Straßengüterbeförderung : Brexit: Es könnte nun ungeregelt zugehen

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Die britische Premierministerin Theresa May konnte das britische Unterhaus gestern nicht davon überzeugen, für den Brexit zu stimmen. Zweidrittel der Abgeordneten sprachen sich gegen Theresa May’s Deal mit der EU aus. Heute Abend um 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird auf Antrag von Oppositionsführern sogar die Vertrauensfrage gestellt. Die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Austritts, eines „No-Deal“, ist erschreckend hoch. Auch der EU-Brexit-Chefverhandler bedauerte das Ergebnis der Abstimmung im britischen Parlament vom Dienstagabend.

„Zum jetzigen Zeitpunkt kann kein einziges Szenario ausgeschlossen werden“, sagte Michael Barnier heute morgen. Soll es eine sogenannte „Backstop-Lösung“ für Nordirland geben, müsse in jedem Fall ein Austrittsabkommen erzielt werden, daran führe kein Weg vorbei. Damit bliebe Nordirland regulativ näher an der EU als der Rest Großbritanniens.

Ein neues Abkommen zum Austritt soll seitens der EU jedenfalls nicht verhandelt werden. „Wir können nicht zurückgehen und den Anfang verändern“, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Aber man könne das Ende ändern. Auch er sagte, die EU müsse sich auf einen „No Deal“ vorbereiten. Das Vereinigte Königreich hätte seine Absichten so schnell wie möglich kundzutun. „Die Zeit ist fast abgelaufen.“ Jetzt könnten nur mehr die Briten den Brexit selbst gut sein lassen, eine Verschiebung des Brexit fixieren oder den Weg eines ungeregelten Ausstiegs wählen, der für die Transportbranche gravierende Folgen hätte.

Die Zoll-Infrastruktur fehlt einfach

Der Verband der Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen reagierte auf das Negativ-Votum umgehend: „Für die sich daraus ergebenden gravierenden Konsequenzen für den Güterverkehr ist noch keine Lösung in Sicht“, kommentierte Christoph Kösters, Hauptgeschäftsführer des Logistikverbandes VVWL NRW. Die bisher bekannt gewordenen Maßnahmen der britischen Seite oder anderer betroffener Länder geben aber wenig Anlass zur Hoffnung.

Ein ungeregelter Austritt hätte zur Folge, dass ab dem 29. März eine WTO-konforme Verzollung stattfinden muss, so Kösters. Dies würde zu gewaltigen Staulagen und immensem Zeitverlust führen, ist jedoch aus einem simplen Grund bis Ende März kaum realisierbar, wie er meint, und das aus gutem Grund: „Die Zollhöfe aus den 1980er Jahre gibt es heute nicht mehr, die zur Abfertigung benötigten Aufstellflächen wurden schon lange umgewidmet und zugebaut“, argumentiert Kösters. Eine Studie rechnet durch, dass eine Verlängerung der Abfertigungszeit von Lkws um lediglich zwei Minuten einen 17 Kilometer langen Stau verursachen kann – und zwar auf beiden Seiten des Kanals.

"No Deal-Szenario" wahrscheinlicher

Darüber hinaus werden deutsche Lkw-Fahrer durch einen „harten Brexit“ ein Visum für Großbritannien benötigen. Alleine der damit verbundene Aufwand kann den Straßengüterverkehr für Wochen zum Erliegen bringen. Entsprechende Szenarien wurden bereits durchgespielt. „Die tiefgreifenden Konsequenzen der heutigen Entscheidung für die Logistik können in der Kürze der Zeit nicht mehr abgemildert werden.

Soll es nicht zu einem vollständigen Chaos im grenzüberschreitenden Warenhandel kommen, muss Großbritannien in den kommenden Wochen die Notbremse ziehen und das gesamte Austrittsvorhaben stoppen“, mahnt Kösters. Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) zeigt sich nach dem negativen Ausgang des Votums zu dem mit der EU verhandelten Austrittsabkommen enttäuscht. Ein „No Deal-Szenario“ wird immer wahrscheinlicher.

„Doch selbst für diesen Fall werden deutsche Spediteure die Lieferketten für ihre Kunden aus Industrie und Handel im Verkehr von und mit Großbritannien zukünftig aufrechterhalten und weiterhin zuverlässig organisieren können“, zeigt sich DSLV-Präsident Axel Plaß zuversichtlich. „Eine hohe Zollexpertise ist in den Speditionshäusern grundsätzlich vorhanden, denn Drittlandverkehre gehören zum alltäglichen Geschäft des Spediteurs.“ Eine angemessene Vorbereitungszeit für die Umstellung sei jedoch angemahnt.

Katastrophenszenario für die Autoindustrie

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat nach der Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament vor dramatischen Folgen gewarnt. „Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Dienstagabend in Berlin.

Es drohe eine Rezession in der britischen Wirtschaft, die auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde. Jede Unklarheit gefährde Zehntausende von Unternehmen und Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland - vor allem in Großbritannien.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bezeichnete die Ablehnung des Brexit-Abkommens in London als „politisch fahrlässig“. Es drohten schwerwiegende Konsequenzen für Bürger und Unternehmen in Großbritannien und Europa, sagte VDA-Präsident Bernhard Mattes.

Die Betriebe auf beiden Seiten des Ärmelkanals seien eng miteinander verbunden. „Ohne geordnete und praktikable Lösungen für den Wirtschaftsverkehr stehen auch Jobs in der Automobilindustrie, insbesondere auf der britischen Seite, auf dem Spiel“, betonte Mattes. Alle Beteiligten sollten jetzt daran arbeiten, einen ungeregelten Brexit noch abzuwenden. Vor diesem Hintergrund könne auch die Verschiebung des Austrittsdatums sinnvoll sein.

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