Gastkommentar : Betrachtungen aus der Blase

Sebastian Kummer auf hoher See

Sebastian Kummer auf hoher See

- © Sebastian Kummer

Wenn LogistikerInnen so viel von Logistik verstehen würden wie die Virologen vom SARS-COV-2, dann hätte die Bevölkerung während der Krise nichts zu essen und schon lange kein Klopapier mehr gehabt. Nur wenigen LogistikerInnen fehlte ein gesamtheitliches Supply-Chain-Management-Verständnis und auch wenn es Übertreibungen wie Preisdumping gab, ist eines sicher: Engpass waren nicht Transportwirtschaft und Logistik, sondern die Produktion von Zulieferteilen oder Endprodukten. So gut Logistiker und Logistikdienstleister ihren Job auch machen, sie wurden nicht von der Krise verschont, denn Logistik ist in hohem Maße abhängig von der Nachfrage von Endverbrauchern, Industrie und Handel ebenso wie von den politischen Rahmenbedingungen. Aus der Ferne wirken vor allem Letztere wie absurdes Theater. Anders als bei anderen Krisen wurden eben nicht frühzeitig die Flüge aus China gestrichen. Die österreichische Politik hat, und das zeigt das Beispiel Tirol sehr deutlich, Warnungen ignoriert und viel zu spät reagiert. Genauso, wie sich auf meiner Corona-Odyssee durch das Mittelmeer die Situation fast von Tag zu Tag änderte und ich keine mittelfristigen Prognosen über die Rahmenbedingungen machen konnte, so sahen und sehen sich zum Teil jetzt noch Logistiker und Logistikdienstleister mit großen Ungewissheiten bezüglich der zukünftigen Regulierung zum Beispiel bei Grenzübertritten konfrontiert. Aufgeklärte Ökonomen und Logistiker wissen, dass die Wirtschaft und Supply Chains komplexe Systeme sind. Durch eine einseitige virologische Betrachtung der Problemlage und Formulierung von Maßnahmen kann systemtheoretisch nicht das Gesamtoptimum erzielt werden. Nun, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, haben Transportwirtschaft und Logistik leider nur einen begrenzten Handlungsspielraum. Wohl dem, der aus der 2008er-Krise die richtigen Schlüsse gezogen hat und nicht in der Hochkonjunktur der letzten Jahre überheblich geworden ist. In Krisenzeiten sind eine solide finanzielle Basis, gute Kunden und Lieferantenbeziehungen sowie ein vertrauensvoller Umgang mit den MitarbeiterInnen eine Überlebensgarantie. Noch schwieriger als das Runterfahren der Logistiksysteme und Anpassung auf die zusammenbrechende Nachfrage ist jedoch das Hochfahren der Systeme. Flexibilität und gute Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden sind notwendig.

Der Volksmund sagt, dass guter Rat teuer ist, und niemand weiß, wie lange die Krise noch anhalten wird. Trotzdem möchte ich versuchen, aus meiner persönlichen Corona-Odyssee-Erfahrung einige Ratschläge abzuleiten.

  1. Ich denke, es kann nicht schaden, sich auf das Schlimmste einzustellen und gleichzeitig das Beste aus der Situation zu machen. Als ich am 9. März abends vom italienischen Lockdown erfuhr, war es mein Anliegen, meine Crew in Sicherheit zu bringen. Am 10. März konnte sie aus Mallorca ausfliegen. Natürlich informierte ich sofort meinen Kunden, die Charteragentur Pitter, dass ich das Boot alleine überstellen würde, und ich versuchte, so schnell wie möglich zum Ziel, Göcek, Türkei, zu segeln.
  2. Safety first. Ich wollte zwar schnell segeln, aber nicht um jeden Preis. So legte ich auf der Insel Vulcano nördlich von Sizilien, da ein Sturm im Ionischen Meer drohte, einen zweitägigen Zwischenstopp ein. Bezüglich der Sicherheit gilt: „Reffe, wenn Du ans Reffen denkst“ (Mit „Reffen“ bezeichnen SeglerInnen die Verkleinerung des Segels). Mehrmals auf meiner Reise habe ich dies beherzigt und war froh, dass ich so gut mit verkleinertem Segel durch die schon von Odysseus gefürchtete Meerenge von Messina gekommen bin. Obwohl ich weiß, dass die Türkei sicher ist, lag neben meinem Bett immer ein Handfunkgerät eingestellt auf den Notfunkkanal 16.
  3. Mit Geduld und Humor kommt man durch die Wüste. Als ich zwei Tage vor der Einreise in die Türkei erfuhr, dass diese in den nächsten 25 Tagen nicht möglich sei, beschloss ich geduldig abzuwarten.
  4. Kreative, sparsame Ressourcennutzung. Zwar hatte ich genug zu essen, vor allem Fisch, aber die Wasservorräte wurden knapp, also spülte ich mit Salzwasser und rationierte die Getränke. Mit Süßwasser wurde nur einmal die Woche geduscht.
  5. Guter Kontakt zu den Nachbarn. Ich kommunizierte mit den türkischen Fischern und Bauern immer freundlich mit Hand und Fuß, fischte nicht in ihren Buchten und ging auch nicht an Land.
  6. Alle Kontakte nutzen. Nachdem die Einreisesperre in die Türkei vom 17. April auf den 21. Mai verlängert wurde, aktivierte ich offizielle Stellen, Medien und meine Kontakte. Am Ende konnte so eine Lösung für die Einund Ausreise erzielt werden.
  7. Mut, Disziplin und Ausdauer. Da Griechenland auch die Durchreise mit einem Segelboot nicht erlaubte, entschloss ich mich auf der Rückreise mit einer Lagoon 450, die ich von der Türkei nach Kroatien bringen sollte, außerhalb der 12-Seemeilen-Zone südlich von Rhodos und Kreta zu segeln, auch wenn dort Stürme wehten. Um acht Tage und acht Nächte nonstop alleine im Mittelmeer zu segeln, bedarf es nicht nur Mut, sondern auch Disziplin; der Wecker wird in der Nacht alle 15 Minuten gestellt, um Ausschau zu halten.