Interview : Der Brexit nach dem Brexit steht unmittelbar bevor - noch ist vieles unklar

Günther Reder
© Reder Transporte KG

Eigentlich ist Großbritannien schon seit 1. Februar 2020 kein EU-Mitglied mehr. Aufgrund einer Übergangsregelung konnte der grenzüberschreitende Güterverkehr aber weiter wie gewohnt abgewickelt werden. Sofern es kein Brexit-Nachfolgeabkommen gibt, ist damit am 31. Dezember 2020 Schluss. Vor allem auf Seiten Kontinentaleuropas hoffte man wohl, dass es gelingt, mit dem Vereinigten Königreich darüber eine Einigung zu erzielen. Dieser Ansatz zur Regelung der Beziehungen in der Post-Brexit-Ära ist aber bislang gescheitert: die Briten – oder zumindest deren Regierung – wollen den Brexit offenbar vollenden. Damit würde das Vereinigte Königreich ab 1. Jänner 2021 aus Sicht der EU zum Drittstaat und sämtliche Waren müssten verzollt werden. Welche Auswirkungen das auf die Wirtschaftsbeziehungen und den Güterverkehr von und nach Großbritannien haben würde, ist gar nicht vollumfänglich absehbar. Noch wird in äußerst zähen Verhandlungen zwischen der britischen Regierung und der EU-27 um eine Lösung gerungen. Zu einem Durchbruch in den strittigen Punkten ist es dabei aber bis dato nicht gekommen – verhandelt wird wohl noch bis zum Schluss. Fest steht aber auch: am 32. Dezember ist es zu spät!

TRAKTUELL hat den Obmann des Fachverbands Güterbeförderung in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) zu den aktuellen Entwicklungen kurz vor Ablauf der Brexit-Übergangsfrist zum Jahresende befragt.

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Günther Reder: Leider ist in Bezug auf den Brexit nach wie vor vieles offen und mit der aktuellen Situation noch um eine Dimension erweitert: Die Auswirkung aufgrund der wegen der Virus-Mutation kurzfristigen Grenzschließung geben einen Vorgeschmack auf das, was auf die Branche zukommen könnte, sollte es zu keiner Einigung bzw. (weiteren) vernünftigen Übergangslösungen zwischen der EU und Großbritannien kommen. Die Schließung der Fährverbindung nach Calais, sowie des Eurotunnels für den begleitenden Güterverkehr hat binnen Stunden zu chaotischen Zuständen entlang der Zulaufrouten und vor allem für die betroffenen Fahrer zu einer menschenunwürdigen Versorgungslage geführt – keine bzw. viel zu wenige Sanitäreinrichtungen, schlechte Versorgung mit Lebensmitteln, geschweige denn mit warmen Mahlzeiten. Aktuell kann nur gehofft werden, dass mit der nun erfolgten/angekündigten Grenzöffnung ein Großteil der in Großbritannien „gestrandeten“ Fahrzeuge noch vor den Feiertagen in die Heimatländer zurückkehren kann.

TRAKTUELL: Aktuell wird noch über die Modalitäten nach der Brexit-Übergangsphase verhandelt. Welche Szenarien sehen Sie für die Post-Brexit-Ära?

Günther Reder: Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich dauern nach wie vor an, weshalb für die Zeit ab 2021 noch unklar ist, wie die Beziehungen gestaltet sein werden. Wie umfassend ein neues Abkommen sein wird, ist daher offen, aber schon heute ist klar, dass das Vereinigte Königreich keine enge Wirtschaftskooperation mit der EU sucht. Aus heutiger Sicht wird es daher ab 2021 zu erheblichen Änderungen in den Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich kommen und Unternehmen müssen sich auf Einschränkungen und administrativen Mehraufwand einstellen.

Allerdings wurde vom Europäischen Parlament am 18.12.2020 ein Notfallplan für den Fall eines „No Deal“, also den Fall, dass die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich scheitern sollten, verabschiedet. Es ist vorgesehen, dass der Notfallplan am 1. Januar 2021 in Kraft tritt und bis zum Inkrafttreten eines neuen internationalen Abkommens zwischen der EU und Großbritannien über Beförderungen im Straßenverkehr gültig ist bzw. bis längstens zum 30. Juni 2021. Der Notfallplan muss allerdings noch im schriftlichen Verfahren vom Rat abgesegnet werden.

Der Notfallplan sieht vor, dass britische Unternehmen, die im Besitz einer gültigen Lizenz für grenzüberschreitende Güterbeförderung sind, während dieser Frist weiterhin "zulässige Güterbeförderungen" auf dem Gebiet der Europäischen Union durchführen können. Im Gegenzug sollen Unternehmen mit Sitz in der EU, die im Besitz einer gültigen EU-Lizenz sind, die gleichwertigen Rechte auf dem Gebiet des Vereinigten Königreichs eingeräumt werden.

TRAKTUELL: Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Transportbranche?

Günther Reder: Ohne Nachfolgeregelung verliert mit Ende der Übergangsphase eine in der EU ausgestellte Gemeinschaftslizenz für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr (Verordnung (EG) Nr. 1072/2009) ihre Gültigkeit im Vereinigten Königreich. Dann kommt das multilaterale Quotensystem des Internationalen Verkehrsforums (früher „Europäische Konferenz der Verkehrsminister“) zur Anwendung bzw. werden mit dem Vereinigten Königreich – wie mit anderen Drittstaaten (z.B. Russland oder Türkei) auch – in bilateralen Abkommen mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten Genehmigungskontingente festgelegt. Auch das Recht auf Kabotage geht für österreichische bzw. EU-Unternehmen im Vereinigten Königreich und vice versa verloren.

Mit dem befristeten Notfallplan sollen jedoch die drastischsten Auswirkungen, die bei einem „No-Deal-Brexit“ wären, für sechs Monate abgefedert werden. Mit diesem Maßnahmenpaket wird den im Vereinigten Königreich lizenzierten Güterverkehrsunternehmern die Durchführung von Beförderungen im Güterverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der Union oder vom Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs in das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs mit Transit durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten ermöglicht. Voraussetzungen für die Gewährung dieser Rechte sind jedoch Reziprozität und fairer Wettbewerb.

Es ist jedenfalls ein massiver administrativer Mehraufwand zu erwarten.

TRAKTUELL: Wie bereiten Sie sich auf die Zeit nach der Übergangsphase vor? Welche Mehrkosten erwarten Sie bei Transporten nach Großbritannien?

Günther Reder: Aktuell kann man nur den Ausgang der Verhandlungen abwarten. Derzeit fallen jedenfalls Standkosten an, weil es aufgrund erhöhten Verkehrsaufkommens und Staus zu längeren Warte- und Stehzeiten kommt.