Neu im Kino : ERDE - Ein Film zwischen Faszination und Endzeitstimmung
Geyrhalters Film beinhaltet faszinierende Aufnahmen von gigantischen Maschinen auf Großbaustellen, Steinbrüchen und im Bergbau in verschiedenen Teilen der Welt. Atemberaubende Luftaufnahmen veranschaulichen dabei die immensen Dimensionen der jeweiligen Projekte. Detailaufnahmen am Boden vermitteln das Gefühl, mitten drin zu sein, wenn Mensch und Maschine gemeinsam die Welt verändern. Dabei nimmt der Regisseur den Kinobesucher auch schon einmal mit ins Cockpit der jeweiligen Fahrzeuge und Geräte. Wer schon immer einmal auf der Spitze eines 160 Meter hohen Schaufelradbaggers stehen wollte oder in der Kabine einer 100 Tonnen schweren Erdbewegungsmaschine mitfahren möchte, der bekommt mit diesem Film Gelegenheit dazu.
Andererseits lässt Geyrhalter auch die Bediener dieser Maschinen in Interviews zu Wort kommen. Dabei konfrontiert sie der Regisseur auch mit den Folgen ihres Tuns und den Auswirkungen ihrer Arbeit auf die Umwelt. Die Antworten der Protagonisten fallen mal mehr mal weniger philosophisch aus. Teilweise wirken die Versuche, jemandem doch noch ein substanzielles Statement zu den Auswirkungen des menschlichen Wirkens auf die Umwelt abzuringen, etwas bemüht.
Die Erdbewegungsarbeiten, die Geyrhalter in seinem Film darstellt, reichen von einer Großbaustelle in Kalifornien und einem Marmorsteinbruch in Italien über den Brenner Basistunnel bis hin zum deutschen Atommülllager „Asse“ und einem Abbaugebiet für Ölsand in Kanada. Die Auswahl der Projekte folgt keinem erkennbaren Zusammenhang. Es ging Geyrhalter offenbar primär darum, das Ausmaß der menschlichen Eingriffe in die Natur zu dokumentieren. Der Kinobesucher bekommt eine gute Vorstellung, was die Umsetzung des biblischen Imperativs „und macht Euch die Erde untertan!“ in der Praxis bedeutet. Nachdenklich macht dabei die Geschwindigkeit, mit der der Mensch dabei ist, seine Umwelt für immer zu verändern - und zwar unwiderruflich.
Am spannendsten, aus journalistischer Sicht, ist die Einfahrt in die unterirdischen Stollen des Atommülllagers Asse und der Besuch in einem Ölsandgebiet in Kanada, wo eine indigene Einwohnerin den Kinobesucher durch die Umgebung führt. Man sieht verlassene Abbaugebiete, bei denen die Gebäude und Maschinen verrotten, da sie offenbar nicht entsorgt wurden. Zudem berichtet sie über undichte Sickerbecken der Ölgewinnungsanlagen und Warnungen des Gesundheitsministeriums davor, mehr als zwei Fische pro Woche aus dem örtlichen Fluss zu essen. Der Zuseher bleibt dabei mit der Überzeugung zurück, dass die indigene Bevölkerung mangels Lobby mit einem übermächtigen Feind konfrontiert ist, der die Umwelt und ihren Lebensraum rücksichtlos zerstört und vergiftet. Hier manifestiert sich die menschliche Gier nach Rohstoffen als Folge grenzenlosen Wachstums und technischer Entwicklung in gigantischer Umweltzerstörung und Ungerechtigkeit. Das Ganze riecht nach einem handfesten Skandal, der nach Empörung und Aufklärung schreit. Leider bleibt der Film hier aber an der Oberfläche, eine weitere Verfolgung des Sachverhalts - etwa durch die Konfrontation der kanadischen Behörden mit der Situation oder vertiefende Interviews mit Umweltschutzorganisationen - unterbleibt. Schade.
Erde. Ein Film von Nikolaus Geyrhalter (A 2019, 115 min). Kinostart: 17. Mai 2019