Analyse : Machtpoker um das MAN-Werk in Steyr

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Ein dramatisches Machtspiel sind die Vorgänge rund um das MAN-Werk in Steyr. Nach einem aggressiven Eröffnungszug seitens des MAN-Managements, nämlich der einseitigen Kündigung der Beschäftigungs- und Standortsicherungsverträge, kämpft der Betriebsrat um den Fortbestand des Werks und seiner Arbeitsplätze. Dem Vernehmen nach fühlt er sich dabei von der Politik – insbesondere der Bundespolitik – im Stich gelassen. In der Tat war ein Aufschrei im Bund, anders als bei der drohenden Pleite der AUA, in Sachen MAN bis jetzt kaum wahrnehmbar. Der rote Betriebsrat im Werk wäre jedenfalls dringend auf Rückendeckung eines schwarz-türkisen Kanzlers und dessen Wirtschaftsministerin angewiesen. Keinesfalls dürfen parteipolitische Überlegungen hier über volkswirtschaftlichen Interessen und der Sicherung von Arbeitsplätzen stehen.

Oder gibt es gar einen Alternativplan? Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck soll angeblich an einem Österreich-Konsortium zur Übernahme des Standorts basteln. Wie genau eine solche Lösung aussehen könnte, ob und wie viele Arbeitsplätze dadurch erhalten werden könnten – das ist alles unbekannt. Auch warum man seitens der Regierung bisher, zumindest in der Öffentlichkeit, nicht stärker gegen die einseitige Aufkündigung der Standortsicherungsverträge aufgetreten ist, bleibt unklar. Die Frage ist auch, ob und wer welche juristische Handhabe in dieser Angelegenheit gegen MAN und den Mutterkonzern Traton, der zu Volkswagen gehört, hätte. Entsprechende Anfragen an das Bundeskanzleramt und das Wirtschaftsministerium zur Causa blieben leider unbeantwortet.

Genaue Details über die Verträge liegen uns nicht vor. Soweit bekannt, dürfte die Standort- und Beschäftigungssicherung Teil einer internen Betriebsvereinbarung im Gegenzug für flexiblere Arbeitszeiten gewesen sein. Ob und wie sich das einklagen lässt, ist fraglich. Die Arbeitnehmerseite hat ihren Teil der Vereinbarung wohl eingehalten, jedenfalls wurde seitens des Managements nichts Gegenteiliges ins Treffen geführt. Bei Traton beruft man sich auf notwendige Restrukturierungsmaßnahmen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und Investitionen in die Zukunft, wie die Elektrifizierung und das autonome Fahren, voranzutreiben. Möglich wäre auch, dass man seitens des Managements versucht, Arbeitnehmer und Regierung unter Druck zu setzen, um Förderungen, Abgabenerleichterungen oder Lohnkürzungen durchzusetzen. Die Gewerkschaft ist jedenfalls alarmiert und gibt sich kämpferisch: „Wir werden Seite an Seite mit den Betriebsräten gegen die Verlagerung der 2.300 Arbeitsplätze bei MAN in Billiglohnländer kämpfen. Es kann nicht sein, dass ein profitabler Standort geschlossen wird und MAN damit tausende Existenzen in der Region gefährdet“, betonten ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und der ÖGB-Landesvorsitzende Johann Kalliauer. Sie kündigten bereits einen Warnstreik samt öffentlichem Protestmarsch an, der am 15. Oktober stattfinden soll.

Sollte das Werk von MAN in Steyr tatsächlich schließen, gingen dort über 100 Jahre Automobilbau zu Ende. Neben den unmittelbar betroffenen Arbeitsplätzen hätte dies wohl Auswirkungen auf die gesamte Region. Dabei war erst in letzter Zeit kräftig investiert worden: Es gibt ein Vorserien-Center am Standort, auch die ersten neun schweren Elektro-Lkw des Typs eTGM wurden in Steyr gefertigt. 2019 wurde eine nagelneue Kunststoffteilelackierung in Betrieb genommen. 2020 startete der Bau einer weiteren Kleinserie von eTrucks. Kurzum: Steyr ist kein veralteter Montage-Standort von gestern, sondern ein innovatives Zentrum der Lkw-Technik von morgen. Entsprechend erstaunt bleibt man als Beobachter angesichts der Schließungspläne zurück.