://youtu.be/yVASWmNHx1Q