Transport : Post-Brexit: Worauf Logistikunternehmer jetzt achten müssen
Schon im Sommer 2016 traf die britische Bevölkerung in Form eines Referendums die Entscheidung für einen EU-Austritt. Dieser ließ aber noch lange auf sich warten, denn die Briten wollten zwar ihre Unabhängigkeit von der Europäischen Union, aber offensichtlich nicht all die mit dem Austritt verbundenen Konsequenzen akzeptieren. Einen No-Deal-Brexit wünschte dennoch auch auf EU-Seite niemand – die Handelsbeziehungen sollten trotz allem intakt bleiben. In letzter Minute kam es zu Weihnachten letztes Jahres dann zu einer hastigen Einigung. Seit Beginn des Jahres 2021 gelten nun die neuen Regelungen in Bezug auf den Warenverkehr. Doch es schweben jede Menge Unklarheiten im Raum - noch immer.
"Täglich ergeben sich neue praktische Detailprobleme, seien es technische Mängel der Unternehmens- oder Behörden-IT, ausbleibende oder widersprüchliche Kommunikation vor allem der britischen Behörden oder eben die bereits angesprochenen Wissensdefizite einiger Unternehmen in der Lieferkette", weiß Niels Beuck, Geschäftsführer und Leiter für Europäische Angelegenheiten beim DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e.V. "So wird häufig verkannt, dass Waren im Verkehr zwischen der EU und UK nur dann zollfrei sind, wenn sie EU- oder UK-Ursprungswaren sind und dies durch sogenannte Präferenznachweise belegt wird", ergänzt Beuck.
Das Problem dabei: Diese präferenziellen Ursprungsregeln sind rechtlich und materiell äußert komplex. "Vereinfacht gesagt muss der überwiegende Teil der in einem Endprodukt enthaltenen oder verarbeiteten Vormaterialen aus dem Gebiet der EU oder dem Vereinigten Königreich stammen, damit keine Zölle entstehen", erläutert Beuck. Im Automobilsektor oder in der Textilindustrie ist das jedoch kaum der Fall. Auch fehlende Anerkennungen von Veterinärbescheinigungen und die Behandlung von Verpackungsmaterial werden auf absehbare Zeit Probleme in der Praxis verursachen. Logistikverbände wie der DSLV suchen den Kontakt mit britischen, deutschen und europäischen Behörden, damit diese Hürden schnell und unbürokratisch beseitigt werden.
Auf die Frage, ob sich die Speditionen gut auf den Brexit vorbereitet hätten, antwortet Beuck: "Nach unseren bisherigen Erfahrungen gehen noch zu viele Unternehmen der verladenden Wirtschaft und auch kleinere Transportunternehmen, die bislang alleine im EU-Binnenmarkt agierten, von falschen Voraussetzungen aus und sind deshalb nicht entsprechend vor-bereitet. Obwohl für den Handel mit Drittstaaten seit Jahren in Kraft, überfordern die nun seit Jahresbeginn umzusetzenden Zollabfertigungen und Dokumentationspflichten diese Unternehmen. Es wird höchste Zeit, dass sie sich mit den für den EU-UK-Verkehr neuen Zollförmlichkeiten und Systemen auseinandersetzen.
Erschwerend würde hinzu kommen, dass sich Unternehmen mit den verschiedenen nationalen Zoll-IT-Systemen, und dabei insbesondere mit dem neuen "Border Operating Model" im Vereinigten Königreich, auseinandersetzen müssen. "Handelsunternehmen, die Waren nach oder aus UK ex- oder im-portieren, müssen eigene Kompetenzen aufbauen oder Dienstleister wie Speditionen oder Zollagenten beauftragen. In jedem Fall müssen neue Dokumentationspflichten erfüllt werden", sagt Beuck. "Nun gilt es, die zahlreichen Details des fast 1500 Seiten umfassenden Abkommens zu sichten und in die Praxis umzusetzen. Bei aller Unwägbarkeit ist eines sicher: Der Brexit wird uns und unsere Mitgliedsunternehmen noch lange Zeit beschäftigen.
Diese drei Ratschläge sollten Sie beherzigen
Alexander Heine, Geschäftsführer der CM Logistik Gruppe, hat drei Experten-Tipps für Sie zusammengefasst:
1. Kontrolle braucht Zeit
Jahrelang profitierte Großbritannien, ebenso wie der Rest der Mitgliedsstaaten, vom freien Warenverkehr innerhalb der Zollunion. Grundsätzlich unterliegen Ein- und Ausfuhren innerhalb der EU, sogenannte innergemeinschaftliche Verbringungen, keinen Beschränkungen. Diese Freiheit fällt nun weg und alle Waren, die Logistikunternehmen aus einem Nicht-EU-Staat einführen, müssen sie durch den Zoll abfertigen lassen. Bei beispielsweise einem Container T-Shirts aus China ergibt sich kein Problem, da er ausschließlich ein Gut enthält, wenn auch in hundertfacher Ausführung. Doch eine britische Lastwagenfuhre für eine irische Supermarktfiliale – also im Rechtsbereich der Europäischen Union – beinhaltet typischerweise alle Güter, die diese Filiale benötigt, von Eiern über Klopapier bis zum Obst.
Eine nach dem Austritt erforderliche Zoll- und Einfuhranmeldung für die EU sieht vor, dass alle verschiedenen Arten von Waren in einer Ladung einzeln aufgeführt und entsprechend kontrolliert werden müssen. Administrativer Mehraufwand, auf den sich jedes Logistikunternehmen mit Fahrten in das Vereinigte Königreich einstellen sollte. Ein Umdenken bei der Beladung könnte sich als Möglichkeit zur Vermeidung dieser langen Wartezeiten herausstellen, indem Unternehmen ihre Lkw ausschließlich mit einer bestimmten Art Ware befrachten. Ob sich die dadurch entstehenden zusätzlichen Kilometer gegenüber Papierkram und Wartezeit rechnen, muss jeder Betroffene individuell kalkulieren.
2. Im Irrgarten der Bürokratie
Nicht nur die Warenkontrollen sorgen für Komplikationen an den neuen EU-Außengrenzen. Ganze Kataloge von Richtlinien zur Überführung von Frachten, die Mitgliedsstaaten der Zollunion jahrelang erspart geblieben waren, kommen nun auf Logistiker mit Beziehung zu Großbritannien zu. Dies führt zu einer erheblichen bürokratischen Belastung sowohl für die Logistikbranche als auch für die Zollbeamten beider Seiten. Falsch ausgefüllte oder fehlende Papiere können bei der Überführung Verzögerungen hervorrufen und sorgten bei Lieferungen zwischen den Inselstaaten bereits für Chaos – Lastwagen mussten umkehren, weil sie nicht die erforderlichen Formulare vorweisen konnten.
Diese organisatorischen Kinderkrankheiten ließen sich aufgrund der unklaren politischen Lage nur schwer verhindern. Um dennoch Verzögerungen und allgemeine Verwirrung zu vermeiden, hilft Logistikern nur, sich regelmäßig und gründlich über alle Neuerungen zu informieren. Kein leichtes Unterfangen, da sich die Situation an den Grenzen und damit die einzelnen Abwicklungsprozesse täglich zu ändern scheinen. Wirklich zuverlässige und vor allem aktuelle Informationen erhalten betroffene Unternehmen also nur von offizieller Stelle – den zuständigen Zollbehörden.
3. Mit Aufwand kommen Kosten
Finanzielle Belastungen für Logistikunternehmen erhöhen sich nicht nur durch steigende Personalkosten, entstehend durch den bürokratischen Mehraufwand und die Wartezeiten an den EU-Grenzen. Auch die im Handelsabkommen eigentlich festgeschriebene und in der Öffentlichkeit als großen Erfolg angepriesene Zollfreiheit erweist sich nur auf den ersten Blick als guter Deal. So gilt die mit der EU vereinbarte Erlassung nicht für Güter, die importiert und gleich wieder exportiert werden. Großbritannien läuft also Gefahr, die über Jahre aufgebaute Stellung als Dreh- und Angelpunkt des europäischen Binnenhandels zu verlieren, was zu weniger Aufträgen für Logistiker führen kann, die auf Kooperationspartner von der Insel angewiesen sind.
Alternative Routen und zusätzliche innereuropäische Geschäftsbeziehungen können als Fallnetz fungieren und im Fall einer lang andauernden Misere an britischen Grenzen den laufenden Betrieb sichern. Zukunftsprognosen zu treffen, fällt schwer – alle Parteien müssen sich auf die neuen Regelungen einstellen und ihre Prozesse anpassen. Wie groß letztlich die zusätzlichen Kosten und finanziellen Einbußen ausfallen, hängt für Logistikunternehmen davon ab, wie schnell sie die Situation adaptieren.“
Was Sie sonst noch über die Änderungen durch den Brexit wissen müssen, erfahren Sie in Brexit: Was man beim Transport nach Großbritannien beachten muss