Teststrecke : Belastungsprobe hoch im Norden

© Wabco

Der international tätige Komponentenzulieferer Wabco zählt zum Kreis der Glücklichen, die über drei eigene Teststrecken in Deutschland, Indien und sogar am Polarkreis im Norden Finnlands verfügen. So kann der Zulieferer seine Systeme und Technologien auch unter extremen klimatischen Bedingungen und bei unterschiedlichen Straßenverhältnissen testen und weiterentwickeln.

Optimale Testbedingungen in Finnland

Im Dezember startete Wabco das 30. Wintertestprogramm in Rovaniemi, Finnland. Die Teststrecke am Polarkreis wurde bereits 1988 speziell für Nutzfahrzeugtests konzipiert. Auf einer Fläche von elf Hektar befinden sich Brems- und Steilspuren, Handlingparcours sowie die Möglichkeit eines beheizten Asphaltbelags, womit das Wabco-Testgelände optimal auf die Erprobung und Verbesserung von Nutzfahrzeugsystemen ausgelegt ist.

„Dank niedriger Temperaturen kann die Stabilität der Komponenten in einem hohen bis niedrigen Geschwindigkeitsbereich untersucht und physikalische Grenzen mit geringerem Risiko ausgetestet werden“, erklärt Thomas Dieckmann, Leiter der Wabco-Vorentwicklung.

Gleichzeitig sind die Bedingungen – anders als in Mitteleuropa – sehr stabil und erlauben reproduzierbare Tests. Überdies bietet der Polarkreis von Dezember bis März mit einer Durchschnittstemperatur von Minus 30 Grad Celsius die perfekte Umgebung, um wintertypische Streckenverhältnisse in Langzeittests zu simulieren.

Gegenüber Traktuell erklärte Thomas Dieckmann, Leiter der Vorentwicklung bei Wabco, wie sich das Testen im realen Leben in den letzten Jahren entwickelt hat und welche Rolle es in Zukunft bei der System- und Lösungsentwicklung spielen wird.

Traktuell: Wenn Sie auf die letzten 30 Jahre zurückblicken: Wie haben sich Tests auf den Teststrecken verändert – im Allgemeinen und für die Wintertests im Besonderen?

Dieckmann: Für die Überprüfung der Sicherheit und der Lebensdauer von Nutzfahrzeugsystemen spielen Praxistests nach wie vor eine entscheidende Rolle in der Entwicklung und Erprobung neuer Funktionen. Sie stellen sicher, dass die Systeme in der Praxis einwandfrei funktionieren – vor allem, wenn es um die Serienfreigabe und Feinabstimmungen geht. Wir müssen klar nachweisen, dass die Systeme den hohen Qualitätsrichtlinien und ISO-Normen entsprechen und das ist nur möglich, wenn die Systeme an den Grenzen der Fahrstabilität getestet werden.

Traktuell: Welche aktuellen Entwicklungen und Faktoren im Nutzfahrzeugbereich beeinflussen den Testprozess am meisten?

Dieckmann: Der Testprozess hat sich durch die erhöhte Vernetzung maßgeblich verändert. Größere Datenmengen können in kürzerer Zeit ausgetauscht werden. Der Vorteil: Alle Messdaten stehen auf dem Server direkt zur Verfügung und können von Kollegen weltweit in Echtzeit abgerufen und analysiert werden. Gleichzeitig werden auch die Nutzfahrzeugsysteme selbst immer komplexer und vernetzter, was zu immer mehr Codezeilen und Softwarefunktionen führt, die es abzuarbeiten gilt.

Hinzu kommen spezielle Bedingungen wie korrodierte Polräder oder bestimmte seltene Fahrzeug-Setups, die auf der Teststrecke nicht getestet werden können. Daher ist es notwendig, die Tests mit Softwaresimulationen und praktischen Versuchen zu kombinieren. Obendrein erfordert die zunehmende Elektrifizierung der Fahrzeuge die Erprobung elektrisch angetriebener Achsen auf reibungsarmen Oberflächen. So funktionieren zum Beispiel Traktionskontrollfunktionen bei Radnabenantrieben anders als bei Dieselmotoren.

Traktuell: Hat die Digitalisierung das Testen von Komponenten einfacher oder komplizierter gemacht?

Beides trifft zu. Einerseits ist das Testen komplizierter geworden, weil viele Komponenten vorab durch Simulationen oder unter unterschiedlichen Umweltbedingungen getestet werden müssen. Andererseits ist es einfacher geworden, da bestimmte Testläufe durch automatisierte Vorgänge eingespart werden können, bevor die Hardware in den Prozess miteinbezogen wird.

Traktuell: Wie kann die Kombination von virtueller Simulation und realem Testen zukünftige Testprozesse beeinflussen? Welche Potenziale sehen Sie?

Da mögliche Softwarefehler bereits im Laufe der technischen Entwicklung behoben werden können, werden im Schnitt weniger Freigabetests benötigt, was zu kürzeren Entwicklungszeiträumen und weniger Nachbesserungen auf der Teststrecke führt. Auf der Teststrecke gibt es mehr Zeit, um sich auf das Testen und Verfeinern neuer Funktionalitäten zu konzentrieren.

https://youtu.be/7X_kwSJm2-Y